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„Kein Kind darf hungrig im Unterricht sitzen“

Schauspielerin Uschi Glas sorgt bundesweit dafür, dass Schüler genug zum Frühstück bekommen – bald auch in der Region.

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© Daniel Schäfer

Priestewitz/Meißen. Frische Wurst, leckerer Käse, Obst und Gemüse – die Mädchen und Jungen in Pirna Sonnenstein haben kulinarischen Vorsprung. Denn die Grundschüler genießen an diesem Morgen bereits, worauf die Kinder der Förderschule in Priestewitz und die Schule für geistig Behinderte in Meißen voraussichtlich noch bis Monatsende warten müssen. Eine kostenlose Frühstücksversorgung nämlich, welche vom Verein Brotzeit initiiert und organisiert wird. Vom Freistaat Sachsen bis zu 90 Prozent gefördert, sollen Kindern aus einem schwierigen sozialen Umfeld zu ausgewogener Ernährung erzogen werden und dabei noch emotionale Zuwendung erfahren.

Gegründet wurde der Verein vor gut zehn Jahren von Schauspielerin Uschi Glas, ihrem Mann, Unternehmensberater Dieter Herrmann, und Rechtsanwalt Dr. Harald Mosler. Die SZ war mit Uschi Glas im Gespräch – und erlebte eine engagierte und für ihr Projekt brennende Frau.

Frau Glas, Ihren Verein gibt es mittlerweile seit fast zehn Jahren. Was war der Auslöser, sich für Kinder in dieser Weise zu engagieren?

Ich hab im bayrischen Rundfunk einen Bericht gehört, da wurde behauptet, dass es im Raum München mehr als 3 000 massiv hungernde Grundschulkinder gibt. Ich hab im Auto gesessen und muss ehrlich gestehen, es hat mich wie ein Blitz getroffen! Ich dachte, ich hatte mich verhört. In dieser reichen Stadt München. Dann bin ich nach Hause gefahren, hab alles meinem Mann erzählt und der hat gleich losrecherchiert. Wir stellten fest, dass es in München 135 Grundschulen gibt, haben mit denen Kontakt aufgenommen und uns erkundigt, ob es tatsächlich dieses Problem gibt. Die Schulleiter bestätigten uns dann, dass es vorhanden ist – und zwar ganz massiv.

Stimmt es, dass Sie und Ihr Mann anfangs selbst das Essen in den jeweiligen Schulen vorbeigebracht haben?

Ja, das stimmt. Die Schulleiter hatten gesagt, Frau Glas, wenn Sie helfen wollen, bringen Sie doch Zwieback vorbei. Viele Kinder seien durch das ständige Hungergefühl unterzuckert, ihnen ist schlecht und sie haben Bauchweh. Ein Schluck Wasser und eben der Zwieback reichten schon aus. Eigentlich eine grausige Vorstellung. Aber im ersten Schritt haben wir wirklich Notfallboxen mit Zwieback, Knäckebrot und Müsliriegel an vier Schulen verteilt. Das haben wir dann ein paar Monate so gemacht und hatten trotzdem das Gefühl, dass es das noch nicht sein kann. Also haben wir uns mit den jeweiligen Schulleiterinnen zusammengesetzt und eine sagte dann zu uns, wenn sie ein tägliches Frühstück vor Unterrichtsbeginn hätte, wäre das optimal.

Mittlerweile versorgt Ihr Verein an 200 Grundschulen in zehn verschiedenen Förderregionen mehr als 9 000 bedürftige Schüler mit Frühstück. Wie bewältigen Sie das logistisch?

Genau das war die nächste wichtige Frage! Wie können wir das schaffen? Denn die Schulleiter waren zwar offen für unser Hilfsangebot, signalisierten aber auch gleich, dass sie personell ausgelastet sind. Dass sie nicht jeden Morgen ein Frühstück für vielleicht 70 bis 80 Kinder vor- und nachbereiten können. Und da sind wir auf die Idee gekommen, Menschen zu fragen, die nicht mehr im Berufsleben stehen, aber noch geistig und körperlich so fit sind, für die Kinder da zu sein. Eine aus der Not heraus geborene Idee, die sich aber bis heute als echter Glücksfall erwiesen hat. Inzwischen arbeiten mehr als 1 500 Senioren in ganz Deutschland ehrenamtlich für uns, nur gegen eine geringe Aufwandsentschädigung. Sie stehen jeden Tag in aller Frühe in den Schulen, bauen das Frühstücksbuffet auf und sind teilweise auch Familien- und Großelternersatz. Ihnen können sie ihr Herz ausschütten, sich mal trösten lassen. So bekommen die Kinder nicht nur Essen, sondern auch Zuwendung.

