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„Irgendwas haben Dresden und ich am Laufen“

Die ganze Deutschland-Tournee von Conchita ist abgesagt, wegen schlechter Verkaufszahlen. Nur ein Konzert bleibt: bei den Jazztagen in Sachsen.

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© Sven Ellger

Symphoniker ersetzen auf seinem neuen Album den alten Pop. Sein Nachname ist wurst geworden, er legte ihn ab. Ja, der Künstler aus Österreich will nur noch Conchita heißen. Bekannt wurde er als Conchita Wurst, Gewinner des Eurovision Song Contest 2014. Mit Mähne, dem Bilderbuch-Bart eines Sokrates, den Kleidern einer Diva. Conchita streicht über seine gestriegelten Haare, schlägt die Beine übereinander und klimpert mit den spinnenbeinlangen Wimpern. Seit zwölf Stunden ist der 30-Jährige unterwegs. Er lacht viel, blickt lange und tief in die Augen. Ob es echt ist? Sofern eine Fremde urteilen kann: ja.

Conchita, seit wann spielen Sie Jazz?

Gar nicht, ich habe großen Respekt davor. Es erfordert viel mehr Talent als Pop. Ich versuche einfach, mitzuhalten und zu tun, was ich am besten kann: unterhalten.

Sie bezeichnen es als Abschiedstournee. Wovon verabschieden Sie sich?

Ich sage zum ersten Mal: „Das war’s.“ Das war’s mit einem Genre, mit dem ich mich intensiv befasst habe, seit ich 16 bin. Mit dem Symphoniker-Album habe ich ein Geschenk bekommen. Ich verabschiede mich vom Glamour-Pop, den ich viele Jahre besungen habe. Mein Geschmack hat sich weiterentwickelt, ich will Neues probieren.

Der Abschied von einer Ära bedeutet fast immer auch Schmerz.

Ja, aber ich bin sehr melancholisch und das steht mir. Es ist kein Abschied von der Bühne. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit elf im Dachboden meiner Eltern sitze, das erste Mal Pocahontas höre und denke: „Ja, ich will auch mit wehenden Haaren ,Colours of the wind’ singen.“ Plötzlich ist das auf einem Album mit einem der größten Orchester der Welt, und ich darf es singen! Das ist ein Kreis, der bis zum Ende gezogen wurde.

Abschiede zelebrieren Sie gerade häufig. Zuletzt von Frau Wurst. Wieso?

Ich bin aufgewachsen in einer Umgebung, wo man sagte: „Geh nicht wie ein Mädchen, zieh dich nicht an wie ein Mädchen.“ Wahrscheinlich hab ich mich gar nicht getraut, ein Junge zu sein. Ich hab die weibliche Seite in einem Maß ausgelebt, das mich viel lernen ließ. Ich habe verstanden, dass ich meine männliche Seite nie ernst genommen habe. Seit einiger Zeit trainiere ich, habe einen maskulineren Körper. Das Bild im Spiegel kannte ich früher nicht.

Bleibt ein Rest von der Frau?

Conchita ist ein Teil von mir. Charakterzüge, denen ich ein Gesicht gab. Früher dachte ich, ich muss mich filtern und reduzieren, damit niemand denkt, es wäre ein Scherz, damit ich ernst genommen werde, man mir zuhört. Also habe ich getan, was ich immer tat: Ich habe mich angepasst, um geliebt zu werden. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Ich habe gemerkt, dass mich das nicht glücklich macht.

Ballkleid und Bart, das war angepasst?

Conchita sah aus wie eine Präsidentengattin. Frisiertes Haar, konservative Kleidung. Sehr eloquent, geduldig, diplomatisch. Und trotzdem der Drag-Charakter mit Bart.

Die Mischung machte Sie zur Ikone. Haben Sie Angst, den Status zu verlieren?

Es war nie meine Intention, Ikone zu sein. Wenn Menschen schreiben, ich hätte sie zu irgendwas in ihrem Leben gebracht, korrigiere ich sie. Das war nicht ich. Ich habe niemand an der Hand genommen und zum Outing geführt. Das waren sie ganz allein.

