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Keine Angst vor 30000

Erreicht die Einwohnerzahl von Meißen diese Größe, müsste es für Kreis- und Staatsstraßen auf seinem Gebiet zahlen.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Meißen. Man wolle nicht mehr, dass die Einwohnerzahl Meißens bei 30 000 gedeckelt bleibt, erklärte Falk Werner Orgus, der Vorsitzende der CDU-Fraktion, im Sonderstadtrat zu den Schulen am 29. August. Damit wird die bislang erklärte Position von Oberbürgermeister Olaf Raschke aufgegeben, der die Einwohnerzahl unter 30 000 halten will, um zusätzliche Aufgaben für die Stadt zu vermeiden. Worum es sich dabei handelt, erfragte die SZ bei Mischa Woitscheck, dem Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetags.

Mischa Woitscheck ist der Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetags, der die Interessen der Kommunen vertritt.
Mischa Woitscheck ist der Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetags, der die Interessen der Kommunen vertritt. © SSG

Herr Woitscheck, ist es so, dass die Baulast für die Kreis- und Staatsstraßen im Stadtgebiet an Meißen zurückfallen würde, wenn die Stadt wieder mehr als 30 000 Einwohner haben würde?

Nach dem sächsischen Straßengesetz sind die Gemeinden mit mehr als 30 000 Einwohner Straßenbaulastträger für die Ortsdurchfahrten im Zuge der Kreisstraßen und Staatsstraßen. Maßgebend ist die vom Statistischen Landesamt zum 31. Dezember 2006 und anschließend alle zehn Jahre festgestellte Einwohnerzahl. Der gültige Stichtag war also 2016. Die Straßenbaulast wechselt mit Beginn des dritten auf die Feststellung folgenden Haushaltsjahres. Das bedeutet: Wäre Meißen also zum 31.12. 2016 auf mehr als 30 000 Einwohner angewachsen, so würde es zum 1. 1. 2019 Träger der Straßenbaulast für die Ortsdurchfahrt der Kreis- oder Staatsstraßen.

Was passiert, wenn Meißen eine andere Kommune eingemeindet? Im Falle von Käbschütztal wurde dies abgelehnt, weil damit die Einwohnermarke von 30 000 geknackt würde.

Werden Gemeindegrenzen geändert oder neue Gemeinden gebildet, so ist die in diesem Zeitpunkt festgestellte Einwohnerzahl des neuen Gemeindegebietes maßgebend. In diesen Fällen wechselt die Straßenbaulast für die Ortsdurchfahrten, wenn sie bisher dem Freistaat oder einem Landkreis oblag, mit Beginn des dritten Haushaltsjahres nach dem Jahr der Gebietsänderung, sonst mit der Gebietsänderung.

Erfolgt etwa eine Eingemeindung, mit der die Stadt zum 1. 1.2018 die 30 000er Schwelle überschreitet, wird sie zum 1. 1. 2021 Träger der Straßenbaulast für die Ortsdurchfahrt einer Kreis- oder Staatsstraße.

Würde Meißen für die Kreis- oder Staatsstraßen auf seinem Gebiet nicht einen finanziellen Ausgleich erhalten?

Bei Ortsdurchfahrten von Staats- oder Kreisstraßen in Gemeinden über 30 000 Einwohner erhalten diese laut sächsischem Finanzausgleichsgesetz als Träger der Straßenbaulast je Kilometer zweistreifiger Fahrbahn 6 255 Euro. Dieser Straßenlastenausgleich ist für sämtliche Bau- und vor allem Unterhaltungsmaßnahmen, z. B. für den Grünschnitt im Sommer ebenso wie für den Straßenwinterdienst, bestimmt. Unabhängig davon erhalten die Kommunen auch investive Zuweisungen aus speziellen Förderprogrammen wie der Förderrichtlinie für den kommunalen Straßen- und Brückenbau.

Würde Meißen, wenn es mehr als 30 000 Einwohner hätte, nicht mehr Geld aus dem kommunalen Finanzausgleich erhalten, weil die Stadt ja auch Umlandfunktionen hat?

Die Höhe der Schlüsselzuweisungen einer Kommune ist in Sachsen von mehreren Bedingungen abhängig. Einmal wird der Finanzbedarf einer Gemeinde durch die Einwohner- und Schüleranzahl abgebildet. Generell geht der Finanzausgleich davon aus, dass mit zunehmender Einwohnerzahl einer Gemeinde auch ihre zentralörtliche Funktion wächst. Man sagt daher, dass die Einwohner größerer Gemeinden stärker „veredelt“ werden. Damit wird diesen Gemeinden ein größerer Finanzbedarf je Einwohner anerkannt als kleineren Gemeinden.

Zum anderen ist die Höhe der Schlüsselzuweisungen auch von der eigenen Steuerkraft der Gemeinde abhängig. Diese Steuereinnahmen werden auf den Finanzbedarf angerechnet. Die Differenz wird zu einem überwiegenden Teil durch Schlüsselzuweisungen ausgeglichen.

Würde Meißen so viel zusätzliches Geld erhalten, dass damit der Unterhalt der Kreis- und Staatsstraßen im Stadtgebiet bezahlt werden könnte?

Der Straßenlastenausgleich ist nur als Teillastenausgleich konzipiert; die tatsächlichen Kosten der Straßenunterhaltung übersteigen regelmäßig diesen Sonderlastenausgleich. Die Unterdeckung muss also durch Steuereinnahmen oder Schlüsselzuweisungen ausgeglichen werden.

Kann man sagen, es wäre eher von Vorteil, dass Meißen die Schwelle von 30.000 Einwohnern überspringt, oder wäre es eher ein Nachteil für die Stadt, wenn dies geschieht?

Hierzu kann keine pauschale Einschätzung abgegeben werden. Die Rechtsordnung knüpft in verschiedenen Vorschriften an die Einwohnerzahl an. So können Gemeinden z. B. bereits mit 20 000 Einwohnern untere Bauaufsichtsbehörde werden, erhalten ebenfalls ab 20 000 Einwohnern die Zuständigkeit als Wohngeldstelle, ab 30 000 Einwohnern die Straßenbaulast für die Ortsdurchfahrten von Kreis- und Staatsstraßen oder ab 80 000 Einwohnern auch die Straßenbaulast für die Ortsdurchfahrten von Bundesfernstraßen. Vorteilhaft am Einwohnerwachstum ist, dass der anerkannte Finanzbedarf mit jedem zusätzlichen Einwohner wächst und die Zuständigkeit für die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben bei Überschreiten von Einwohnerschwellenwerten erweitert wird. Negativ ist, dass der Kostenausgleich, der mit dem Aufgabenwachstum verbunden ist, nicht zu einer vollständigen Kostendeckung führt.

Die Fragen stellte Udo Lemke