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Hochstapler und Schwergewicht

Der Dresdner Komponist Udo Zimmermann wird 75. Er leidet unter einer schweren Krankheit, aber seine Musik gibt ihm immer noch Kraft.

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© Robert Michael

Von Bernd Klempnow

Der Sonnabend wird ein guter Tag für Udo Zimmermann. Die Sonne wird lange scheinen, da kommt er raus aus seiner Pflegestube. Seine Frau Saskia wird ihn im Rollstuhl auf die Terrasse ihres modernen Hauses am Elbhang oberhalb von Loschwitz schieben. „Er mag diese Wärme“, sagt sie: Ob der große Dresdner Komponist und Theatermann mitbekommt, dass er zudem am Sonnabend 75. Geburtstag hat, weiß keiner so genau. Zimmermann leidet seit über zehn Jahren an einer seltenen neurodegenerativen Erkrankung. Die Ärzte hatten ihm nur wenig Zeit gegeben. Doch er ist zäh und die Pflege seiner Frau gut. Trotzdem: „Sprechen kann er kaum mehr. Aber er nimmt teil, reagiert.“

Mehrmals am Tag mobilisiert sie ihren zweieinhalb Jahrzehnte älteren Mann, den sie seit Jahren intensivst pflegt. „In ein Pflegeheim gebe ich ihn nicht. Da würde er nur vegetieren.“ Ihr Mann habe keine Schmerzen, wirke nicht unzufrieden. „Er ruht in sich, hört gern und viel Musik – besonders bei seinen Werken kommt Leben in ihn.“ Das musikalische Gedächtnis sei noch sehr präsent.

Werke von elementarer Kraft

Musik war stets sein Lebenselixier. Er galt in seinen aktiven Zeiten als einer der führenden zeitgenössischen Komponisten Europas. Zugleich war er Opernintendant, Festivalleiter, Akademiechef und kulturpolitisch engagiert. Er sah sich als Theatermensch, der auch komponiert.

Gern stand er im Mittelpunkt: oft zu Recht. Seine vor gut 25 Jahren entstandene Oper „Weiße Rose“ über die letzten Stunden von Hans und Sophie Scholl gilt mit rund 250 Produktionen als das meistgespielte zeitgenössische Stück. Demnächst bringt die Oper von Athen die „Rose“ heraus. Fünf bis sechs Neuinszenierungen gibt es jährlich, zuletzt in Ulm, London ... Zu den anderen, in Dresden uraufgeführten Opern wie „Lewins Mühle“ und „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ gibt es immer wieder Anfragen, sie aufzuführen. Verdient hätten es diese Werke.

Auch in der Sinfonik schuf Zimmermann Maßstabsetzendes. Anlässlich seines 70. Geburtstages brachte das Leipziger Ballett sein oratorisches Stück „Pax questuosa – Der klagende Friede“ neu heraus. Es ist Musik, die einen aus dem Gleichgewicht zu werfen vermag. „Pax“ ist mit seinen Texten über den fehlenden Frieden nach Franz von Assisi bis Heinrich Böll und seinem raffinierten Einsatz von Soli, Chören und Orchester von elementarer Kraft. Einerseits hat es eine Wucht wie sonst nur Strawinskys „Frühlingsopfer“, andererseits erreicht es in den meditativen Momenten eine ergreifende Tiefe.

Wie schwer ihm diese Kunst fiel, sagte er einmal im SZ-Gespräch: „Das Komponieren war bei mir immer von großen Ängsten und Zweifeln begleitet. Die Ansprüche, die man an sich stellt, werden mit den Jahren ja nicht geringer.“ Auch sein 2009 für den Dresdner Jan Vogler geschriebenes Cello-Konzert „Lieder von einer Insel“ hat dieses Sphärische, an das der Zuhörer sofort andockt. Es sollte seine letzte Komposition werden. Er sagte damals: „Seit einer Prostata-Operation kämpfe ich mit gesundheitlichen Problemen. Mein Nervensystem ist seither in einem ziemlich defizitären Zustand, und es kostet immense Kraft, immer wieder gegen diese Verfallserscheinungen anzukämpfen.“ Er fürchtete Stillstand.

Schon als Kruzianer fühlte er so. Zimmermann war in den 50er-Jahren Mitglied im Kreuzchor Rudolf Mauersbergers, welcher erste Kompositionen betreute und mit dem Chor aufführte. Zu dieser Zeit festigte sich sein ästhetischer „Blick nach innen, auch unabhängig von christlicher Sinnsuche“. Und es wurde jene Eigenschaft ausgeprägt, „immer links überholen zu müssen“. So preschte er los, wenn er Opernhäuser und Festivals leitete. Seine Ankündigungen waren legendär, oft aber nicht untersetzt. Speziell als erster Nachwende-Intendant des Leipziger Hauses gab es Sprüche, die man nur als großmäulig bezeichnen konnte. Er selbst beschrieb sich gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ deshalb als Hochstapler und das Opernhaus – wegen seines damals maroden Zustandes – als Rostkutsche. Immerhin: Die zwölf Leipziger Jahre mit 27 Uraufführungen waren die größte Herausforderung seines Lebens. Freilich spielte er damit teils am Publikum vorbei, das Haus ziemlich leer. Und er hatte noch ganz andere Macken. Doch sein Schwergewicht als Komponist und sein Einsatz für die Moderne entschuldigten alles.

Die Neubegründer von Hellerau

In Dresden gründete er 1974 das spätere Zentrum für zeitgenössische Musik, das als Forschungsort und Ausrichter von Konzerten, Festivals und Symposien international einen exzellenten Ruf als Heimstatt der Neuen Musik erlangte. 2004 wurde daraus das Hellerauer Europäische Zentrum, das alle Sparten wie Theater, Tanz, Architektur, Bildende und Medienkunst vereinen sollte. Und das er bis 2008 leitete. Daneben dirigierte er renommierte Orchester, arbeitete an wichtigen Theatern und füllte als langjähriger Leiter der „musica viva“-Reihe des Bayerischen Rundfunks beim gleichnamigen Festival in München große Säle.

Zudem, was man oft vergisst: Er hat als Professor für Komposition an der Dresdner Musikhochschule Schüler wie Annette Schlünz und Caspar René Hirschfeld geprägt. Die sind längst auf dem Weg zu avancierten Tondichtern. Die Hochschule dankt es auf ihre Weise. Ein Kolloquium und ein Konzert mit Zimmermann-Werken sind im nächsten Sommer geplant.