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Historische Filme wiederentdeckt

40 Streifen aus der Sächsischen Schweiz vereint eine neue DVD. Die ältesten Aufnahmen entstanden in den 1920er-Jahren.

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Von Peter Ufer

Dieser Fund ist etwas ganz Besonderes: Der Öffentlichkeit bisher nicht bekannte Aufnahmen zeigen den Einsatz von Männern, Frauen und Jugendlichen bei der Flachsernte in der Region im Sommer 1939, kurz vor Kriegsausbruch. Das NS-Regime forcierte damals im Rahmen seiner politischen Autarkiebestrebungen den Anbau von Flachs. Die Anbaufläche stieg in Deutschland von 5 000 Hektar im Jahr 1933 auf rund 100 000 Hektar im Jahr 1937.

Eine neue DVD zeigt beeindruckende Aufnahmen aus der Region. Darunter sind Bilder einer spektakulären Rettungsaktion nahe der Bastei (l.). Andere zeigen das Bangen um Pirnas beschädigte Elbbrücke 1947 und die Flachsernte vor dem Krieg (r.).
Eine neue DVD zeigt beeindruckende Aufnahmen aus der Region. Darunter sind Bilder einer spektakulären Rettungsaktion nahe der Bastei (l.). Andere zeigen das Bangen um Pirnas beschädigte Elbbrücke 1947 und die Flachsernte vor dem Krieg (r.). © Repro: SZ

Entdeckt hat den Film Helfried Kotte aus Weinböhla, dessen Vater Helmut Fotografenmeister in Pirna war und auf der Hauptstraße 27 ein Fotogeschäft betrieb. Mit seiner Acht-Millimeter-Kamera hielt er den Einsatz fest. Mädchen und Jungen bekamen in der Schule einen Aufruf, sich daran zu beteiligen. Auch der Sohn des Fotografenmeisters ging mit aufs Feld. Ältere Bäuerinnen erklärten den Helfern, dass die Flachsfaser aus den Stängeln der Flachspflanze gewonnen wird und zu den Bastfasern zählt. Flachs dient der Herstellung von Leinen in der Textilindustrie.

Die Aufnahmen zeigen die extrem schwierige Ernte, denn der reife Flachs wurde mitsamt der Wurzel ausgerauft, damit nichts von der wertvollen Faser verloren ging. Beim Raufen wurden kleine Stängelbündel im unteren Drittel gepackt und mit einem kurzen Ruck herausgezogen. Die Erde wurde abgeschlagen und dann die Bündel kreuzweise zum Nachreifen und Trocknen auf dem Feld aufgestellt. Die Nachricht von dem Fund löst nicht nur bei Pirnaern Freude aus, sondern auch in Neukirch in der Lausitz. Dort existiert die letzte sächsische Leineweberei, die Hoffmann & Co. KG, gegründet 1905. Geschäftsführer Reinhard Ruta beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Flachsernte, hat aber noch nie bewegte Bilder davon gesehen. „Ich würde den Film gern in meinem Unternehmen demnächst zeigen. Da erweitert sich unser Wissen sehr“, sagt er.

Mit den Filmen den Vater ehren

Helfried Kotte, der selbst über zwanzig Jahre als Fotograf in der Porzellan-Manufaktur in Meißen arbeitete, besitzt aber noch weitere historische Filme seines Vaters. Als er Mitte des Jahres von dem Aufruf der Sächsischen Zeitung hörte, Amateurfilme für eine DVD einzusenden, beteiligte er sich sofort daran. „So kann ich jetzt meinen Vater auf besondere Weise ehren“, sagt der Rentner. Aus seinem Archiv hob er einen weiteren Zelluloidstreifen. Der Film zeigt die Pirnaer Stadtbrücke. Am 19. April 1945 bei einem Angriff der US-amerikanischen Luftwaffe zerstört, musste das provisorisch reparierte Bauwerk im Winter 1947 eine harte Prüfung überstehen. Die Auffahrt war gesperrt, Stege für Fußgänger wurden aufgestellt, Lokomotiven auf die Brücke gefahren, denn auf der Elbe schwammen gewaltige Eisschollen, die gegen die Pfeiler drückten. Es bestand die Gefahr, dass das Bauwerk einstürzt.

Die Pirnaer nannten die Schollen damals übrigens „Böhmische Kuchen“, denn sie schoben sich von der Grenze her flussabwärts in Richtung Kreisstadt. Das Eis krachte mit der Strömung gegen die trapezförmigen Holz- und Stahlgerüste, die extra gebaut worden waren, um das Behelfsbauwerk zu schützen. Zum Glück hielten diese Eisbrecher und die gewaltigen Eisschollen spalteten sich. Die Kälte dauerte damals von November 1946 bis März 1947 und ging als Hungerwinter in die Geschichte ein. Es war die kälteste Zeit in Deutschland seit Jahrzehnten und gilt bis heute als strengster Winter des 20. Jahrhunderts. Die Eiszeit bleibt mit diesem Film unvergessen. Zu sehen sind die Aufnahmen auf einer jetzt fertig produzierten DVD „Sächsische Filmschätze – Pirna und die Sächsische Schweiz in den 1920er- bis 1960er-Jahren“. Private Filme von Amateuren geben einmalige Einblicke in die Historie der Elbestadt und ihrer Umgebung. Die Amateurfilme lagerten jahrelang auf Dachböden, in Kellern oder im Archiv des Filmklubs Pirna, der in den vergangenen Monaten mit dem Dresdner Filmemacher Ernst Hirsch über 40 Streifen zu dieser DVD zusammenstellte und kommentierte.

Erhältlich ist die DVD seit 15. Dezember in allen SZ-Treffpunkten zum Preis von 14,90 Euro. SZ-Card-Inhaber bekommen einen Nachlass von zwei Euro.