Merken

Im Bett mit dem HSV

Steffen Heidenreich hat sich im Dynamo-Stadion verliebt: in den HSV. Seit 44 Jahren hält die Fernbeziehung nun schon.

Teilen
Folgen

Von Peggy Zill

Coswig. Die Gardine ist eine Clubfahne, von der Decke hängt eine HSV-Leuchte, am Bettgestell Fanschals und an der Wand unzählige Fotos, Autogrammkarten und Wimpel. Steffen Heidenreich schläft sogar in blau-schwarz-weißer HSV-Bettwäsche. Und das letzte, was er vorm Einschlafen sieht, sind die Poster, die er an die Zimmerdecke geklebt hat.

Schräg gegenüber vom K-Block, inmitten von 3 000 Hamburger Fans, wird der Coswiger am heutigen Dienstagabend Platz nehmen und seine Mannschaft anfeuern. Genau hier begann seine große Leidenschaft vor 44 Jahren. Als Zehnjähriger sah er 1974 das Europapokalspiel Dynamo-Dresden gegen den HSV. Damals noch als Fan der Schwarz-Gelben. „Nach dem Spiel nicht mehr“, erzählt er. „Der damalige Elfmetertöter Rudolf „Rudi“ Kargus hielt in dem Spiel zwei Elfer. Da dachte ich ‚Geile Mannschaft!‘“. Heimspiele zu besuchen, war zu DDR-Zeiten aber nicht möglich. „Im Dezember 1989 war ich zum ersten Mal in Hamburg.“

So eine kurze Anreise wie am heutigen Dienstag hat der 53-Jährige selten. Als Dauerkarteninhaber verpasst er keines der 17 Heimspiele im Jahr. Punkt 5.36 Uhr steigt er dafür jedes Mal am Spieltag in den Zug. Unterwegs trifft er Freunde aus dem HSV Fanclub Nordsachsen. Wenn er kurz nach Mitternacht wieder in Coswig ankommt, hat er genau 1 008 Kilometer zurückgelegt. Wäre das Leben als Dynamo-Fan nicht einfacher? Immerhin könnte er dann zu den Heimspielen radeln. „Ein Vereinswechsel kommt nicht infrage!“

Eben weil der Weg so weit ist, hat auch Steffen Heidenreich Hamburgern eine kostenlose Unterkunft angeboten. Nachdem die Begegnung am 1. September kurzfristig abgesagt worden war, breitete sich eine Solidaritätswelle aus. „Zwei Leute hätten hier schlafen können, die das erste Mal umsonst nach Dresden gefahren sind.“ Es meldete sich aber nur eine Gruppe von vier Fußball-Fans. So viel Platz ist in der kleinen Neubauwohnung am Mittelfeld aber nicht. „Schade, ich hätte gern jemanden aufgenommen“, sagt Steffen Heidenreich.

Unter den anderen Fans und auch im Verein ist der selbst ernannte HSV-Sachse schon bekannt. Er wurde sogar zum „Fan des Tages“ gekürt. Auf einem Kran ging es zusammen mit Lotto King Karl und Stadionsprecher Dirk Böge vor die Nordkurve. „Dort haben wir ‚Hamburg, meine Perle‘ gesungen“, erzählt Steffen Heidenreich. „Das ist das Größte, was einem HSV-Fan passieren kann.“ Und auch die Kamerafrau im Stadion kennt den Sachsen. „Ich bin bei jedem Spiel auf der Anzeigetafel zu sehen.“ Unrasiert. „Das bringt sonst Unglück.“

Seinen Sohn Bassi hat er mit dem HSV-Fieber angesteckt. Der 14-Jährige war in der HSV Fußballschule. Heute Abend wird er mit im Dynamo-Stadion sitzen. Manchmal darf er auch mit nach Hamburg. „Schule ist aber wichtiger“, meint der Papa.