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„Ich brauche mehr Zeit für mein Kind“

Die Johannstädterin Annette Demski-Klassen wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. Wie viele Dresdnerinnen. Dennoch sind sie in der Unterzahl.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Es ist 16.57 Uhr. In drei Minuten schließt der Hort. Nass geschwitzt und den Tränen nahe sitzt Annette Demski-Klassen im Auto. Stau. Die Arbeit dauerte wieder länger. Diesen Spagat zwischen Job und Kind – die meisten Eltern kennen das. Immer ein schlechtes Gewissen, kaum mal Zeit für irgendetwas, geschweige denn für sich selbst. Annette Demski-Klassen hatte davon irgendwann genug. „Ich brauche mehr Zeit für mein Kind“, sagte sie sich und kündigte ihre Festanstellung bei einer großen Modekette. Die Dekorateurin wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. „Natürlich hatte ich Angst vor allem vor dem finanziellen Risiko“, sagt die 35-Jährige. Aber die Johannstädterin besuchte ein Existenzgründerseminar, schrieb einen Businessplan und heute, zwei Jahre später, ist sie gut im Geschäft. Sie gestaltet Schaufenster für Läden in der ganzen Stadt und Events von Firmen überall in Deutschland. Sie arbeitet heute nicht weniger als früher, kann sich die Zeit aber freier einteilen. Mal sind es 30 Stunden pro Woche mit viel Zeit am Nachmittag für ihren Sohn. Muss ein Projekt fertig werden, kommen aber bis zu 12 Stunden pro Tag zusammen, dafür nimmt sie sich dann später zwei Tage frei. Oft sitzt sie bis spät nachts am Laptop, wenn der Kleine schläft und arbeitet weiter. „Diese Flexibilität hatte ich vorher nie.“

Mit der Entscheidung für die eigene Geschäftsgründung folgt Annette Demski-Klassen einem Trend. Viele Dresdnerinnen machten sich in den letzten Jahren selbstständig. Zurzeit gibt es 14 390 weibliche Gewerbetreibende, so das Amt für Wirtschaftsförderung. 2018 haben bisher schon 708 Frauen ein Gewerbe angemeldet. 2017 waren es 1112 und im Jahr 2010 erst 740 Frauen. Die Felder, in denen sich Frauen am häufigsten selbstständig machen, sind das Friseurhandwerk, Fußpflege, Kosmetik, Gastronomie oder als Personaltrainer.

Doch die Männer wagen den Schritt Richtung Selbstständigkeit trotzdem immer noch häufiger. Im Raum Dresden gibt es derzeit 3 843 inhabergeführte Betriebe. Von diesen werden aber nur 1 105 von Frauen betrieben und 2 735 von Männern. Warum trauen sich weniger Frauen? „Die Hindernisse, die Frauen von einem Schritt in die Selbstständigkeit abhalten, unterscheiden sich nicht von denen, die auch Männer abhalten,“ so Handwerkskammer-Chef Andreas Brzezinski. Oftmals seien es bürokratische Hürden und Lasten, die Gründungswillige zurückschrecken lassen.

Doch sowohl die Handwerkskammer als auch die Stadt geben den Gründern Hilfe mit auf den Weg. Im Startercenter der Kammer stehen Fachleuten bereit, die durch den Gründungsprozess begleiten, Fragen beantworten und bei Ämtergängen helfen – alles kostenlos. Der Wirtschaftsservice der Stadt bietet eine Gründungsberatung, berät zu Fördermitteln und vermittelt Kontakte. Außerdem werden die Gründer in ihrem ersten Jahr betreut.

Eine Chance ist auch der Gründerinnenpreis von Gleichstellungsministerin Petra Köpping (SPD). Bis zum 31. Oktober können sich die Frauen bewerben, es winken 6 000 Euro Preisgeld.

Über eine Bewerbung dort denkt auch Annette Demski-Klassen nach. Nun ist es wieder kurz vor 17 Uhr, aber diesmal hetzt sie nicht zum Hort, sondern kann mit ihrem Sohn zur Musikschule gehen.