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Inventur der Landschaft

Holm Riebe und seine Helfer haben 25 Jahre lang sämtliche Pflanzenarten im Elbsandstein gezählt. Jetzt gibt’s das Ergebnis.

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© Dirk Zschiedrich

Von Gunnar Klehm

Sächsische Schweiz. Die Zahlen sind beeindruckend. Fast 25 Jahre lang wurden sämtliche Pflanzenarten in der Sächsischen Schweiz erfasst. Jeder der etwa 400 Quadratkilometer wurde in 16 Teile gerastert und dabei 1 240 Artenvorkommen kartiert. Insgesamt entstanden rund 206 000 Datensätze, die ausgewertet werden mussten. „Und das ist das Ergebnis“, sagt Holm Riebe und hält stolz ein Buch mit festem Einband und 735 Seiten in die Höhe. Der Referent für Arten- und Biotopschutz in der Nationalparkverwaltung ist der Autor des ziegelsteinschweren Wälzers „Die Farn- und Blütenpflanzen der Sächsischen Schweiz“, auch Flora der Sächsischen Schweiz genannt. Es beinhaltet 400 Karten, die die Verbreitung von Pflanzen zeigen und etwa 300 Fotos.

Besondere Pflanzen

Drüsiges Springkraut Die eingewanderte Pflanze wurde schon im 19. Jahrhundert an der Elbe entdeckt und breitet sich seitdem aus.
Drüsiges Springkraut Die eingewanderte Pflanze wurde schon im 19. Jahrhundert an der Elbe entdeckt und breitet sich seitdem aus.
Wald-Gedenkemein Die Pflanze gehört zu den seltensten und wurde lediglich in Elbnähe zwischen Postelwitz und Schmilka nachgewiesen.
Wald-Gedenkemein Die Pflanze gehört zu den seltensten und wurde lediglich in Elbnähe zwischen Postelwitz und Schmilka nachgewiesen.
Wald-Läusekraut Es wächst nur auf zwei Feuchtwiesen im Bielatal sowie bei Hinterhermsdorf und wurde früher gegen Läuse verwendet.
Wald-Läusekraut Es wächst nur auf zwei Feuchtwiesen im Bielatal sowie bei Hinterhermsdorf und wurde früher gegen Läuse verwendet.

Schnell wird dem Leser klar, dass es mehr als ein Nachschlagewerk für Botaniker mit Fachwissen ist. Drei einleitende Kapitel erklären die Besonderheiten der Landschaft. „Das Elbtal ist das artenreichste Gebiet. Hier siedelt sich auch immer was Neues an“, erklärt der 63-jährige Autor.

Riebe zieht auch interessante Vergleiche. So erfährt der Leser, dass die Winterlinde wesentlich verbreiteter ist als die Sommerlinde. Das könnte daran liegen, dass Spätfrost der Winterlinde kaum was anhaben kann. Auch räumt das Buch mit dem landläufig verbreiteten Mythos auf, dass sich das Drüsige Springkraut, ursprünglich in Asien beheimatet, erst seit der Neuzeit am liebsten entlang von Gewässern in der Sächsischen Schweiz ausbreitet. Es wird als Bedrohung für andere Pflanzenarten angesehen. Dabei wurde das Drüsige Springkraut bereits im 19. Jahrhundert an der Elbe vorkommend beschrieben. „Auch im Dorfbachtal bei Hinterhermsdorf wurde schon in den 1950er-Jahren ein Vorkommen beschrieben“, sagt Riebe. Er vermutet, dass das extra ausgewildert worden sein könnte, als Blütentracht für die Honigproduktion.

„Ohne die beharrliche Arbeit von Holm Riebe wäre das Buch wohl nicht entstanden“, ist sich der Sprecher der Nationalparkverwaltung, Hanspeter Mayr, sicher. Es gebe nichts Vergleichbares. Kein riesiges Team von Wissenschaftlern hat daran gearbeitet, sondern Holm Riebe und ein Dutzend Fachleute und Hobbybotaniker mit jeder Menge Enthusiasmus. Sie zogen in unregelmäßigen Abständen aus, um Daten zu liefern. Je nachdem, wie es die Zeit erlaubte. „Das ist unsere Inventarisierung“, sagt Riebe und muss schmunzeln.

Für andere Regionen, wie etwa die Oberlausitz, würden zahlreiche Floras existieren, so Mayr. Für die Sächsische Schweiz ist lediglich die Flora von Ernst Hippe bekannt, der einst die Mühle in Thürmsdorf besaß. Vor 140 Jahren hatte er ein schmales Büchlein verlegt. Auch er hatte damals schon über 1 000 Pflanzen der Sächsischen Schweiz aufgeführt.

„Davon müssen wir heute aber 175 Arten als in der Sächsischen Schweiz ausgestorben betrachten“, sagt Riebe. Dazu gehört etwa das Kleine Knabenkraut, eine Orchideenart, die vor 100 Jahren noch auf vielen Wiesen zu finden war. Es braucht ungedüngte Standorte. Warum es im Elbsandstein ausgestorben ist, müsste noch erforscht werden. Der Artenschützer bezeichnet die Zahl von 175 ausgestorbenen Arten aber noch als „moderat“.

Gern haben bei der Artenzählung auch die Kollegen der Nationalparkverwaltung geholfen. Doch das ging nur in begrenztem Maße. Dass sämtliche heimische Baumarten – es sind 30 für Sachsen – vorhanden sind, konnte bald ermittelt werden. Der Hinweis, dass an dieser oder jener Stelle eine Brombeere wächst, war aber zu wenig, für die Kartierung. „Es gibt 400 verschiedene Brombeerarten, da braucht man schon besonderes Wissen, um sie unterscheiden zu können“, sagt Riebe.

Von Anfang an gehört er zum Team der Nationalparkverwaltung. Die Botanik war und ist die Passion des studierten Informatikers. 1992 wurde das Projekt zur Artenzählung angeschoben. Das jetzt erschienene Werk würde sich auch bestens für den Biologie-Unterricht eignen, sind die Macher überzeugt.

„Farn- und Blütenpflanzen der Sächsischen Schweiz“, 27 Euro, vorerst nur im Nationalparkzentrum Bad Schandau (NPZ) erhältlich, später auch im Buchhandel; Buchvorstellung, 15. März, 18 Uhr, NPZ