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Innere Ruhe

Heute lernen in Glashütte 190 Jugendliche Uhrmacher. Doreen Krönert ist sicher: Das können auch Männer.

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© Thomas Kretschel

Von Georg Moeritz

Bevor Doreen Krönert zur Pinzette greift, streift sie Fingerlinge über. Sechs Stück, Größe M. Davon gibt es genug in der Box an der Wand. Uhrmacherlehrlinge müssen vorsichtig sein. „Man muss die Ruhe haben“, sagt die 28-Jährige „Man muss sagen, ich will das, ich krieg das hin.“ Nun sitzt sie unter einer Lehrtafel zur Kolbenzahn-Ankerhemmung und zielt mit ihrem Werkzeug auf eine winzige Schraube.

Aus Königstein ist Doreen Krönert nach Glashütte gezogen, nachdem sie sich bei allen Uhrenfabriken im Müglitztal beworben hatte. Bei Mühle-Glashütte GmbH bekam sie ihre Lehrstelle. Ihr Chef Thilo Mühle zeigt lieber seine großen Chronometer für die „Aida“-Kreuzfahrtschiffe vor, als unter der Augenlupe Minimetalle zu sortieren. „Uhrmacher, das ist nicht mein Beruf“, gibt der Firmenchef zu. Er ist gelernter Werkzeugmacher und nicht immer innerlich ruhig. Als Schüler hat er mal bei einer Besichtigung in einem Uhrenbetrieb falsch ausgeatmet und dann mit rotem Kopf die kleinen Teile wieder eingesammelt.

Der Mühle-Geschäftsführer will allerdings keine Entscheidung in der Frage treffen, ob Frauen oder Männer für die Feinstarbeit besser geeignet sind – und auch Doreen Krönert hält Frauen nicht für generell geschickter. Immerhin kam sie über einen Freund zu diesem Beruf. Der war Uhrmacher, zeigte ihr seine Werkstatt: „Da wusste ich, das wollte ich machen.“ Am meisten Freude im Beruf macht ihr der Service an Uhren, die schon jemand getragen hat. Eine Uhr öffnen und reinigen, das gefällt ihr. Manche Kunden schicken Briefe mit, in denen sie beschreiben, was dem Zeitmesser zugestoßen ist, etwa ein Verkehrsunfall.

Kaum Abbrecher

Der Chef gibt solche Briefe gerne seinen Mitarbeitern zu lesen. „Der Kunde hat viel Geld ausgegeben, von dem wir hier leben“, sagt Thilo Mühle. Noch mehr Geld geben die Kunden in der Regel für Uhren der Nachbarmarken aus: Lange & Söhne, Glashütte Original, Union oder Nomos.

Glashütte ist dank der Uhrenindustrie zu einem Vorzeige-Ort im Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge geworden, der zu den ärmsten in Deutschland gehört. Die Uhrenfertigung wurde dort gezielt angesiedelt, um etwas gegen die Verarmung zu unternehmen – im Jahr 1845 begann die Ausbildung der ersten 15 Lehrlinge. Damals war der Abbau von Silber und Eisenerz längst zum Erliegen gekommen, ein Teil der Einwohner schlug sich mit Strohflechten durch. Ob es jemals eine Glashütte in dem Ort gab, ist nicht bekannt, heißt es im Uhrenmuseum. Mehr wissen die Historiker über die Entwicklung der Uhrmacherschule, aus der zeitweise eine Ingenieurschule wurde. „Die Lehrlinge im ersten Lehrjahr erhalten ihren Arbeitsplatz im dritten Licht“, ist in einem alten Bericht im Museum zu lesen. Fensterplätze waren für Fortgeschrittene, Anfänger mussten feilen.

Heute ist das Licht besser, ob in der Uhrmacherschule Alfred Helwig des Unternehmens Glashütte Original oder in der Uhrmacherschule, die als Berufsschule die Lehrlinge aller Betriebe unterrichtet. Feilen gehört allerdings immer noch zur Materialkunde – zum Kummer mancher Lehrlinge. Eine Auszubildende verließ das Unternehmen Mühle im ersten Lehrjahr. Laut Ausbildungsleiterin Ines Schönfeld will die junge Frau lieber noch einmal zur Schule gehen und das Abitur machen.

Von den Uhrmacher-Lehrlingen brechen nur wenige die Ausbildung ab, sagte bei einem Glashütte-Besuch vor Kurzem Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. In anderen Berufen wechselt nach jüngsten Statistiken jeder vierte Lehrling den Betrieb oder den Beruf, bei Köchen laut Becker jeder zweite. Uhrmacher habe dagegen wohl eine „gewisse Exklusivität“, sagte Karl-Heinz Herfort, Hauptabteilungsleiter Berufsbildung in der Handwerkskammer Dresden. Da stimmte Schulbesucher Becker zu, vor allem nachdem er selbst eine Übungsaufgabe mit Augenlupe und sehr kleinen Schrauben hatte lösen müssen.

190 Schüler lernen zurzeit in Glashütte, verteilt auf drei Lehrjahre. Die meisten machen eine duale Ausbildung, haben also einen Lehrvertrag bei einem der Uhrenbetriebe. Doch eine Klasse pro Jahr besteht aus Berufsfachschülern, die Vollzeitunterricht an der Uhrmacherschule nehmen. Laut Leiterin Marion Vogler hat der Andrang aber auch in diesem Beruf nachgelassen: Es gab mal 120 Bewerber für die Berufsfachschule, zuletzt noch 40. Lehrer Heiko Stefan berichtet, die Klassen seien wieder kleiner geworden, das sei auch angenehmer. Die jüngsten Schulabgänger hätten „etwas länger“ nach einer Stelle suchen müssen als in den Jahren zuvor, aber jeder habe wohl etwas gefunden.

Vor zehn Jahren hatte Swatch-Chef Nicolas Hayek die Parole ausgegeben: „Uhrmacher, kommt bitte alle zu uns!“ Zu Swatch gehören Glashütte Original und Union Glashütte. Auch Thilo Mühle beobachtet, dass die Großunternehmen ihre Aktivitäten etwas zurückfahren. Er selbst ist mit einem bis zwei Lehrlingen pro Jahr für seinen Betrieb mit 58 Mitarbeitern zufrieden. Sie stellen pro Jahr mit 7,5 Millionen Euro Umsatz etwa 7 500 Uhren her und machen 3 600 Revisionen und Umbauten. Ruhe gehört für Mühle immer noch dazu: „Wo Uhrenindustrie ist, ist nichts los.“ Das Ticken entsteht im Müglitzal, im Schwarzwald oder Schweizer Jura, „das sind immer tiefe Täler mit wenig Rahmenprogramm“.