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Kampf gegen Berufswunsch Hartz-IV

In Freiberg ist ein Modellprojekt für Familien von Langzeitarbeitslosen gestartet. Ab 1. März gibt’s das auch in Döbeln.

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© Eckardt Mildner

Von Tina Soltysiak

Mittelsachsen. Dass Kinder als Berufswunsch „Hartz-IV-Empfänger“ angeben, ist den Beratern im Jobcenter Mittelsachsen bereits untergekommen, wie die neue Leiterin Martina Neubert am Dienstag in Freiberg sagte. Wenn die Minderjährigen bei den Eltern beobachten, dass sie keinen geregelten Tagesablauf haben und keiner festen Arbeit nachgehen und trotzdem einigermaßen gut leben können, sei dies ein schlechtes Vorbild. Diesen Kreislauf gelte es zu unterbrechen. Dafür ist zum Monatsbeginn das Projekt „Tandem“ in Freiberg gestartet. Das Christliche Jugendwerkdorf Deutschland (CJD) in Freiberg hat am Dienstag vom Freistaat Sachsen einen Förderbescheid für das Vorhaben erhalten. Die Zuwendung für die kommenden drei Jahre beträgt rund 500 000 Euro.

In der Stiefelstadt findet die Beratung ab 1.März im Haus am Obermarkt 14 statt.
In der Stiefelstadt findet die Beratung ab 1.März im Haus am Obermarkt 14 statt. © André Braun

„Am 1. März startet das Projekt auch in Döbeln“, sagte Stev Emmrich vom CJD. Er ist der Angebotsleiter für beide Standorte. „In Döbeln beziehen wir Räume am Obermarkt 14. Diese sind aufgrund der zentralen Lage gut erreichbar“, meint er. Im Fokus von Tandem steht, anders als in anderen Beschäftigungsprojekten, die gesamte Familie. „Sie ist die wichtigste soziale Einheit einer Gesellschaft“, so Emmrich. Das CJD habe zwei Leitsätze: „Keiner darf verloren gehen“ und „Jedem seine Chance“. Diese ließen sich auf Tandem übertragen. Das Angebot richtet sich an Elternpaare und Alleinerziehende, von denen mindestens einer langzeitarbeitslos ist. Das heißt, dass die Mutter oder der Vater mindestens zwölf Monate keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist.

Kooperation mit dem Jugendamt

Die Familien, die teilnehmen dürfen, wählen die Mitarbeiter des Jobcenters aus. „Das Ganze beruht aber auch auf Freiwilligkeit. Die Integrationsfachkräfte sprechen die Bedarfsgemeinschaften an. Wenn das Einverständnis vorliegt, leiten wir die Daten an das CJD weiter“, erläuterte Antje Dorn. Sie ist im mittelsächsischen Jobcenter die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt.

Am Standort Freiberg hat sich Sozialpädagogin Teresa Kempe den Raum so eingerichtet, dass es eine gemütliche Sitzecke gibt. „Für Einzelgespräche“, erklärte sie. Und dann existiert ein Tisch, an dem mehrere Personen Platz finden. „Tandem besteht nicht nur aus Einzelgesprächen und Gesprächen innerhalb der Familien, sondern es gibt auch Gruppensitzungen“, erläuterte Teresa Kempe. Mindestens zwei Mal pro Woche kommt es zu Treffen. „Wir lange diese dauern, ist ganz unterschiedlich. Es hängt auch davon ab, wie schnell sich die Familien öffnen“, sagte sie. Das Projekt ist erst angelaufen. „Sieben Familien beziehungsweise Bedarfsgemeinschaften wurden ausgewählt, mit fünf davon hatte ich bereits Kontakt“, erzählte sie. Ihr sei es wichtig, dass sie die Familien auch zuhause besucht. Erst dadurch zeige sich ein komplettes Bild der Situation. Sie hat eine familientherapeutische Zusatzausbildung. „Wir schauen, wo die Stärken der Familienmitglieder liegen, was gut funktioniert und welche Qualitäten gefördert werden können“, sagte sie.

In den Gruppengesprächen könnten sich die Langzeitarbeitslosen auch gegenseitig Tipps geben, wie sie mit bestimmten Hindernissen umgehen, die ihnen bei der Aufnahme einer Arbeit im Weg stehen. „Wie sie zum Beispiel die Betreuung der Kinder organisieren, wenn sie keinen garantierten Betreuungsplatz haben. Das können andere Verwandte sein, die unterstützen oder Ähnliches“, erklärteKempe.

Heidi Richter, Abteilungsleiterin Jugend und Familie im Landratsamt Mittelsachsen, lobte diesen neuen Ansatz. „Es ist gut, die Situation der Kinder zu verbessern, indem die persönlichen Hemmnisse der Eltern bearbeitet und abgebaut werden, sie so wieder in Arbeit gebracht werden.“ Jugendamt und Jobcenter hätten deshalb eine Kooperationsvereinbarung geschlossen.

Angelegt sei das Tandem-Projekt zunächst auf drei Jahre. Ziel sei, während dieser Zeit etwa 30 Familien beziehungsweise Bedarfsgemeinschaften zu betreuen – und idealerweise den Langzeitarbeitslosen wieder einen festen Job zu verschaffen, so Teresa Kempe vom CJD Freiberg. Jeweils die Hälfte der Kunden solle in Döbeln betreut werden. „Die Auswahl durch das Jobcenter läuft derzeit“, ergänzte Antje Dorn vom Jobcenter. In Mittelsachsen gibt es ihr zufolge, Stand Oktober 2017, insgesamt 2 972 Bedarfsgemeinschaften mit Kindern, davon 821 im Bereich Döbeln und 969 in der Region Freiberg.