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„Ich vermittle Botschafter“

Abdo Khallouf ist ein Rädchen in der deutschen Bürokratie geworden. Er bringt Flüchtlinge und Arbeitgeber zusammen.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa/Elbland. Wahrscheinlich ist Abdo Khallouf deutscher als die meisten anderen Deutschen – zumindest, wenn man nach den klischeemäßigen Tugenden Pünktlichkeit und Ordnung geht. Sein Büro bei der Agentur für Arbeit in Riesa zeugt davon: kein Blatt zu viel auf dem Schreibtisch, akkurat aufgehängte Kalender an der Wand. Einzelne Tage sind ordentlich mit grünem Textmarker ausgemalt. Dass er diese Eigenschaften besitzt, hat Khallouf – 39 Jahre alt, rundes, freundliches Gesicht – schon in Syrien gemerkt. Das war ein Grund, warum er sich für ein Studium in Deutschland entschieden hat. Damals, 2007. „Ich bin Maschinenbauer. Und Maschinen und Deutschland, das gehört irgendwie zusammen.“ Daher habe er angefangen, sich für das Land zu interessieren – und die Sprache zu lernen. „Meine Deutschlehrerin damals war Deutsche. Ich habe sie ausgefragt.“ Er habe alles über Deutschland wissen wollen. „Schon damals fand ich mich irgendwie deutsch“, sagt er lachend. Also ging er nach Dresden, um sich im Bereich Textiltechnik weiterzubilden.

Wie er bei der Arbeitsagentur gelandet ist? „Reiner Zufall“, sagt er. Dass er einmal in einer deutschen Behörde arbeiten würde, wäre Abdo Khallouf nicht in den Sinn gekommen, als er in Deutschland ankam – nicht mal, als er 2010 seinen künftigen Arbeitsplatz erstmals betrat: „Ich habe 2010 hier in Riesa geholfen, die neue Technik anzuschließen. Das war ein Studentenjob.“

Noch bevor der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, entschied sich Khallouf, zu bleiben – zunächst in Dresden an der Uni, wo er in der Forschung arbeitete. „Als immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen, habe ich angefangen, mich ehrenamtlich zu engagieren.“ Er übersetzte, half den Ankommenden bei Behördengängen. Er selbst hat noch lebhafte Erinnerungen an den ersten deutschen Antrag, den er selbst ausfüllen musste: einen zehnseitigen Antrag auf Aufenthalt – zehn Seiten Behördensprache auf Deutsch. Das Gefühl, das er damals hatte, beschreibt er so: „Angst davor, auch nur ein Kreuzchen an der falschen Stelle zu setzen – und sich dadurch alles zu verbauen.“

Die Angst vor dem falschen Kreuzchen hat Abdo Khallouf, der inzwischen auch den deutschen Pass hat, heute nicht mehr. „Ich habe mit der Zeit gelernt, wie das Land läuft.“ Heute ist er selbst ein deutscher Behördenvertreter. Er hilft Flüchtlingen auf Jobsuche. Durch das Ehrenamt hatte Khallouf gemerkt, dass ihm die Arbeit mit den Menschen liegt. „Ich dachte, ich kann noch mehr tun.“ Da die Arbeitsagenturen vor zwei Jahren Mitarbeiter mit arabischen Sprachkenntnissen suchten, waren mehrere Stellen ausgeschrieben. Abdo Khallouf, der inzwischen mit Familie in Leipzig lebt, hatte die Wahl zwischen Wittenberg und Riesa. „Weil ich das Haus in Riesa ja schon kannte, habe ich mich für die Stelle hier entschieden.“ Einen Tag in der Woche verbringt der Arbeitsvermittler in der Geschäftsstelle in Meißen. Schließlich ist Khallouf erster Ansprechpartner für Flüchtlinge im gesamten Landkreis – von Riesa über Großenhain bis Radebeul.

Fünf Vermittlungen im Monat

Aus seiner befristeten Stelle ist im vergangenen Jahr eine Unbefristete geworden. „Herr Khallouf ist hier nicht mehr wegzudenken. Selbst wenn eines Tages keine Flüchtlinge mehr kommen sollten“, teilt Jörg Kunze, Vizechef der Riesaer Arbeitsagentur, mit. In diesem Fall könne er sich auch um alle anderen „Kunden“ kümmern – wie es bei der Arbeitsagentur heißt.

Sein Deutsch ist sehr gut, außerdem spricht Khallouf neben seiner Muttersprache Arabisch noch Englisch und ein bisschen Persisch. Nebenbei lernt er noch Türkisch. Türkisch? Dabei gibt es doch kaum Türken im Landkreis. „Das mache ich mehr aus eigenem Interesse.“ Sprache ist für Khallouf ein Schlüssel – und die größte Hürde für Ausländer auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. „Leider sind die Wartezeiten für Sprachkurse zum Teil sehr lang. Aber die Arbeitgeber möchten natürlich, dass die Mitarbeiter ihre Sprache sprechen.“ Im Durchschnitt vermittelt Khallouf fünf Menschen im Monat. Auf jeden Einzelnen ist er stolz. Hinter jeder Geschichte steckt sein Einsatz. „Ich betrachte die Leute, die ich vermittelt habe, als Botschafter. Sie ermutigen andere Arbeitgeber, auch Ausländer einzustellen. Und durch den persönlichen Kontakt werden Vorurteile abgebaut. Das ist mein Beitrag für mein neues Land.“

Für 130 Geflüchtete sucht Khallouf aktuell Jobs: 54 Arbeitslose plus Personen, die derzeit Maßnahmen der Arbeitsagentur oder Sprachkurse absolvieren, um ihre Chance für eine Vermittlung zu erhöhen. Die Herausforderung ist neben der Sprache, dass in den seltensten Fällen Berufsabschlüsse oder Zeugnisse vorliegen. „Da hat jemand als Maurer in seinem Heimatland gearbeitet, aber kann es nicht nachweisen.“ Ein Problem, das nur dadurch gelöst werden kann, dass die Jobanwärter zeigen, was sie können. So beginnen viele Arbeitsverhältnisse mit einem Praktikum.

Obwohl Abdo Khallouf voll und ganz in Deutschland angekommen ist – alles kann er auch nicht nachvollziehen. „Zum Beispiel, dass nicht alle Geduldete arbeiten dürfen. Sie könnten den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien selbst verdienen, aber man lässt sie nicht, und das bei dieser guten Arbeitsmarktlage.“