Merken

„Ich war auf dem Großenhainer Patenschiff“

Erna Preißler (87) erinnert sich an die V 85, seit 1977 Patenschiff der Stadt. Sie erlebte eine turbulente Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages mit.

Teilen
Folgen
© Kristin Richter

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Erna Preißler, Jahrgang 1931, war in der DDR Leiterin der Wäscherei auf der Rosa-Luxemburg-Straße. Sie hatte zwar 100 Mitarbeiter unter sich, aber mit der Seefahrt eigentlich nichts zu tun. Doch ihr verstorbener Mann Karl-Heinz war Berufskraftfahrer – erst beim Kraftverkehr, dann für die Hausbelieferung in der Wäscherei. Er saß 1977 auf dem Bock eines B 1000, der acht Personen transportieren konnte. Das war der Ausschlag, dass Erna Preißler im Juni vor 41 Jahren einen Anruf erhielt: „Karl-Heinz muss uns am Wochenende nach Wustrow an die Küste fahren, und du darfst auch mit“, sagte man Erna Preißler.

Die V85 war ein Erprobungsschiff der Marine.
Die V85 war ein Erprobungsschiff der Marine. © privat
Kapitän Knut Kernbach stammte aus Großenhain, wohnte früher im Fuchsbau.
Kapitän Knut Kernbach stammte aus Großenhain, wohnte früher im Fuchsbau. © privat
Im Gespräch: Bürgermeister Wanke, zwei Besatzungsmitglieder, R. Leppchen. (v.l.)
Im Gespräch: Bürgermeister Wanke, zwei Besatzungsmitglieder, R. Leppchen. (v.l.) © privat

Die Stadt sollte ein Patenschiff bekommen, wie das damals so üblich war. Die V 85 sollte es werden – ein Erprobungsschiff der Marine. Offizieller Name des Schiffes war „Gerhard von Scharnhorst“. Der Kapitän war allerdings ein Großenhainer: Knut Kernbach. Der stammte aus dem „Fuchsbau“ an der Radeburger Straße. Dort hatte auch Karl-Heinz Preißler als Junge mit ihm oft zusammen gespielt. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Die Stadt brauchte einen Fahrer, denn neben Bürgermeister Otmar Wanke und Stadträtin Maria Reinisch sollten noch vier weitere Großenhain-Vertreter zur Vertragsunterzeichnung mitfahren, unter anderem Stadtrat Rudi Leppchen, der Leiter der Spezialschule für Landtechnik. „Am Freitagnachmittag ging es los“, erinnert sich Erna Preißler. Übernachtet haben die Großenhainer auf der V 85. Wolgast war damals die Garnisonsstadt der DDR-Volksmarine. Am Sonnabend dann wurde auf hoher See zwischen Kap Arkona und Stubbenkammer der Patenschaftsvertrag des Schiffes mit der Stadt Großenhain unterzeichnet. Auch die Stadtfahne soll gehisst worden sein. Offiziell ging es darum, die Armeeangehörigen an die Bevölkerung zu binden. Inhalt der Patenschaft sind vor allem gegenseitige Besuche. So waren Besatzungsmitglieder gerngesehene Gäste beim Stadtfest, bei der Parade zum 1. Mai oder am Tag der Republik, am 7. Oktober.

Zum ersten Mal auf einem Schiff

An das Politische erinnert sich die heute 87-jährige Erna Preißler nicht mehr, sie sei beim feierlichen Unterzeichnungsakt auch gar nicht dabei gewesen. Aber eine Schiffsführung ist ihr noch im Gedächtnis. Und natürlich an die Chance, die Jacht von Erich Honecker von weitem zu begutachten. „Darauf haben sie uns extra hingewiesen“, weiß die Großenhainerin noch.

Erna Preißler war damals zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Schiff. „Ich hatte ein bissel Angst“, gibt die Seniorin zu. Doch erstaunt war sie, wie viele Matrosen sie hier erblickte. Überliefert ist aber auch, dass die Besatzung aus Zivilisten bestand. Am Sonnabendabend gab es jedenfalls ein großes Dinner an Land. „Es war unmöglich, was es da zu essen gab – da gingen einem die Augen über“, hat Erna Preißler noch in Erinnerung. Vieles hätte sie gar nicht gekannt. Aber auch der Alkohol floss wohl in Strömen. „Noch am nächsten Morgen waren alle betrunken“, gibt die Großenhainerin unumwunden zu. Doch ihr Mann musste nüchtern sein, als er am Sonntagmittag die kleine Delegation wieder zurück an die Röder brachte.

In Großenhain mussten alle natürlich viel erzählen. In der Sächsischen Zeitung erschien ein großer Bericht. Manche dachten auch, dass das Schiff auf den Namen „Großenhain“ getauft wurde, was aber nicht stimmt. Im Nachhinein ergaben sich viele persönliche Kontakte der Crew mit Einwohnern. Sogar eine Ehe ist aus dieser Patenschaft hervorgegangen: Die von Anja und Gerhard Oldenburg.

Mit der Wende kam das Ende der Patenschaft. Die V 85 wurde nach Belgien verkauft. Die Besatzung ging auseinander. Knut Kernbach und seine zweite Frau Elfriede blieben aber in Wolgast und betrieben ein Fahrgastschiff auf der Ostsee.

In Großenhain scheint das offizielle Andenken an diese Patenschaft jedoch ausgelöscht. Auf eine Anfrage von Erna Preißlers Schwiegersohn Jürgen Sonntag in der Stadtverwaltung nach Material hieß es, das sei alles entsorgt worden.