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Jeden Montag 120 Kugeln

Dieter Beyer wird am Sonnabend 80 Jahre alt. Er feiert auf der Görlitzer Kegelbahn, wo sonst? Kegeln gehört seit 60 Jahren zu seinem Leben.

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© Nikolai Schmidt

Von Susanne Sodan

Görlitz. Die Gäste dürfen die Sportschuhe nicht vergessen. Auf den Geburtstagseinladungen von Dieter Beyer ist das extra vermerkt. Seinen 80. Geburtstag feiert er in der Gaststätte „Zur alten Freundschaft“ in Görlitz. Und die Sportschuhe brauchen die Geburtstagsgäste zum Kegeln, die Bahn ist in den Hinterräumen. Etwas anderes ist bei Dieter Beyer fast nicht vorstellbar: Kegeln, das macht er schon einen Großteil seines Lebens, seit 60 Jahren. Also wird auch mit Kegeln Geburtstag gefeiert.

© privat

Auch heute noch ist Dieter Beyer aktiv, beim Verein Gelb-Weiß Görlitz. Jeden Montag geht er zum Training, auch in der „Alten Freudschaft“. Seit vielen Jahren. Jeden Montag 120 Kugeln. Der Name passt irgendwie. Mit einem alten Freund nämlich geht Beyer jede Woche zum Kegeln. „Ich hole ihn immer mit dem Auto ab“, erzählt Dieter Beyer, „das ist so ausgemacht.“ Und die Möglichkeit, das Training zu schwänzen, ist damit ausgeschlossen. Der alte Freund ist Reiner Krause, die beiden kennen sich seit ihrer Jugendzeit. „Er hatte ungefähr ein Jahr nach mir mit Kegeln angefangen“, erzählt Dieter Beyer. „Wir waren damals vier Freunde.“

Dieter Beyer ist in Görlitz geboren. Als er noch ganz klein war, zogen die Eltern mit ihm und seiner älteren Schwester ins schlesische Rothwasser. Der Vater war Bäcker und eröffnete dort sein eigenes Geschäft. Lange konnte er es nicht betreiben. Der Krieg begann und der Vater wurde eingezogen, in die Bäckerkompanie. Zum Kriegsende musste die Mutter mit den den inzwischen drei Kindern – Dieter Beyer hatte noch einen kleinen Bruder bekommen – fliehen. „Wir gingen zu einer Tante nach Rossleben.“ 1948 oder 1949 kam der Vater aus der jugoslawischen Kriegsgefangenschaft zurück. „Er wollte unbedingt wieder nach Görlitz. Also sind wir zurückgegangen.“

Nach der Schule machte Beyer eine Ausbildung zum Betriebsschlosser. Das war die Hochzeit der „Jawa-Bande“ – vier Freunde. „Eigentlich war es so, dass mein Bruder an der Berufsschule zwei sehr gute Freunde hatte. Irgendwie bin ich mit in die Gruppe reingeraten“, erzählt Beyer. Einer von ihnen war Reiner Krause. Sie alle schwärmten für Jawa-Motorräder. Und sie alle kauften sich dasselbe Modell. Nicht das große, die 350, von der konnten sie nur träumen. sondern die Jawa 175, „mein Bruder nicht, der musste damals einen Kinderwagen kaufen“, erzählt Beyer mit einem Lachen.

Seit Mitte der 50er Jahre arbeitete er in der Görlitzer Außenstelle des Dresdner Nähmaschinenwerkes, zunächst als Maschineneinrichter, machte später seinen Meister und hängte noch drei Jahre Abendstudium zum Ingenieur für Maschinenbau dran. Kollegen hatten ihn irgendwann gefragt, ob er nicht mal mitkommen wolle zum Kegeln, 1958 war das. Im Waggonbau-Werk von Görlitz gab es eine Kegelmannschaft, die damals im Tivoli trainierte und zu der auch ein paar Leute vom Nähmaschinenwerk gehörten. Beyer ging also mit. Und blieb. Auch die drei anderen Jawa-Freunde traten in die Kegel-Abteilung ein. „Und so waren wir auch dort immer eine Truppe.“ Warum er 60 Jahre dabeigeblieben ist? Beyer zuckt die Achseln. Er selber scheint das gar nicht so besonders zu finden. Er war es auch nicht, der meinte, das müsste in der Zeitung stehen, es war sein Enkel Paul, der sich bei der SZ gemeldet hatte. Ja, der Sport hatte ihm von Anfang an gefallen. Und Kegeln hält fit, sagt Beyer. Vor allem aber sei es immer die Gemeinschaft gewesen, die ihn dabei hielt.

Oft war Dieter Beyer an den Wochenenden zu Wettkämpfen. Seine Frau hat die Leidenschaft ihres Mannes immer akzeptiert. Sie hatte er 1960 kennengelernt, auch im Nähmaschinenwerk. „Eigentlich war sie Floristin“, erzählt Dieter Beyer. Ein Garten war deshalb für die beiden Pflicht. In den 80ern bekamen sie einen bei Schönau-Berzdorf. Nach der politischen Wende wurde alles anders. Erst beruflich: Es sei spürbar gewesen, dass vieles abwärts ging, erzählt Beyer. Für viele, die in den DDR-Betrieben gearbeitet hatten, begann die Zeit der Umschulungen. Auch er machte Anfang der 90er Jahre eine Umschulung für Bauleute. Kurz darauf wurde er gefragt, ob er vielleicht selber als Theorie-Ausbilder für Weiterbildungen und Umschulungen arbeiten wöllte. Wenn er ehrlich sein soll, wollte Dieter Beyer eigentlich nicht. Vor allem, weil er es sich nicht vorstellen konnte, als Lehrer vor einer Gruppe Menschen und damit im Mittelpunkt zu stehen. Auf der anderen Seite stand die Angst vor Arbeitslosigkeit. „Aber wenn man muss, dann schafft man alles“, sagt Beyer. Schließlich gefiel ihm seine Arbeit als Lehrer doch ganz gut, er fand Freude daran. Ende der 90er Jahre ging er dann in Rente.

Dieter Beyers Frau starb vor 13 Jahren. Sie litt an Krebs. Einmal konnte sie die Krankheit besiegen, wie es schien, dann aber kam sie zurück. Der Garten, der blieb, den hat Dieter Beyer nie aufgegeben. Obwohl er sich für keinen großen Gärtner hält. Und das Kegeln blieb. Und die alte Freundschaft.