Sie wollten keine Ikone sein?

Ich wollte immer berühmt sein. Jetzt bin ich berühmt und verstehe, dass das nichts wert ist. Gar nichts. Es ist anstrengend. Ich hoffe, dass ich irgendwann etwas tun werde, das mein Berühmtsein überstrahlt.

Was denn?

Mein erstes Album, das waren gut produzierte Pop-Nummern. Aber es war ein Produkt, das bis heute nicht wahnsinnig emotional mit mir verbunden ist. Ich habe jetzt erst verstanden, was es heißt, Musik zu machen, die meine Geschichten erzählt.

Welche Geschichten?

Ich habe ein Stück meiner Leichtigkeit verloren. Das passiert, glaube ich, zwangsläufig, wenn man älter wird. Davon handeln die Songs. Freude, Eifersucht, Liebe, Zorn. Ich hab das schönste Leben verdient. Wenn das, was ich tue, nicht reicht, um zu begeistern, muss ich das akzeptieren. Ich kann mein Leben nicht mehr für andere leben. Ich habe gelernt, Nein zu sagen, eine Meinung zu haben. Das hatte ich früher nicht, weil ich harmoniesüchtig bin, zu feige war.

Ihre Selbstreflexionen klingen, als hätten Sie eine Therapie gemacht.

Das stimmt. Ich bin eine Zeit lang aufgewacht und war unglücklich. Hatte aber keinen Grund, keinen Beleg. Mein Kalender war voll, meine Freunde waren da. Es war alles so unmotivierend, so lähmend, diese grundlose Leere. Ich wusste: Offensichtlich komme ich hier alleine nicht raus. Dann habe ich mir professionelle Hilfe geholt.

Konnten Sie den Auslöser finden?

Das war definitiv die gefilterte Person, die ich sein wollte, wenn ich gearbeitet habe. Ich habe mich in die engsten Kleider gezwängt, meine Genitalien nach hinten geklebt, mir die Perücke enger geschnallt. In meinem Kopf war ich die Kaiserin von Österreich. Sie war toll, aber ur-anstrengend. Als ich diese Regeln für mich gelockert habe, merkte ich: Oh, es geht auch so.

Wie kommen Sie mit dem vermeintlich konservativen Dresden zurecht?

Ich bin zum dritten Mal da, ich durfte schon beim Opernball in der Semperoper singen, was absurd schön für mich war. Ich wurde immer herzlich empfangen.

Aber?

Als ich das letzte Mal da war, hat Pegida Jahrestag gefeiert, vor der Semperoper. Ich war im Hotelzimmer, dann wurde dieses Brummen immer lauter. Plötzlich höre ich einen Mann durch das Megafon schreien. Ich war gelähmt vor Entsetzen und Scham. Der Sound der Masse war wie ein schnaufendes Tier! Es war so ekelhaft. Ich hatte so eine Angst. So was hatte ich noch nie erlebt. Ich hatte keinen Erfahrungswert, auf den ich zurückgreifen konnte.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich hab echt gebraucht, um mich zu beruhigen und um zu dem Punkt zu kommen: Nie wieder werde ich so eine Angst haben. Das lähmt so, ist so destruktiv. Man will wegrennen, das ist aber keine Option. Deswegen bin ich dankbar, dass ich es erlebt habe. Ich weiß jetzt, wie ich mit so was umzugehen habe. Ich werd nie wieder solch eine Angst haben. Ich lasse nie wieder zu, dass jemand so etwas mit mir macht.

Auch Dresden hat Sie also therapiert.

Ich habe hier definitiv einiges gelernt.

Und auch Schönes erlebt?

Eigentlich ausschließlich. Ich habe mich sehr gefreut, wiederzukommen. Irgendwas haben Dresden und ich am Laufen.

Das Gespräch führte Franziska Klemenz.

Conchita & Band: 18.11., 19 Uhr, Erlwein Capitol, Tickets auf www.jazztage-dresden.de