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Kirchstraße muss mit Lärm leben

Die Anwohner hatten gehofft, dass das Areal als Wohngebiet eingestuft wird. Diese Hoffnung ist nun passé.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Britta Veltzke

Riesa. Die Hoffnung auf mehr Ruhe ist für Kirchstraßen-Anwohner Toralf Schadewitz dahin. Der Stadtrat hat am Mittwochabend einen sogenannten Flächennutzungsplan beschlossen. Dieser legt etwa fest, an welchen Straßen sich Gewerbe ansiedeln darf und wo sich reine Wohngebiete befinden. Die Kirchstraße in Gröba und die umliegenden Straßen gelten danach nun als Mischgebiet. Die Grenzwerte, etwa für Lärm, sind dort niedriger als in Wohngebieten. Anwohner Schadewitz hätte sich daher gewünscht, dass seine Straße als Wohngebiet ausgewiesen wird – und schon im Vorfeld Einwand gegen die Pläne der Verwaltung erhoben. „Wir sind in Gröba sowieso schon lärmgeplagt. Wir möchten wenigstens nachts und am Wochenende unsere Ruhe haben.“

„Wir sind in Gröba sowieso schon lärmgeplagt. Wir möchten wenigstens nachts und am Wochenende unsere Ruhe haben“ –.Toralf Schadewitz, Anwohner der Kirchstraße.
„Wir sind in Gröba sowieso schon lärmgeplagt. Wir möchten wenigstens nachts und am Wochenende unsere Ruhe haben“ –.Toralf Schadewitz, Anwohner der Kirchstraße. © Lutz Weidler

Seinem Einwand wurde jedoch nicht stattgegeben. Die Mehrheit des Stadtrates stimmte für die Ausweisung der Kirchstraße als Mischgebiet. Räte der Linken, Freien Wähler/Bürgerbewegung und der SPD hingegen schlossen sich der Meinung des Anwohners an. Die Stadt argumentiert, dass die Kirchstraße durch bestehende Gewerbe wie Kläranlage, Fensterbau Krauspe & Söhne oder die Elbland Philharmonie schon jetzt kein reines Wohngebiet sei. „Das Mischgebiet Kirchstraße ergibt sich aus der vorhandenen Situation, weil dort eben sogenannte störende Gewerbe ansässig sind, die in einem Wohngebiet eigentlich nicht zulässig wären. Störend deshalb, weil sie mit Lärm, Geruch und Verkehr verbunden sind“, erläutert Stadtsprecher Uwe Päsler. Ein Mitarbeiter des mit dem Plan beauftragen Ingenieurbüros erklärte im Stadtrat, dass in einem Wohngebiet nicht mal ohne Weiteres neue Büros eröffnet werden könnten. Auch diese Chance will sich die Stadt nicht verbauen.

Den Verweis auf die Elbland Philharmonie als störendes Gewerbe findet Anwohner Toralf Schadewitz lächerlich. Aus seiner Sicht geht es bei der Ausweisung der Kirchstraße um etwas ganz anderes. Nämlich darum, dem Hafenbetreiber Sächsische Binnenhäfen Oberelbe (SBO) größtmögliche Freiheiten einzuräumen. „Für neues Gewerbe ist die Straße jetzt eh viel zu eng.“ Im Hafen solle sieben Tage die Woche, rund um die Uhr gearbeitet werden dürfen. „Der Stadt kommt es darauf an, das zu gewährleisten. Es ist ein bescheidenes Gefühl als Anwohner so übergangen zu werden“, so Schadewitz. Die Stadt stelle die Interessen der Wirtschaft über die Gesundheit der Bürger. Immerhin gebe ihm die Unterstützung der Oppositionsparteien das Gefühl, mit der eigenen Einschätzung nicht ganz falsch zu liegen.

Gegen die Widmung der Kirchstraße als Mischgebiet ist auch Stadtrat Andreas Näther (SPD). Er ist selbst betroffener Anwohner. Im Vorfeld der Abstimmung hatte er sich mit Nachbarn über die Problematik unterhalten und versprochen, für ihre Interessen einzutreten. „Wie soll ich denen jetzt erklären, dass das Gebiet um den Friedrich-Ebert-Platz als Wohngebiet ausgewiesen ist, die Kirchstraße aber nicht? Wo ist da der Unterschied?“ Von der Verwaltung verlangt Näther nun eine konkrete Argumentationshilfe. Er möchte der Stadt nichts unterstellen, glaubt aber auch: „Dass es für den Hafen günstiger ist, wenn die Kirchstraße nicht als Wohngebiet ausgewiesen ist.“

Aus Sicht von SBO-Chef Heiko Loroff wäre etwas anderes als ein Mischgebiet in der Nachbarschaft sowieso nicht denkbar: „Der Hafen ist ein Sondergebiet und als solches einem Industriegebiet gleichgestellt. Die Infrastruktur ist durchgängig erreichbar und betriebsfähig. Sollten durch Wohngebiete diese Möglichkeiten eingeschränkt werden, hätte dieses nicht nur Auswirkungen auf die SBO, sondern auf alle Unternehmen, die den Hafen nutzen.“ Auch der Straßenverkehr auf den anliegenden Bundesstraßen wäre massiv betroffen. „Vor 130 Jahren wurde der Hafen in Betrieb genommen. Von Anfang an war klar, dass jeder, der später dort hinzieht, mit dem Hafen leben muss“, so Loroff. „Aus eigenen Gesprächen weiß ich aber auch, dass nicht alle Anwohner gegen unsere Pläne sind. Zumal die Kirchstraße durch die Verlagerung des Containerterminals von der Nord- auf die Südseite deutlich entlastet wird.“

Insgesamt 81 Seiten Einwände hatten Behörden, Vereine und Anwohner gegen den Flächennutzungsplan vorgebracht. Um möglichen Verfahrensfehlern vorzubeugen, wurden diese in der Stadtratssitzung wortwörtlich vorgelesen. Ein selten erlebtes und vor allem zeitaufwendiges Unterfangen. Rund drei Stunden dauerte es, bis die Rathausmitarbeiter die Texte in feinstem Behördendeutsch abgearbeitet hatten – welch ein Debüt für den Stadtratsneuling Andreas Krake. Der 60-Jährige hat als Nachfolger von Inge Reinacher (CDU) nun seine erste Stadtratssitzung hinter sich gebracht. Den Sitzungsmarathon nahm er mit Humor. „Ich wusste, dass es erforderlich ist, alles vorzulesen. Das musste sein und ich finde gut, dass wir es durchgezogen haben.“ Krake blickt optimistisch auf die kommenden Sitzungen: „Jetzt kann es ja nur noch besser werden.“