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„Ich ess’ auch Fleischsalat aus dem Supermarkt“

Ein Riesaer mischt die kulinarische Szene in Berlin auf – mit vegetarischem Essen. Dafür gab es jetzt den ersten Stern.

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© PR/Ben de Biel

Riesa. Pink Floyd waren schon bei ihm essen, Tom Hanks und Jamie Oliver ebenfalls. Seit Jahren begeistert der Riesaer Stephan Hentschel mit der Küche im „Cookies Cream“ die Berliner Gastronomie-Szene. Der Clou: Die gesamte Karte ist vegetarisch. Nun wurden er und sein Team mit einem Michelin-Stern belohnt. Dabei fand Hentschel erst während der Lehre wirklich Gefallen am Kochen, erzählt er im Gespräch.

Herr Hentschel, noch vor ein paar Jahren haben Sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel gesagt, ein Michelin-Stern wäre utopisch. Jetzt haben Sie ihn doch bekommen – wie ist das denn passiert?!

Wir haben wirklich nicht darauf hingearbeitet, unser Hinterhof schreckt schon etwas ab. Aber der Michelin hat sich ja etwas verjüngt. Wir waren uns schon bewusst, dass wir eine gute Küche machen. Aber durch das Ambiente haben wir gedacht, dass wir eigentlich keine Chance haben. Wir benutzen halt wirklich gute Produkte, haben nen eigenen Garten, bauen vieles selber an. Die moderne Technik haben wir auch . Aber die Küche ist jetzt kein Labor. Wir sind auch nicht so ne Küche, wo man ein Schäumchen hier und ganz kleine Perlen überall rumliegen und wo der Kellner im Anzug danebensteht.

Man hört es Ihnen an: Sie sind gebürtiger Sachse...

Genau, ich bin 1981 in Riesa geboren, in Merzdorf. Dann bin ich zur Einschulung auf die Freitaler Straße in die Delle gezogen, bei der Ernst-Thälmann-Oberschule – ich weiß gar nicht, wie die heute heißt. Aber die gibt’s immer noch. Und 1994 bin ich dann mit meinen Eltern nach Weida auf die Gabelsbergerstraße gezogen.

Zu Ihrem heutigen Beruf sind Sie dann über ein Praktikum gekommen.

Damals gab’s ja immer dieses berufsvorbereitende Praktikum. Ganz zu Anfang hatte ich mal eins als Gas-Wasser-Installateur gemacht. War zwar nett, aber dann sitzt Du da im Winter in der Pause auf der kalten Baustelle mit deinen Stullen. Das zweite war dann in ’nem Hotel in Strehla. Da habe ich gedacht: Hier ist immer warm, da gibt’s immer Essen, das kann ich mir vorstellen. Ich hatte damals ja noch keine Ahnung von Gastronomie. Ich hab erst in der Lehre angefangen, die Liebe zum Kochberuf zu entwickeln.

Dafür gingen Sie aber in den Westen.

Erst hatte ich mich im Taschenberg-Palais in Dresden beworben. Die wollten wegen der Arbeitszeiten nur Leute ab 18. Aber sie haben mir einen Tipp gegeben, ein neues Lokal in Nordrhein-Westfalen, hinter Osnabrück. Da habe ich angerufen, bin hingefahren, und zack – zwei Wochen später habe ich da angefangen. Und so bin ich ’98 aus Riesa verschwunden. Aber ich komm natürlich immer wieder, meine Familie lebt ja noch da.

Über Weihnachten waren Sie bestimmt wieder in Sachsen – was gab’s zu essen?

Natürlich Gans. (lacht) Das Gute ist bei uns: Der Freund meiner Schwester ist auch Koch, meine Eltern kochen gern. Da stehen wir uns fast im Weg in der Küche, weil jeder kochen will.

Das Cookies Cream bietet ausschließlich vegetarische Gerichte an, Sie mussten einiges an Pionierarbeit leisten. Wie macht man das?

Wir haben viel zusammen experimentiert. Abends sind wir tanzen gewesen und nach kurzem Schlaf ging’s wieder in die Küche. Weil ich immer viel mit Fleisch gearbeitet habe, hab ich Gemüse auch nicht wie ein Vegetarier verarbeitet, sondern viel geschmort, frittiert, viel eingelegt. So haben wir uns von Jahr zu Jahr weiterentwickelt.

Gerade im ländlichen Raum wird Vegetarisches immer noch skeptisch beäugt.

Es war in Berlin schon schwierig, und wir hatten in den ersten zwei Jahren schon zu kämpfen. Aber Gemüse und vegetarische Küche gibt es ja mittlerweile in vielen Restaurants, auch in den normalen Gasthäusern. Das Gesundheitsbewusstsein ist heute auch da. Die Leute wollen heute nicht mehr jeden Tag Fleisch essen. Dann kommt noch dazu, die ganzen Lebensmittelskandale, das schreckt natürlich auch ab. Und dann wird mittlerweile auch besser gekocht.

Wie kann man denn einem Fleischesser Lust auf vegetarische Küche machen?

Viele denken ja, die vegetarische Küche ist immer leicht. Meine ist gar nicht so leicht, weil ich ein französisches Handwerk gelernt habe. Bei mir ist immer viel Butter drinne, viele Röstaromen, viel Käse, viele Pilze. Ich hab so ein Gericht auf der Karte, Parmesanknödel. Der ist schon kräftig, oder wir haben so eine gebackene Aubergine, die sieht wirklich aus wie ein schwarzes Steak. Ich denke, am besten kriegt man die Fleischesser rum, wenn man Power reingibt. Ich bin auch nicht sauer, wenn die Leute nach meinem Essen noch eine Currywurst essen. Aber die sollen schon halbwegs satt rausgehen.

Was kommt denn bei Ihnen zu Hause auf den Tisch?

Ich ess’ gerne Brotzeit, hab immer guten Käse und guten Schinken da. Aber ich ess’ auch mal nen Fleischsalat aus dem Supermarkt. Ich komm halt wenig zum Kochen. Sonntags und montags, sag ich ganz ehrlich, bestell ich mir auch mal ’ne Pizza. Und wenn ich dann koche, mach ich mir auch mal Kartoffeln mit Quark oder Ost-Spaghetti.

Was halten Sie eigentlich von vegetarischem Essen aus dem Supermarkt?

Ich bin nicht überzeugt davon, aber ich verurteile es nicht. Die Produkte waren früher richtig Scheiße, heute kriegen die da schon was ganz Gescheites hin. Allerdings muss man da auch die Kirche im Dorf lassen, das ist immer noch Gluten. Seitan ist wirklich Weizenkleber. Die Gemüseküche ist ja so facettenreich, das ist vielleicht bei den Leuten noch nicht angekommen. Das ist auch unsere Aufgabe.

Das Gespräch führte Stefan Lehmann.