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Hinter den Kulissen der Semperoper

Unser Lieblingsrusse Wladimir Kaminer stellt das berühmte Opernhaus im Fernsehen vor - und wird mitten ins Herz getroffen.

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© Matthias Creutziger

Von Rainer Kasselt

Von der „Russendisko“ in die Semperoper. Für den Schriftsteller Wladimir Kaminer eine reizvolle Herausforderung. Er will für eine Fernseh-Musikdoku mit einem Team und zwei Kameras die Entstehung einer modernen Oper in einem klassischen Opernhaus verfolgen. Der 51-jährige Moskauer lebt mit seiner Familie seit 1990 in Berlin. Sagt von sich, er sei „privat ein Russe und beruflich ein deutschsprachiger Autor“. Die Erkundungstour hinter die Kulissen der Semperoper ist für ihn eine „Reise in die Eingeweide des Theaters“. Das Ergebnis ist diesen Sonnabend bei 3sat zu sehen.

Wladimir Kaminer
Wladimir Kaminer © star-media

Wie ticken Opernmenschen, wann beginnt die Arbeit an einer Inszenierung, was geht schief bei den Proben? Kaminer, ein heiterer und neugieriger Typ, will alles wissen. Geht ohne Scheu auf die Mitarbeiter zu, macht auf Kumpel, duzt die Partner. Das Regieteam steht vor einem Mammutprojekt. Es soll zwei moderne Opern an einem Abend auf die Bühne zaubern: „Ödipus Rex“ von Igor Strawinsky und den Einakter „Il prigioniero“ (Der Gefangene) von Luigi Dallapiccola. Dessen Zwölfton-Musik klingt in Kaminers Ohren so ungewöhnlich, als „sei ein Panzer über die Noten gefahren“.

Was für ein Aufwand

Fast ein Dreivierteljahr lang begleitet der „Lieblingsrusse der Deutschen“, wie Kaminer in Talkshows und auf Lesungen gern genannt wird, die schwierige und schöne Arbeit von Regisseurin Elisabeth Stöppler und ihren Mitarbeitern. Er lässt sich die Konzeption erklären und das Miniatur-Bühnenmodell sowie Kostümentwürfe zeigen. Schaut sich in den Werkstätten um, wo lange vor den Bühnenproben gesägt, gebohrt und gemalt wird. Staunt, dass sich die Oper sogar einen Schuhmacher leistet. Erfährt, dass die Bühnenbilder immer größer und aufwendiger werden. Besucht Depots und Hallen, wo die Dekorationen lagern.

Ganz vorn steht die Lieblingsoper des Depot-Personals: Puccinis „La Bohème“, die als dienstälteste Inszenierung seit 1983 im Repertoire ist und oft Reinschmeißer bei Spielplanänderungen wird. Wladimir Kaminer erlebt die 333. Aufführung dieser beliebten Oper am Pult der Inspizientin und unterstützt ihre Arbeit. Er wünscht allen einen wunderschönen Abend und bittet die Damen und Herren per Hausfunk, ihre Plätze im Orchester einzunehmen.

Kaminer findet rasch Kontakt zu Künstlern und Mitarbeitern. Er flirtet, stellt Fragen, fällt ins Wort, versteht sich auf geübtes Staunen. Mit der Regisseurin schlendert er über den Striezelmarkt, die Dramaturgin besucht er zu Hause, mit einem Chorsolisten übt er ein kurzes Duett. Eine Schneiderin verrät ihm, dass sie bei den Proben gern weit hinten sitzt, damit sie das Platzen einer Naht nicht sofort sieht. Musiker der Staatskapelle erzählen, dass sie im Orchestergraben von der Inszenierung oft wenig mitkriegen. Einer sagt: „Wir sind ein bisschen Banausen. Ich muss nicht mal das Stück, die Handlung kennen, um die Oper spielen zu können.“

Als Wladimir Kaminer während der Dreharbeiten erfährt, dass die beiden zeitgenössischen Opern nur fünfmal angesetzt werden, hält er das für Verschwendung. Er erlebt ja, wie jeder Beteiligte alles gibt, das Letzte aus sich herausholt, damit die Aufführung ein Erfolg und vom Publikum angenommen wird. Von Wolfgang Rothe, der in der vorigen Spielzeit noch als Intendant amtierte, will er die Gründe wissen. „Es macht keinen Sinn, zehn Vorstellungen zu planen“, sagt Rothe. Er weiß, dass es moderne Stücke beim Publikum schwer haben. Leere Plätze, meint er, hätten „Auswirkungen auf das Erlebnis für die Besucher“. So ganz glücklich ist Kaminer mit dieser Auskunft nicht.

Fast wie bei einer Geburt

Ein besonders enges Verhältnis entwickelt der Autor zu dem jungen südafrikanischen Tenor Khanyiso Gwenxane. Er gehört ein Jahr lang dem Jungen Ensemble der Semperoper an. Gwenxane ist glücklich, an diesem „wunderschönen, weltbekannten“ Haus agieren zu dürfen.

Er hofft auf eine große Karriere. Zwischen den Proben reist er zu einem Vorsingen an die Metropolitan-Oper nach New York. Doch das läuft „nicht so toll“, wie er freimütig erzählt. Im „Gefangenen“ spielt er einen Wärter im riesigen und fast dreißig Kilo schweren Vogelkostüm. Und er meistert die Aufgabe gut, sängerisch wie spielerisch. Kaminer sagt: „Ich bin sicher, das Publikum in Deutschland wird dich lieben.“

Endlich kommt der Tag der Premiere im Juni 2018. Kaminer ist so aufgeregt, als stünde er selbst auf der Bühne. Er wirft sich in Schale, bringt seine Frau und beide Mütter mit. Die Aufführung beeindruckt ihn: „Mich hat Ödipus Rex mitten ins Herz getroffen.“ Nach dem langen Applaus des Publikums drückt der Autor die Regisseurin. „Ich bin wahnsinnig erleichtert, dass es jetzt raus ist“, sagt Elisabeth Stöppler. „Es ist wie Kinderkriegen.“ Was für ein passendes Bild, sagt Kaminer. „Auch mir ist so, als wäre ich bei einer Geburt dabei gewesen.“

„Kaminer Inside: Semperoper“, 20.10., 22.20 Uhr, 3sat