Aber die Senioren sind nicht auch diejenigen, die das Essen einkaufen?

Nein, natürlich nicht! Das wäre auch zu viel von ihnen verlangt und aufgrund der strengen hygienischen und lebensmittelspezifischen Vorschriften gar nicht möglich. Die Säulen unseres Vereins beruhen auf Spenden, öffentliche Zuschüsse wie die jetzt vom Freistaat Sachen, und Kooperationspartner wie Lidl. Er stellt uns in seinen jeweiligen Vertriebszentren die Lebensmittel zur Verfügung, welche vorher über ein online-Portal von den Schulen bestellt werden. Unsere Brotzeit-Fahrer transportieren die Ware wiederum mit Kühlfahrzeugen regionaler Partner zu den Schulen.

Und wie läuft das Frühstück genau ab?

Eigentlich immer nach dem gleichen Prinzip! Wir geben den Kindern einen Raum, wo miteinander am Tisch gesessen werden kann, zusammen gegessen, aber auch kommuniziert wird. Dieses Vorleben an Lebensart ist uns unglaublich wichtig, denn es droht, in unserer heutigen Zeit mitunter total zu verschwinden. Die Kinder können von unserem Buffet aus 28 verschiedenen Lebensmitteln wählen. Wurst und Käse gibt es ebenso wie Marmelade, Joghurt, Müsli. Alles, was man sich so auf einem Frühstückstisch vorstellen kann. Und glauben Sie mir, nicht wenige Kinder erleben so etwas leider das erste Mal!

Welche Erfolge können Sie über die Jahre hinweg beobachten?

Die Kinder sind viel ausgeglichener und die Aggression ihren Mitschülern gegenüber geht zurück. Nicht nur, weil sie kein Hungergefühl mehr haben müssen. Sie verbringen beim Frühstück gemeinsam Zeit, lernen sich kennen und bekommen die Gelegenheit, einander wirklich in die Augen schauen zu müssen. Sie gehen laut der Lehrer aufmerksamer, konzentrierter und natürlich satt in den Unterricht. Diesen Punkt darf man bei heranwachsenden Mädchen und Jungen nicht unterschätzen. Und nicht zu vergessen, die Kinder kommen aufgrund des Frühstücks pünktlich in die Schule. Etwas, das sonst nicht normal ist.

Sie bieten das Projekt aber nur an Grund- und Förderschulen an?

Ja, weil damit hat ja auch in München alles angefangen. Inzwischen sind wir in Berlin, Hamburg, Salzgitter, dem Rhein-Ruhrgebiet, Frankfurt am Main, Heilbronn, Mittelfranken, Leipzig und nun auch in Dresden mit Meißen und Priestewitz vertreten. Wir wachsen eigentlich jeden Tag und würden gern auch die anderen Kinder und Jugendlichen an weiterführenden Schulen versorgen. Aber das können wir leider nicht schaffen. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Kleinen, damit bei ihnen eine positive Gewöhnung einsetzt und sie Zuhause auch etwas Gesundes einfordern. Anstatt nur Chips, Pommes und Cola.

Mit dem Schritt nach Dresden, Meißen und Priestewitz etabliert sich der Verein weiter im ostdeutschen Raum. Wie steht es um die Versorgung der Kinder?

Leider auch nicht besser als anderswo! Von den bundesweit gut 20 000 Grundschulen befinden sich schätzungsweise 2 000 in sogenannten Brennpunktgebieten. Im Ruhrgebiet und Berlin ist es ganz schlimm. Aber es gibt auch bedürftige Schulen in und um Leipzig oder eben Dresden. Wir müssen uns da nichts vormachen, das Problem hat in den letzten Jahren zugenommen. Und worin auch immer der Grund dafür liegt: Wir wollen die Teilnahme am Frühstück jedem Kind ermöglichen! Der Verein ist mein Baby und mein Traum ist, dass jedes Kind ohne Hunger am Unterricht teilnehmen kann. Deshalb bin ich froh, dass wir jetzt rund um Dresden mit 25 weiteren Schulen starten. In Pirna haben sich ganz wunderbare Damen gefunden, die uns unterstützen. Es wäre mein Wunsch, dass uns das auch in Priestewitz und Meißen gelingt!

Interview: Catharina Karlshaus