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Krankenschwester mit Bildschirmgesicht

Eine Universität in Tokio entwickelt den Pflegeroboter weiter. Zugleich wirbt Japan um Personal aus dem Ausland.

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© Felix Lill

Von Felix Lill, Tokio

Im Labor 205 der Technischen Universität Toyohashi rennt Ryosuke Tasaki zickzack durch den Raum. „Und jetzt!“, ruft Tasaki zu seinem Helfer, bleibt dann abrupt stehen. Mit leichter Verzögerung macht der Roboter, der ihn anvisiert hat, das Gleiche. Zusammenprall vermieden, nicht einmal über die Kabel auf dem Boden ist die Maschine gestolpert. „Gib Terapio neuen Strom“, weist Tasaki an und macht Notizen. Die Einrichtung nennt sich Zentrum für Forschung zur Symbiose von Mensch und Roboter.

Terapio, so heißt die wohl spektakulärste Entwicklung der Hochschule im Zentrum Japans und vielleicht der derzeitigen Pflegeassistenzrobotik überhaupt. Seit vier Jahren baut Ryosuke Tasaki am brusthohen weißgrünen Helfer, den man nichtsahnend fast mit einem Mülleimer verwechseln könnte – wären da nicht die zwei blinzelnden Augen auf einem Displaygesicht, das Terapio auf Befehl zur Arbeitsoberfläche umfunktioniert. Terapio ist Toyohashis Versprechen, den Arbeitsalltag von Ärzten und Krankenpflegern nicht nur fehlerfreier und körperlich weniger belastend zu machen. Er soll insgesamt ein neues Zeitalter in Krankenhäusern ausrufen: das der teilautomatisierten Pflege.

Nach diversen Tests in zwei Kliniken funktioniert der Roboter nun fast auf Betriebsniveau. Den herkömmlichen Modulwagen, den das Personal bei Visiten hinter sich herzieht, ersetzt er nicht nur, sondern bietet einen besseren Ersatz. Ryosuke Tasaki, ein 33-jähriger Jungprofessor, tippt auf den laptopgroßen Touchscreen. Er schaltet den Trackingmodus aus, in dem der Roboter eben seinem Chef hinterherfuhr, und liest die Krankenakte des letzten Versuchspatienten ein.

Pfleger aus Südostasien angeworben

Wo Terapio zu Beginn einer Arztvisite seine zwei lachenden Augen zeigt, wenn er seine Patienten mit „Hallo, wie geht es Ihnen?“ begrüßt, zeigt er jetzt das letzte EKG an, die Ergebnisse der Urinprobe und den Blutdruck. Dank eines Kameraarms kann der Roboter den Patienten auch am Gesicht wiedererkennen, sodass der Arzt nicht erst nach der passenden Akte im System suchen muss. Daneben sorgt ein Lampenarm für Helligkeit. Die Gespräche zwischen Patient und Personal nimmt Terapio per Mikrofon auf. Klappt der Arzt sein Display hoch, hält der Roboter darunter Werkzeuge wie Pinzette und Verbandszeug bereit sowie die nötigen Medikamente.

Die Idee für diese Entwicklung kam ein Jahr nach der verheerenden Kombination aus Erdbeben und Tsunami in Nordostjapan im März 2011, die an die 20 000 Todesopfer forderte. Tasaki baute damals gerade an einem Elektrorollstuhl, der sich besonders geschmeidig bewegen soll. Ein Krankenhaus aus der Präfektur Fukushima, das nach der Katastrophe akut unter Personalmangel litt, hatte vom autonomen Rollstuhl gehört und bat den Professor: Können Sie einen Pflegeassistenten entwickeln, der den Arzt bei seinen Visiten problemfrei begleitet?

Mittlerweile soll das Projekt über die besonderen Probleme des teilevakuierten Fukushima hinaus Antworten geben. In Japans alternder Gesellschaft nimmt der Bedarf an Pflege derart schnell zu, dass es bis 2025 voraussichtlich an einer Million Pflegekräften fehlen wird. Zwar schließt die japanische Regierung auch zunehmend bilaterale Verträge mit südostasiatischen Ländern ab, um Pfleger ins Land zu holen, aber der Bedarf wird nicht annähernd gedeckt. Die Mitarbeit von Robotern ist also nicht nur aus Kostengründen interessant, sondern grundsätzlich für den Erhalt des Gesundheitswesens. Das wiederum ist ein Trend in praktisch allen Industrieländern.

Von den 45 Studenten in Tasakis Labor arbeiten fünf an Terapio. Andere Projekte beschäftigen sich mit Geh-Assistenzrobotern und weiterhin mit selbst fahrenden Rollstühlen. „Wenn ich ein Krankenhausmanager wäre“, sagt der Ingenieur Tasaki und klopft kumpelhaft an die Plastikkarosse seiner Erfindung, „würde ich als Erstes eine Liste machen: alle Arbeitsbereiche zwischen Menschen und Robotern aufteilen.“ Schweres Heben und das Speichern von Informationen sollte seiner Ansicht nach komplett den Robotern überlassen werden. „Menschen machen da zu viele Fehler oder schaden sich sogar selbst“. Die psychologischen Komponenten der Pflege sollten dagegen eher menschliche Pflegekräfte leisten.

Demenzpatienten bei Laune halten

Diese Vision entspricht jener der japanischen Politik. Die Regierung in Tokio will, dass der Markt für Pflegeroboter von vermutlich gut zehn Milliarden Yen (rund 81 Millionen Euro) im Jahr 2013 auf 50 Milliarden Yen im Jahr 2020 und gar 260 Milliarden Yen bis 2030 wächst. Mit öffentlichen Fördergeldern werden Krankenbetten gebaut, die sich in einen Rollstuhl verwandeln, sowie intelligente Stützen zum Aufstehen. Anstatt Therapiehunden gibt es bereits humanoide Therapieroboter, die Demenzpatienten bei Laune halten. Auch gegen die Einsamkeit im Alter wurden schon Zärtlichkeit spendende Maschinenmännchen entworfen. In Japan arbeitende Informatiker und Ingenieure aus Europa schwärmen, dass im Inselstaat nicht jede Forschungsidee durch Fragen nach Ethik aufgehalten werde. Für ein originelles Projekt erhalte man in Japan schnell Fördermittel und könne erst mal ausprobieren.