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Kopf übers Wasser

Ariano Blanik gehört zu den weltweit besten Wakeboardern. Auf der Heimanlage im sächsischen Rossau bringt er sich die Tricks selbst bei.

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© kairospress

Von Michaela Widder

Morgens halb zehn am Heidelbeerweg. Ariano Blanik lümmelt auf einem alten Sofa mit Blick aufs Wasser und genießt ein Eis. Der Ort hat was von einem Surfspot irgendwo in Südeuropa. Nur ohne Sand. Die Wände sind bunt bemalt mit Palmen und einer leicht bekleideten Frau. Die Türen stehen offen. Es weht ein laues Lüftchen. Mit der Ruhe an diesem Sommertag ist es vorbei, als eine Horde Ferienkinder an die Wasserskianlage im mittelsächsischen Rossau stürmt.

Die Neulinge stecken in Schwimmwesten und ihre Füße in den Skiern wie in Flossen. Aus der Hocke sollen sie vom Steg starten und die Arme strecken. Der Wasserskilift läuft an, das Seil zieht – und platsch. Mit einem Bauchklatscher landen die meisten Kinder zwei Sekunden später im Wasser.

Plötzlich geht ein Raunen durch die Kinderreihe am Ufer. Fast unbemerkt hat sich Ariano Blanik sein Brett untergeschnallt und gleitet übers Wasser, gezogen von einem Seil. Dann brettert er über eine Schanze, dreht sich um die eigene Achse, macht einen Rückwärtssalto. Drei bis vier Meter hoch sind die Sprünge. „Bei ihm sieht es so locker aus, als ob es jeder kann“, sagt Vater Marcus, der an der Steueranlage steht und den Schnupperkurs für die Kinder gibt. Es sei eben die Kunst, höchste Schwierigkeiten aufs Wasser zu zaubern und es doch einfach aussehen zu lassen.

Gute und saubere Tricks

Ariano Blanik, 22, ist einer der weltbesten Wakeboarder am „Cable“, wie es in der Fachsprache heißt. In der anderen Kategorie wird man von einem Boot gezogen. Im März gewann der Rossauer „völlig überraschend“ einen Weltcup in Jordanien, sein bisher größter Erfolg. 2017 war er Europameister. Anders als im Eiskunstlaufen müssen die Athleten vor den Wertungsrichtern keine Pflichtelemente zeigen. „Es geht um gute und saubere Tricks“, sagt Ariano Blanik. Sein Lieblingssprung ist ein doppelter Rückwärtssalto aus dem Wasser – und das ohne die Unterstützung einer Schanze. „Ich benutze das Wasser als Kante, versuche, mich da rauszuschleudern.“

Wakeboarden ist wie Snowboarden – nur ohne Schnee. Die Tricks hat er sich selbst beigebracht. Einen richtigen Trainer hatte er nie, und sein Vater kann „Ari schon seit Jahren nichts mehr beibringen“, wie Marcus Blanik selbst sagt. Ihm hört man seine Berliner Herkunft noch an. Zu DDR-Zeiten war er passionierter Barfuß-Wasserskifahrer. Auf nackten Sohlen sauste er übers Wasser.

Viel später machte er sein Hobby zum Beruf. Auf den Job als Lkw-Fahrer im eigenen Pflanzengroßhandel hatte er keine Lust mehr. Mit seiner Frau Martina zog er nach Sachsen, um die Wasserskianlage in Rossau zu übernehmen. Vor 18 Jahren, damals war Ariano vier, fingen die Blaniks an, sich ihre kleine Oase aufzubauen. Die Familie wohnt in einer Holzhütte oberhalb der Anlage. Sie leben ohne Fernsehen, und an manchen Stellen am See ist der Handyempfang schlecht. Asti, ihr Schweizer Sennenhund, strolcht immer mit umher. Auch eine Schildkröte, eine Katze und ein Pferd gehören zur Familie.

Das Leben spielt sich draußen ab, und die Blaniks haben ihren ganz eigenen Rhythmus. „Ari ist ja quasi aus dem Bett ins Wasser gefallen“, erzählt seine Mutter. Trotzdem dauerte es ein paar Jahre, bis er sich aufs Wasser traute. „Ich hatte einfach keine Lust, aber eines Tages habe ich es einfach probiert.“ Der Junge konnte Wakeboarden, bevor er schwimmen lernte, und er hat schnell Spaß daran, mit 30 km/h übers Wasser zu hechten, bis ihn ein Unfall ausbremst. Bei einem Wettkampfsprung war der damals 14-Jährige gestürzt und hatte sich dabei die Wachstumsfuge im linken Knie gebrochen, was zu schweren Spätfolgen führen kann. Blanik saß für einige Zeit im Rollstuhl. „Die Ärzte meinten: Das war’s mit dem Sport, und ich habe gehofft, dass sie nicht recht behalten.“

Ein halbes Jahr dauerte es mit Reha, bis er wieder Wakeboarden konnte. Trotz der Zwangspause wird er immer besser und der Wettbewerb hochkarätiger. Mit 15 ist er Junioren-Weltmeister in einem Sport, der kaum gefördert wird, durch die Reisen um die Welt jedoch viel Geld kostet. Sein großes Plus ist das Training vor der Haustür. „Ich fahre nach Gefühl. Manchmal bin ich zehn Stunden auf dem Wasser.“

Ein Platz in der Sportfördergruppe

Ariano Blanik ist Profi. Von den Sponsoren, die größtenteils Ausrüster sind, könnte er nicht leben. Die Bundeswehr ist sein Arbeitgeber. Seit drei Jahren gehört er zur Sportfördergruppe, in der es deutschlandweit nur vier Plätze für Wakeboarder gibt. Die Sportart stand als einer von sieben Kandidaten auf der sogenannten Short List für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio, wurde aber letztlich abgewählt.

Sein Antrieb ist der Spaß, „denn ohne den lässt sich nichts erreichen“. Es ist auch ein Lebensgefühl. Auf dem linken Arm trägt Ariano Blanik ein Tattoo mit den Anfangsbuchstaben seines Vornamens und der seiner Eltern sowie eine Welle für das verbindende Element Wasser. „Es soll noch ein Seil dazukommen“, meint er.

Manchmal gibt der Junior selbst Kurse. Später will er bei der Bundeswehr seinen Trainerschein machen. Auch die Eltern leben für den Sport. Sein Vater, ein drahtiger und braun gebrannter Mann, baut nebenbei Hindernisse für Wasserskianlagen in der Welt. Seine Mutter managt ihren Sohn und die Anlage. „Ein Traum ist es mal, dass wir einen eigenen Cable haben“, sagt Ariano Blanik, dessen Eltern als Angestellte in Rossau arbeiten.

Mit 70 Cables, wie die Anlagen heißen, hat Deutschland weltweit die höchste Dichte an Wasserskilifts. Damit wäre auch die Stärke der deutschen Fahrer erklärt. Bei den Wakeboardern hinterm Boot dominieren die US-Amerikaner.

Als Ariano Blanik aus dem Wasser steigt, trägt er Jeansshorts und ein modisches T-Shirt, darüber eine graue Weste, als wolle er in einen Klub ausgehen. Dabei hat Ariano Blanik dafür nun wirklich keine Zeit. Er ist schon wieder auf dem Sprung zur nächsten Wettkampfreise.