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Kamenz gibt Obdachlosenheim auf

Die neue Konzeption sieht im Ernstfall die Anmietung von Wohnungen der Städtischen Wohnungsgesellschaft vor.

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© René Plaul

Von Frank Oehl

Kamenz. Die gute Nachricht vornweg: Die Stadt Kamenz hat derzeit kein Obdachlosenproblem. Lediglich zwei Frauen und ein Mann sind „in der Unterbringung“, wie es offiziell heißt. Eine der Frauen zieht demnächst ins Pflegeheim, eine weitere zu ihrem Lebensgefährten. Obdachlosigkeit ist in Kamenz ein Randthema, und das ist gut so. Aber die noch bessere Nachricht aus dem Kamenzer Stadtrat vom Mittwoch lautet: Wir haben jetzt auch eine beschlossene „Konzeption zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit und Unterbringung von Wohnungslosen in der Stadt Kamenz“. Diese war zuletzt mehrfach von der Fraktion der Partei Die Linke angemahnt worden. Bei nur einer Stimmenthaltung wurde sie im Ratssaal abgenickt.

Wenn Obdachlosigkeit auch ein Randthema ist, so bewegt sie doch die Gemüter. In der Lessingstadt verstärkt nach dem Ende der Schneewittchensiedlung in diesem Jahr (die SZ berichtete). Hier war schon länger eine Wohnnutzung nicht mehr möglich. Nun hat die Stadt auch ihr letztes Obdachlosenasyl aufgegeben, das Haus in der Friedrichstraße 5 zwischen der Karl-Marx-Straße und dem August-Bebel-Platz. Beide Namensgeber, Vorkämpfer der sozialistischen Arbeiterbewegung, haben sich stets gegen die Verelendung der Massen im Kapitalismus stark gemacht und könnten dies nun also auch als posthumen Erfolg verbuchen.

Noch wichtiger ist aber, dass das alleinstehende Haus nun wieder der Städtischen Wohnungsgesellschaft Kamenz (SWG) zur Vermarktung zur Verfügung steht. Immerhin in einer beruhigten Wohnlage im Gründerzeitviertel, also durchaus gut vermietbar.

Stadt zieht die Reißleine

Zuvor freilich ist einiges zu tun am Objekt. Seit etwa 20 Jahren werden hier sechs getrennte Wohneinheiten für obdachlose Familien vorgehalten – mit sehr einfachem Standard, versteht sich. Besonders die Ofenheizung war jetzt Argument, auch dieses Obdachlosenasyl zu schließen. Sozialdezernentin Elvira Schirack: „Sie wird von den Leuten kaum noch beherrscht.“

Und die Brandgefahr wächst, je mehr die Ofennutzer dem Alkohol zugetan sind, wie dies ja auch an der Mauerschleuse der Fall gewesen war. Außerdem waren schon jetzt mehrere Räume in einem desolaten Zustand gewesen, und in zwei belegten Wohnungen hatte es zuletzt verstärkt Schimmel gegeben. Dieser konnte eingedämmt werden, aber die undichte Fassade sorge weiter für Feuchtigkeit mit negativen Folgen, heißt es. Kurzum: Das Asyl wäre nur nach höheren Sanierungsaufwendungen als solches weiter zu betreiben. Errechnet wurden schlappe 160 000 Euro.

Auch deshalb hat die Stadt nun die Reißleine gezogen. Sie wird die Eigenmietsache an die SWG zurückgeben.

Gemeinschaftsunterkunft effektiver

Zumal sich in den letzten Jahren eine neue Variante der Unterbringung wohnungsloser Kamenzer aufgetan hat; die „Beschlagnahme von Wohnraum über das Polizeirecht“. Nun, das klingt gefährlicher, als es ist. Die bisherigen „Beschlagnahmen“ erfolgten in Abstimmung mit der SWG, die auf diese Weise leer stehenden Wohnraum in eine sinnvolle Nutzung überführte. In der Jesauer Straße 6 können sechs Männer und in der Jesauer Straße 12 vier Frauen in einer Gemeinschaftsunterkunft leben.

Diese Betreuungsform sei viel effektiver, heißt es. Keine brandgefährliche Ofenheizung, bessere Körperhygiene in den moderneren Sanitärbereichen, eine einfache und zweckmäßige Ausstattung mit Waschmaschine und so weiter. Ein Nachteil könnte die Nähe zur normalen Mietnutzung sein, aber das Problem ist wohl beherrschbar. Erst Recht, wenn z.B. die Jesauer Straße 6 derzeit nur durch eine Person belegt ist. Im Stadtrat einigte man sich jetzt, die Nutzung von SWG-Wohnraum für Obdachlose nicht mehr als „Beschlagnahme“, sondern als „Anmietung“ zu bezeichnen.

Die Betreuung der Obdachlosen ist übrigens eine Pflichtaufgabe des Landkreises. Die Stadt springt vorübergehend ein, wenn irgendwo Gefahr im Verzuge ist – beispielsweise unmittelbar nach einer Zwangsräumung von Familien.

Die Linke im Stadtrat legte Wert darauf, dass die soziale Betreuung von Obdachlosen über die Stadtverwaltung geregelt bleibt. Derzeit sind es sechs bis zehn Stunden pro Woche – durch eine Mitarbeiterin. Ob die Zeit jede Woche anfällt, hängt von der Belegung ab. Sicher hätten auch Bebel und Marx nichts dagegen, wenn es im real existierenden Kapitalismus gar keine Obdachlosen gäbe ...