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„Ich fühlte schon das Ende“

Eunice Bushieka hätte fast ihr Bein verloren. Medizinern im Radeberger Krankenhaus gelang fast ein kleines Wunder.

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© Thorsten Eckert

Von Jens Fritzsche

Radeberg. Nein, ein Wunder ist es nicht. Es ist die Kunst der Ärzte und Pflegekräfte der Radeberger Asklepios-ASB Klinik. Nämlich dass Eunice Bushieka so fröhlich mit ihrer fünfjährigen Tochter Kimora und ihrem Mann Kai Schönherr über die Krankenhausflure laufen kann. Nur einen kurzen Moment stoppt sie; am Zimmer 105. Hier hat die in Kenia geborene junge Frau bis Anfang August einen ganzen Monat lang gelegen. Isoliert, von Ärzten und Schwestern in Schutzkleidung betreut. Mann und Tochter durfte sie nicht sehen. Aber das ist vorbei, jetzt beginnt für die Familie aus dem benachbarten Ottendorf-Okrilla das Leben sozusagen noch einmal von vorn.

Ihren Anfang nimmt diese tragische Geschichte mit dem glücklichen Ende dabei im Dezember 2015 in Kenia. Eunice Buschieka war zu Besuch bei Verwandten in ihrer Heimat, hatte in einem Supermarkt eingekauft, wollte mit dem Motorroller das kurze Stück zurückfahren, als sie plötzlich von einem Auto frontal gerammt wurde. Der Aufprall war so heftig, dass sie über etliche Meter in ein Waldstück neben der Straße geschleudert wurde. Ihr rechtes Bein wurde dabei nahezu komplett zerstört. Schwere offene Brüche im Unter- und Oberschenkel, die Haut zerfetzt – und auch der Kopf war brutal in Mitleidenschaft gezogen. „Die Ärzte im Krankenhaus in Kenia wollten meinen Unterschenkel amputieren, da sei nichts mehr zu machen, sagten sie“, erzählt die junge Frau – und die Fröhlichkeit verschwindet kurz von ihrem Gesicht. Ihre Mutter und ihr Mann – sie hatten sich bei einem Urlaub in Kenia kennen- und liebengelernt – wollten sich damit nicht abfinden. Eunice Bushieka wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt, wo man die Knochen mit großen Nägeln zwar wieder zusammenfügte; doch die Schmerzen blieben. Auch die Haut wuchs nicht mehr über die Wunden, dass sie jemals wieder unbeschwert laufen würde, daran glaubte niemand mehr.

Zurück in Ottendorf-Okrilla quälte sich die junge Frau weiter, „bis wir dann ins Ärztehaus an der Radeberger Badstraße gingen“, erzählt Kai Schönherr, und die Erleichterung ist ihm deutlich anzumerken. Chirurg Dr. Matthias Graf erkannte schnell, was zu tun war – und er erkannte die Gefahr, dass die junge Frau ihr Bein letztlich doch noch verlieren könnte. Er sprach mit dem Chef der Orthopädie und Unfallchirurgie des Radeberger Krankenhauses, Oberarzt DM Matthias Wehner. „Und wir waren uns einig, dass wir hier unbedingt helfen müssen“, sagt er.

Schwere Monate für das Kind

Wohlwissend, dass da harte Monate vor dem medizinischen Personal, „aber natürlich vor allem vor der Patientin“ liegen würden. Massive Teile der Haut des rechten Beins waren noch immer schwerst geschädigt, die Knochen instabil, „und vor allem hatte die Patientin durch die zahlreichen Antibiotikagaben und die mangelnde Hygiene in den afrikanischen Krankenhäusern die schlimmsten multiresistenten Keime in den Wunden und im Knochen“, beschreibt Matthias Wehner das Ergebnis der Untersuchungen. Und er räumt ein, „dass es natürlich immer ein Risiko ist, solche Fälle im Krankenhaus zu haben.“

Aber durch strengste Hygiene und ständige Desinfektion, durch spezielle Medikamente „und die aufopferungsvolle, gewissenhafte Arbeit unseres Pflegepersonals ist es gelungen, die Keimbelastung auf Null zu bringen“, so der Oberarzt. Insgesamt fünf Operationen waren notwendig. Die kranke Haut wurde entfernt, die Knochen wurden ausgebohrt, stabilisiert und mit speziellen Medikamenten eingelegt, bis zuletzt ein Knochenersatzstoff mit einem hochpotentem Antibiotikum – eine Art Zement – zum Einsatz kam, „als Gerüst, an dem sich wieder neuer Knochen bilden konnte“, beschreibt Matthias Wehner seine Arbeit und die seines Teams. „Zum Schluss wurde ein Hautlappen so verlegt, dass die Wunden letztendlich gut verheilen konnten.“

Nun sitzen sich die Familie und der Arzt im Besucherraum des Radeberger Krankenhauses gegenüber. „Es ist schön, zu sehen, dass unsere Arbeit so erfolgreich gewesen ist“, klingt Matthias Wehner durchaus ein bisschen stolz. „Und wir können ja auch wirklich stolz sein“, sagt er. Und verweist darauf, dass der jungen Frau ein ganz besonderer Umstand zu Hilfe kam. Das Radeberger Krankenhaus ist im sogenannten Traumanetzwerk Ostsachsen aktiv. Einem Verbund aus Krankenhäusern zur Schwerverletztenversorgung, die sich um die Behandlung von Unfallopfern kümmern.

Das Radeberger Krankenhaus gehörte dabei 2013 zu den Gründern des Netzwerks. Seither ist das Krankenhaus auf schwere Massenunfälle vorbereitet, „und natürlich muss man heute auch an Terroranschläge denken – dafür müssen Abläufe festgelegt sein, müssen Voraussetzungen geschaffen werden, muss die notwendige Technik da sein“, beschreibt Oberarzt Wehner. Von der Einlieferung bis zur OP sollte möglichst wenig Zeit vergehen, „das bekommen wir hin“. Und natürlich sind Kliniken, die zum Traumanetzwerk gehören, auch auf schwerste Verletzungen und Komplikationen eingestellt.

Wie die von Eunice Bushieka, die jetzt sogar wieder tanzen kann, wie sie verrät. Die kleine, fröhliche Familie macht sich auf den Heimweg. Und Matthias Wehner sieht ihnen lächelnd nach.