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Ich verlange 1.500 Euro für jeden

Eine bislang Unbekannte stößt mit der scheinbar verrückten Forderung nach einem Grundeinkommen auf Sympathie – in allen politischen Lagern.

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Von Sven Siebert, Berlin

Es begann mit dem Ärger über neue Belastungen für Tagesmütter und mit einer goldenen Postkarte. Neue Regelungen bedrohten Susanne Wiests Existenz. Die goldene Postkarte wies den Weg in eine bessere Zukunft. „Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?“ – Diese Frage steht auf der Karte. Sie ist Teil einer in der Schweiz beheimateten Kampagne für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Susanne Wiest, die eigentlich nur ihre eigenen Probleme lösen wollte, dachte über die Frage auf der Postkarte nach und beschloss, die Sache etwas grundsätzlicher anzugehen. Sie reichte im Bundestag eine Petition ein. „Um allen Bürgern ein würdevolles Leben zu gewährleisten, erscheint mir die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als guter Lösungsweg. Circa 1.500 Euro für jeden Erwachsenen und 1.000 Euro für jedes Kind“, schrieb sie. Anstelle des bisherigen Steuersystems solle eine einzige „hohe Konsumsteuer“ treten, aus der das Grundeinkommen und alle anderen Ausgaben des Staates zu finanzieren wären.

Ein paar Sätze nur. Die Resonanz war ungewöhnlich. 52.973 unterstützten Wiest im Internet. Gestern trug die 43-Jährige ihr Anliegen im Petitionsausschuss des Bundestages vor. Der Andrang war so groß, dass die Anhörung in Nebensäle übertragen werden musste. Anschließend wurde sie von ihren Anhängern mit Hochrufen empfangen.

Leben im Zirkuswagen

Die schmale Frau mit den roten Haaren, den großen grünen Augen und der sanften Stimme ist gerührt. Viele beglückwünschen sie, viele danken ihr. „Es ist die Idee“, sagt sie. Alles, die Unterstützung, die Sympathie, ein Fest in den Berliner Sophiensälen – das entstehe alles aus der „Kraft der Idee“. Es ist aber auch Susanne Wiest selbst, die mit ihrer Energie und Persönlichkeit diese Idee transportiert.

Wiest stammt aus Dillingen an der Donau, sie ist in München aufgewachsen, nach dem Abitur nach Westberlin gegangen und dann jahrelang mit einem ausrangierten Zirkuswagen durch die Republik gezogen. Sie wollte sich nicht heimisch fühlen, hat sie gesagt, sondern die Gesellschaft von außen betrachten. In Vorpommern ist sie sesshaft geworden.

Vier Kinder hat sie auf die Welt gebracht. Das erste starb an einem angeborenen Herzfehler, das zweite bei einem Unfall. Der Zeitung „taz“ hat sie gesagt, dass der Tod des zweiten Kindes für sie „ein Anstoß“ gewesen sei, „Verantwortlichkeit für das Leben“ zu übernehmen. Es ist diese Kombination aus Lebenskünstlerin, Lebenserfahrung und Entschlossenheit, die Wiest zu einer ungewöhnlichen Person macht.

Das haben in den vergangenen zwei Jahren viele erkannt. Die Schweizer Initiative für ein Grundeinkommen hat die Zusammenarbeit mit ihr gesucht, zu „Maischberger“ wurde sie eingeladen.

Die Abgeordneten des Bundestages traten ihr gestern mit einer Mischung aus Skepsis und Sympathie entgegen. Die Idee des Grundeinkommens hat Befürworter in allen Parteien. Auch wer nicht glaubt, dass ein milliardenschwerer Umbau unseres Wirtschafts- und Sozialsystems bezahlbar wäre oder funktioniere, kann sich Wiests Traum von der Befreiung des Menschen von den Zwängen der klassischen Erwerbsgesellschaft nicht ganz entziehen. Immer wieder trifft Wiest Menschen, die einwenden, kaum jemand würde mit Grundeinkommen noch arbeiten gehen. Ihnen stellt Wiest dann die Frage, ob das auch für sie selbst gelte. „Und die meisten sagen: Nein, ich würde weiterarbeiten.“

Wiest weiß selbst, dass vieles an ihrer Idee noch unausgegoren ist. Das stört sie nicht. Sie wünscht sich aber, dass der Gedanke „nicht mit der Finanzkeule erschlagen wird“. Über die Idee des Grundeinkommens spricht sie wie über die Kinder in ihrem privaten Kindergarten. Man solle sie „in Ruhe, mit Sorgfalt und Liebe wachsen lassen“.