Merken

Kaffee in den Venen

Von wegen schnöder Muntermacher. Für Leonardo Bentivoglio und seine Familie ist Kaffee ein Lebensgefühl.

Teilen
Folgen
NEU!
© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Der große Pott Filterkaffee nachmittags im Großraumbüro – für Leonardo Bentivoglio eine grausige Vorstellung. „Wenn der dort stundenlang auf der Platte steht, ist doch alles zerbrochen“, sagt er. „Das ist doch nur noch schwarzes Wasser.“ Gemeinsam mit seiner Schwester Sonia steht Leonardo hinter dem Tresen eines Ladens namens Essebielle am Rande der Neustadt und zaubert Espressi. Ziemlich viele Espressi. Es hat sich rumgesprochen, dass die hier gut sind.

Bekanntlich ist der Espresso ja die Königsdisziplin der Kaffeezubereitung. Jedes Detail könne da den Genuss stören, sagt Leonardo. Die Maschine natürlich, der Kaffee selbst, die Temperatur, ja sogar die Wasserqualität. Vor sieben Jahren hat er die Geschäfte von seinem Vater Luigi übernommen. Da war Leonardo gerade 23 Jahre alt. Seinen ersten Latte Macchiato habe er schon aus der Brust seiner Mutter getrunken, sagt er und lacht. Richtigen Kaffee lernte er allerdings erst als Jugendlicher schätzen. Heute trinkt er um die 20 Espressi am Tag. „Bei mir haben die schon keine Wirkung mehr. Ich trinke die wie Wasser.“

In der Firma hat er nun offiziell den Hut auf. Eigentlich ist das aber schon immer eine Familiensache gewesen. Und keine Frage: In dieser Familie fließt der Kaffee durch die Venen. Vater Luigi kam nach der Wende aus Sizilien als Musiker nach Deutschland und blieb. Bald schon merkte er: Diesen Deutschen muss man erst einmal beibringen, wie man einen anständigen Kaffee zubereitet. Und Maschinen repariert. Mit seinem eigenen Laden zog er in Dresden mehrmals um. 2011 quartierte er sich hier in dem niedlichen Rundbau an der Johann-Meyer-Straße ein. Inzwischen zieht sich der Senior jeden Tag ein Stückchen weiter zurück. Seine Kinder leben und arbeiten die Tradition weiter. Nach und nach weihte er sie in seinen Erfahrungsschatz ein. „Er hat uns gelehrt, dass Kaffee eine Leidenschaft und Passion ist und nicht einfach ein Geschäft“, sagt Leonardo.

Noch immer werden bei den Bentivoglios Kaffeemaschinen repariert und verkauft. Je nach Wunsch und Bedarf kann man für ein neues Modell zwischen 500 und 4 000 Euro ausgeben. Die mehrstündige Schulung dazu ist inklusive – und in der Regel dringend angeraten. „Man kann auch mit einer richtig guten Maschine richtig schlechten Kaffee machen“, sagt Leonardo. Mehr noch als von den Geräten lebt das Familienunternehmen heute vom Kaffeeverkauf. Wahlweise als Bohnen, gemahlen oder ganz frisch in der Tasse. Die geheime Mischung hat die Familie selbst kreiert.

Gerade steht der halbe Laden voll mit der neuen Kaffee-Lieferung aus Rimini. Insgesamt etwa eine Tonne, verpackt in unzähligen Kisten. Die Vorräte werden gebraucht, denn im August stehen in Italien traditionell die Räder still.

Ganz im Gegensatz zum Essebielle in Dresden. Hier

hat jeder seine Aufgabe. Sonia ist die kreative und flexible Frohnatur, Leonardo eher der Stratege, der nach Struktur und Ordnung und Sicherheit sucht. „Das ist sehr schwer in diesem Business.“ Es ist noch nicht lange her, da dachte er daran, alles hinzuschmeißen. Vor drei Jahren brachen Diebe in den Laden ein und nahmen so ziemlich alles mit. Die Versicherung zahlte nur einen Teil. Dazu kamen Rechnungsausfälle großer Kunden. Monatelang kämpfte der Betrieb ums finanzielle Überleben. „Irgendwann haben wir uns aufgerappelt und einfach weitergemacht.“ 16 Stunden täglich habe er zuletzt gearbeitet, drei Jahre keinen Urlaub gemacht.

Vor wenigen Wochen fuhr die Familie zum erstem Mal wieder in die alte Heimat nach Sizilien. „Bis dahin war ich wie in einem Tunnel und habe Tag und Nacht im Keller gearbeitet“, sagt er. „Dort konnte ich endlich wieder die andere Seite in mir wecken, die Leichtigkeit und Lebensfreude.“ Obwohl er in Dachau geboren wurde und nie in Italien lebte, trägt Leonardo doch einen Teil aus beiden Welten in sich.

Wohl deswegen bleibt das Stammpublikum den Bentivoglios treu. Laufkundschaft gibt es dagegen bis heute kaum. Wie auch, solange es nicht einmal ein richtiges Schild über der Eingangstür gibt. „Wir sind aber gern die versteckte Perle, der Geheimtipp“, sagt Leonardo. Später möchte die Familie aus dem Laden mal ein kleines Café machen, „eine Oase, in der man ein kleines Italien erleben kann“. So richtig mit Torten und Sandwiches. Der Raum drinnen soll mal zum Showroom für Kaffeemaschinen werden. Und wann? Das ist doch nicht so wichtig. Ein echter Italiener lässt sich nicht gern stressen.