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In die Karten geschaut

Yvonne Burmann legt seit 17 Jahren Tarotkarten und wirft für uns einen Blick ins Jahr 2016. Alle Angaben ohne Gewähr.

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© Sven Ellger

Von Anna Hoben

Fangen wir harmlos an: Wie wird der Sommer, Frau Wahrsagerin? Yvonne Burmann zieht an ihrer Zigarette und denkt nach. Die 40-Jährige mit dem lockigen schwarzen Haar sitzt in ihrem Arbeitszimmer an einem runden Tisch. Orangefarbene Vorhänge, Ofen in der Ecke, viele Pflanzen. Es ist kalt, aber gemütlich.

Normalerweise befragt sie ihre Karten zu Dingen, die ihre Kunden privat beschäftigen. Aus allen beruflichen Bereichen kommen die, Handwerker zum Beispiel habe sie häufig da, sagt Burmann, „die sind gut drauf“. Stammkunden kommen etwa ein- bis zweimal im Monat, wenn sie eine Krise haben; dann wieder ein Jahr nicht. Wenn sich jemand zu sehr von ihr abhängig macht, schickt sie ihn wieder weg. „Die Menschen müssen selber leben.“

Dieses Mal ist das Kartenlegen mehr politisch als privat. Für die Zeitung wirft Yvonne Burmann einen Blick in die Zukunft der Stadt Dresden. Wer nicht mindestens fünf Prozent Unvernunft, Aberglauben oder Spieltrieb in sich trägt, hört an dieser Stelle besser auf zu lesen.

Die Wahrsagerin hat in den Kartenstapel gepustet, um die Energie des vorherigen Fragers zu entfernen. „Sonst ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieselben Karten gezogen werden.“ Weitere Regeln: Mischen und ziehen muss der Fragende, „dann habe ich mehr Distanz“. Gelegt wird mit links, „das ist die Hand der Intuition“. Die rechte Hand drückt den Willen aus, und der interessiert nun wirklich nicht, wenn man das Schicksal befragt.

Das Wetter also. Neun Karten liegen nun vor Yvonne Burmann. Sie raucht und schaut. „Na ja“, sagt sie schließlich, „es geht nicht so steil nach oben“. Im Mai wird es warm, dann kommt eine ausgedehnte Regenphase, und schließlich, Ende Juli, Anfang August, wird es heiß. „Aber nicht so heiß wie dieses Jahr.“ Und der Regen, muss der uns Angst machen? „Es wird Hochwasser geben, aber nur ein kleines.“

Die Dresdner Parallelgesellschaft

Harter Übergang, aber so ist das im Leben ja auch oft: Wie geht es mit den Flüchtlingen weiter? Mischen, ziehen, legen. Nachdenkliche Wahrsagerin. „Es werden noch mehr, das ist klar. Viele Dresdner verfallen in Panik. Da werden archaische Ängste geweckt. Solche wie die vor der bösen Hexe und dem Wolf. Die Flüchtlinge sind eine Herausforderung für Dresden, vor allem eine mentale.“ Nun, das ist nicht neu. Doch werden die Menschen ihre Ängste überwinden? Yvonne Burmann schaut auf die Karten. „Es wird noch fünf bis sieben Jahre dauern, bis die Dresdner sich daran gewöhnt haben.“ Die Stadt werde aber letztlich profitieren. „Eine leichtere Lebensform entsteht. Die Atmosphäre wird sich zum Positiven verschieben.“

Das klingt schön, aber: Was ist denn mit all den befürchteten Problemen, die auf uns zukommen bei der Integration so vieler Menschen aus anderen Kulturkreisen? Yvonne Burmann wiegt den Kopf hin und her. Entstehende Parallelgesellschaften sieht sie nicht in den Karten. Überhaupt: Sei die Dresdner Kleinfamilie nicht auch eine Parallelgesellschaft? Lachen. Mitunter mischt sich auch bei der Wahrsagerin die eigene Meinung in die Kartenleserei. Die Frage zur Kleinfamilie dürfte in die Kategorie Meinung gehören.

Nun denn. Was wird 2016 aus Pegida? Mischen, ziehen, legen. „Oh“, entfährt es der Wahrsagerin. Sie blickt besorgt. Der Korbstuhl knarzt, sie legt die Hände hinter den Kopf. „Anfang des Jahres bekommt Pegida noch mal richtig Aufwind. Es werden wieder mehr Demonstranten. Sie werden sich radikalisieren, und sie werden gewaltbereiter. Die Polizei muss mit Hundertschaften anrücken und die Versammlungen auflösen. Das Ende von Pegida wird von außen kommen, nicht von innen. Pegida wird verboten werden müssen, aber das ist noch ein langer Prozess.“

Aha? Das macht neugierig. Was wird denn dann aus Lutz Bachmann? Wieder ein neues Set Karten. Doch dieses Mal sprechen sie nicht ganz eindeutig, Yvonne Burmann braucht noch vier zusätzlich. Sie schweigt eine Weile, dann sagt sie: „Der kommt irgendwie durch.“ Sein Hauptgefühl sei: Er mache etwas Tolles. Das bekomme er auch von seinem Umfeld gespiegelt. „Immer wieder gibt es zwar kleine Stiche von außen, aber er spürt vor allem die Anerkennung und fühlt sich gut.“

Okay, man könnte sagen, das ist vor allem Psychologie. Dann wird’s interessant. „Wenn die Sache kippt mit Pegida“, sagt Burmann, „so in einem Jahr, dann muss er sich verdrücken“. Das Ende von Pegida werde eine Krise bei ihm auslösen. „Ihm wird mulmig, er packt die Koffer und verlässt Deutschland. Er zieht aufs Land und taucht unter. Nicht gerade Kambodscha, er bleibt schon in Europa, Masuren zum Beispiel.“ Lutz Bachmann, ein Flüchtling? In Polen? Lustige Vorstellung.

Und derweil in Dresden? Letzte Frage, schöne Frage: Bleibt die Landeshauptstadt auch Geburtenhauptstadt? Mischen, ziehen, legen. Rauchen, gucken, interpretieren. „Dresden bleibt auf jeden Fall gebärfreudig“, sagt Yvonne Burmann. „Die Familie wird immer im Mittelpunkt stehen.“ Das sind doch gute Aussichten. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Jedem Ende auch. In diesem Sinne: ein spannendes, fröhliches und gelassenes neues Jahr.