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Kaiser Wilhelm wäre zufrieden

Die Grundschule Grünlichtenberg gibt es seit 120 Jahren. Oberlehrer Michael Kreskowsky lässt die Vergangenheit aufleben.

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© André Braun

Von Christian Kluge

Grünlichtenberg. Die Zeit zurückdrehen? Für Michael Kreskowsky kein Problem. Seine Spezialität – aber nur eine von vielen – ist Schulunterricht wie zur Kaiserzeit vor über
100 Jahren. „Das ist immer total spannend“, sagt der 39-Jährige vom Stadtmuseum Mittweida, der nicht nur zum Schuljubiläum in Grünlichtenberg den Oberlehrer gibt, der im Verlauf des Unterrichts seine Schützlinge ordentlich in die Spur bringt.

Aber was ist denn nun so spannend an dem alten Kram? „Es ist einfach erstaunlich, wie die Schüler aus allen Altersklassen nach nur zehn Minuten in die Diktatur der Kaiserzeit eintauchen“, erklärt Kreskowsky. „Fast alle fügen sich ein. Manchmal ist es für mich schon erschreckend, wie schnell die in dem Muster drin sind.“ Dabei erinnert sich der Oberlehrer unter anderem an das Filmdrama „Die Welle“ aus dem Jahr 2008. Darin spielt Jürgen Vogel einen Lehrer, der seiner Klasse in einem von ihm entwickelten Sozialexperiment zeigt, wie Strukturen entstehen können, die faschistisch und autokratisch sind.

Kreskowsky hat nach seinen Kaiser-Schulstunden – und von denen gibt er übrigens über 100 im Jahr im Stadtmuseum Mittweida – vor allem ein Problem. „Es ist schwer, den Befehlston danach wieder abzustellen“, grinst der eindrucksvolle Oberlehrer, bei dem nach dem Unterricht gelegentlich auch mal Bäcker oder Fleischer stramm stehen müssen, wenn sein Schalter noch nicht so recht umgelegt worden ist. In der Turnhalle der Grundschule Grünlichtenberg tat sich am Sonnabend auf jeden Fall sehr außergewöhnliches. Tatsächlich spurten alle Schüler erstaunlich schnell, wenn ihr Oberlehrer das verlangte. Kloppstock inbegriffen – aber nur als Show. Und Kaiser Wilhelm II. – wenn er denn im Grab noch etwas hört – der hätte Jahrzehnte nach seinem Tod sogar die alte Nationalhymne seines früheren Deutschen Reiches genießen können. Denn nach der Verteilung der Flyer mit dem Text sangen auf ausdrückliche Aufforderung fast alle in der Halle mit.

Vorher mussten die vier Schüler und
14 Schülerinnen erst einmal ihre Schultracht anlegen. Weiße Schürzen und Haarschleifchen für die Mädchen – von denen einige auf den hinteren Bänken schon im Rentenalter waren – und blaue Matrosenkragen für die Jungen. Dann wurden die altertümlichen Namensschilder von Michael Kreskowsky verteilt. Auguste, Wilhelmine oder Siegfried saßen anschließend an den neun alten Schultischen, die ihr findiger Oberlehrer aus der großen Antik-Schulklasse im Stadtmuseum Mittweida mitgebracht hatte.

„Der Unterricht besteht in solchen Stunden aus Deutsch, vaterländischem Unterricht, Singen und Turnen“, erklärt Kreskowsky seinen Lehrplan, den er auch schon zum 110-jährigen Schuljubiläum in Grünlichtenberg präsentierte. Geht es ans Aufschreiben, dann ist die Vorgabe „Der Lehrer ist der Schlaueste!“ Oder beim Singen heißt es „Der Kaiser ist ein lieber Mann“. Beim Sport ist das Motto: „Turnen ist die beste Medizin!“ Danach ist für den Oberlehrer Feierabend.

Von Schulleiterin Elke Schlieder gibt es als Dank noch drei Flaschen „Traubensaft“. Sie sagt nach dem Besuch von weit über 200 Gästen in ihrer Grundschule: „Es ist alles wunderbar gelaufen. So viel Andrang hatten wir wirklich nicht erwartet.“ Und wenn alle das Schlusslied von Oberlehrer Kreskowsky in Erinnerung behalten, wird der Andrang an der Grundschule Grünlichtenberg nicht nachlassen. Denn da wurde wie folgt intoniert: „Oh wie ist es schön, in die Schule zu gehen.“