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Immer weniger Tagebau, immer mehr See

Zwei Jahre nach dem Ende der Kohleförderung verändert die Ex-Grube Cottbus-Nord täglich ihr Gesicht.

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© Leag

Von Tilo Berger

Die letzte Fahrt dauerte wie immer rund 20 Minuten. Dann kippte Lokführer Malte Helm per Knopfdruck die Fracht seiner 16 Waggons in den Kohlebunker des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde. Es war der letzte von etwa 22 000 Kohlezügen, die seit 1981 vom Tagebau Cottbus-Nord zum nahen Kraftwerk gefahren waren. Die Statistik endete bei rund 220 Millionen Tonnen Rohbraunkohle. Gut viermal so viel Erde – der Abraum – musste über die Jahre beiseitegeräumt werden, um an das Kohleflöz zu kommen. Jetzt gab Cottbus-Nord keinen Rohstoff mehr her, Bergleute sagen dazu: Der Tagebau war ausgekohlt. Zum ersten Mal schickte der Vattenfall-Konzern, der damals im Lausitzer Kohlerevier das Sagen hatte, einen Tagebau planmäßig in den Ruhestand. Chronisten notierten den 23. Dezember 2015.

Die insgesamt elf Kilometer langen Gleise von einst liegen längst nicht mehr. Mit ihnen verschwanden 26 Weichen, drei Brücken, jede Menge Kabel, ungefähr 18 000 Schwellen und 30 000 Tonnen Schotter. Zwei große Bagger verkaufte Vattenfall an ein kroatisches Bergbauunternehmen, über vier andere Bagger und die riesige Abraumförderbrücke machten sich Schneidbrenner her.

Im Vergleich zu den Baggern sind die Geräte, die sich heute im ausgekohlten Tagebau tummeln, mehr als nur eine Nummer kleiner. Dumper und Raupen verteilen Erde und modellieren so den Untergrund des künftigen Cottbuser Ostsees. Um die Ausfahrt der einstigen Kohlebahn zu verfüllen, müssen 17 Millionen Kubikmeter Erde ihren Platz wechseln – da würde die Cheopspyramide in Ägypten sechseinhalbmal hineinpassen. Von 26 Kilometern Ufer rund um den See sind rund drei Viertel fertig. Damit kein lockerer Sand ins Rutschen kommen kann, setzen die Tagebausanierer auf die sogenannte Rütteldruckverdichtung. Dabei hängt eine Lanze an einem Kran und vibriert tief im Boden wie ein Pendel. Etwa 50 Millionen Kubikmeter Abraum werden auf diese Weise verdichtet, rund 26 Millionen davon sind erledigt. In diese Arbeiten teilen sich die Lausitz Energie Bergbau AG (Leag) und die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV). Die Leag trat im Herbst 2016 die Nachfolge von Vattenfall an und saniert den Bereich des Ex-Tagebaus, der seit 1990 in Betrieb war. Für die sogenannten Altlasten aus DDR-Zeiten ist die staatseigene LMBV zuständig.

Zwei Milliarden Badewannen

„Bis Ende 2018 wollen wir mit dem Großteil der Arbeiten fertig sein“, kündigt Leag-Chef Helmar Rendez an. Fertig heißt zum einen: Es kann Wasser fließen. Dazu zapft das Unternehmen vier bis sechs Jahre lang einen Nebenarm der Spree an. Wenn der Ostsee gefüllt ist, fasst er so viel Wasser wie etwa zwei Milliarden Badewannen. Fertig sein heißt zum anderen aber auch: Es wird einiges anders als ursprünglich geplant. So geraten einige Böschungen zwischen dem künftigen See und den nächsten Ortschaften höher, um die Anwohner besser vor einem möglichen Hochwasser zu schützen. Jens Sell vom brandenburgischen Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe zufolge soll der See auch als Wasserspeicher für die Spree und den Spreewald dienen. „Der Schwerpunkt liegt aber eindeutig auf dem Tourismus.“

Dazu gibt es im Cottbuser Rathaus und in den Anliegergemeinden viele Ideen. Fahrgastschiffe sollen auf dem See kreuzen, zwei Häfen sollen Platz für insgesamt 400 Sportboote bieten. Der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) sieht vor seinem geistigen Auge mitten im See schon eine Pyramide stehen – nach dem Vorbild des Branitzer Pückler-Parks.

Die überarbeiteten Pläne für die Umgestaltung des Ex-Tagebaus liegen derzeit öffentlich aus, unter anderem im Cottbuser Rathaus. Wer alles lesen will, muss Zeit für zwölf Aktenordner mitbringen. Bis zum 26. Januar können dann neue Änderungsvorschläge eingebracht werden, die voraussichtlich im Mai öffentlich erörtert werden, kündigt Jens Sell vom Bergbauamt an.

Beim Tagebau Cottbus-Nord stand bereits zu DDR-Zeiten fest, dass aus der Grube mal ein See wird. Die ersten Planungen dazu gab es 1975 – im selben Jahr begann die Entwässerung des Geländes, damit die Bergleute ab 1981 trockenen Fußes an die Kohle kamen. Nach seiner Flutung soll das neue Gewässer der größte See des Landes Brandenburgs sein. Mehr noch: Einen größeren, künstlich angelegten See gibt es in ganz Deutschland nicht.

Bis dahin fließen in den Wandel vom Tagebau zum Ostsee mehr als 250 Millionen Euro. Für dieses Projekt hat das Bergbauunternehmen Geld zurückgelegt. Genug Geld, wie Leag-Chef Rendez betont: „Der Cottbuser Ostsee wird zeigen, dass die gebildeten bergmännischen Rückstellungen vollkommen ausreichend sind. Wir sind froh, dass wir diesen praktischen Nachweis liefern können.“

Das Geld fließt aber nicht allein in einen sicheren Seeboden und feste Böschungen rund um den Ostsee, sondern auch nach Senftenberg. Hier betreibt die LMBV die Flutungszentrale Lausitz. Mitarbeiter können hier per Mausklick steuern und auf Monitoren sehen, wie viel Wasser aus Flüssen wie Neiße, Spree und Schwarzer Elster in die ehemaligen Tagebaue des Lausitzer Reviers fließt. Die Flutungszentrale war bisher eine reine LMBV-Angelegenheit. Jetzt steuert erstmals die Leag Geld bei, weil auch einer ihrer Tagebaue geflutet wird.

Nach dem planmäßigen Aus für Cottbus-Nord betreibt der Konzern jetzt noch vier Tagebaue: Nochten und Reichwalde bei Weißwasser, Welzow-Süd bei Senftenberg sowie Jänschwalde bei Cottbus. Weitere Kohlegruben soll es in der Lausitz nicht mehr geben. Im Frühjahr dieses Jahres hatte die Leag ein neues Revierkonzept vorgelegt, das bis an die Schwelle der 2040er-Jahre reicht. Dem Papier zufolge bleiben lediglich die langfristigen Pläne für den Tagebau Reichwalde unverändert. Der Tagebau Nochten gerät deutlich kleiner als ursprünglich geplant. In Jänschwalde will die Leag noch etwa fünf Jahre lang den Bodenschatz fördern. Das Kraftwerk wird dann noch einige Jahre mit Kohle aus anderen Tagebauen beliefert. Wie es mit dem Tagebau Welzow-Süd weitergehen soll, will die Leag bis 2020 entscheiden.

Viel hängt davon ab, wie sich die künftige Bundesregierung zur Energiepolitik positioniert. Gegen einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle spricht aus Sicht des Leag-Chefs nicht nur der Beitrag, den der Energieträger nach wie vor zu einer sicheren Stromversorgung in Deutschland leistet. Etwa jede zehnte Kilowattstunde komme aus der Lausitz, wo der Abbau und die Verstromung von Kohle rund 8 000 Menschen Arbeit gibt, sagt Helmar Rendez. Auch wenn erneuerbare Energiequellen immer mehr Strom liefern, so lässt dieser sich bislang nicht speichern. Bei Dunkelheit produziert kein Solarmodul Strom, bei Flaute kein Windrad.

Kein überstürztes Ende

Der Leag-Chef sieht aber auch noch einen technischen Grund, der gegen die schnelle Abschaltung von Kraftwerken spricht. Geht so ein Energieriese von heute auf morgen vom Netz, braucht er auch keine Kohle mehr. Zurück bleibt ein Tagebau mit ungesicherten Rändern und mit Pumpen, die Grundwasser absaugen. „So ein Tagebau lässt sich nicht einfach anhalten, das muss geplant werden“, sagt Rendez – und nennt als Beispiel Cottbus-Nord.