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Himmelsstürmer im Weißeritztal

Man soll die Dinge nicht übertreiben, doch ganz ohne unsere Heimat wäre die Fluggeschichte unvollendet.

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© Archiv SZ

Von Heinz Fiedler

Freital. Beginnen wir mit Herrn Professor, einem namhaften Wissenschaftler, der in Dresden vielbeachtete Vorträge in Sachen Experimentalchemie hält und sich überdies als ein rechter Luftikus versteht. Gemeint ist der 1786 in Braunschweig geborene Carl Gottfried Reichard, eine auch als Ballonfahrer landesweit bekannte Persönlichkeit. Noch bevor er sich 1821 in Döhlen niederlässt und eine lukrative Anstellung im Kletteschen Vitriolwerk nahe Potschappel erhält, will Sachsens König am 31. Mai 1818 einen Aufstieg persönlich in Augenschein nehmen. Für die Residenz eine Art Volksfest.

1911: Notlandung von Flugpionier Hans Grade (2. v. r.) auf Niederhäslicher Flur. Einheimische Handwerker konnten die aufgetretenen Schäden an der Maschine über Nacht beheben.
1911: Notlandung von Flugpionier Hans Grade (2. v. r.) auf Niederhäslicher Flur. Einheimische Handwerker konnten die aufgetretenen Schäden an der Maschine über Nacht beheben. © Archiv SZ
Die sechste Luftfahrt von Carl Gottfried Reichard am 6. September 1816 von Dresden aus.
Die sechste Luftfahrt von Carl Gottfried Reichard am 6. September 1816 von Dresden aus. © Archiv SZ

Weit vor der Zeit hat sich eine unübersehbare Menschenmenge angesammelt. Gegen 16.30 Uhr trifft Majestät mit großem Gefolge ein und nimmt auf einem eigens errichteten Podest Platz. Der kühne Flieger wird dem Souverän vorgestellt. Leutselig erkundigt sich Majestät: „Sagen Sie, Reichard, was hat man hoch oben über der Erde für Empfindungen?“ Der Ballonfahrer verneigt sich leicht: „Ein Gefühl großer Erhabenheit, man fühlt sich dem Schöpfer ein Stück näher.“ „Und Furcht haben Sie keine?“ „Keine, Majestät!“

Reichard ist entlassen und steigt sogleich in die Gondel. Tausende halten den Atem an, die meisten haben noch nie einen Aufstieg erlebt. Bald schwebt die bunte Kugel über Dresden. Reichard trägt seine Eindrücke in ein Bordbuch ein: „Glockenschläge der Kreuzkirche dringen bis zu mir herauf. Silbern leuchtet der Elbestrom. Im Süden begrenzt der schwarze Wald von Tharandt meinen Ausblick, davor das lebhafte Grün von Wiesen und Feldern.“ Nach reichlich einstündiger Fahrzeit bringt Reichard bei Maxen den Ballon zur Landung und verlässt, um ein großes Erlebnis reicher, die Gondel.

Notlandung in Niederhäslich

Im Alter von nur 58 Jahren vollendet sich die Lebensbahn des Flugpioniers. Seine Gattin und mehrfache Mutter, Madame Wilhelmine, geborene Schmidt, ebenso zart wie wagemutig, gilt allgemein als erste deutsche Luftschifferin. Ihr dritter Aufstieg im September 1811 von Dresden aus endet mit einem dramatischen Absturz auf den Wachberg bei Saupsdorf. Sie kommt mit dem Schrecken und unerheblichen Verletzung davon. Ihre Bilanz: 17 Ballonfahrten.

Otto Lilienthal (1848-1896), der kühne Flugpionier, hält sich wiederholt bei uns im Plauenschen Grund auf. Allerdings nicht, um von einem der heimatlichen Höhenzüge in die Lüfte aufzusteigen. Dem Ingenieur geht es vielmehr darum, eine von ihm entwickelte Schrämmaschine im Carola-Schacht zu testen.

Aufsehen erregt Hans Grade (1879-1946), als er sich wenige Tage vor Pfingsten 1911 zu einer Notlandung auf Niederhäslicher Flur entschließen muss. Er hatte sich mit seinem Flugapparat am Sachsenrundflug Chemnitz – Dresden – Plauen – Chemnitz beteiligt. Auf dem Heimflug nach Berlin versagte eine Kerze seines 20-PS-Motors. Bei der Landebahn vor der Windbergkulisse wurde überdies ein Laufrad beschädigt. Es dauerte nicht lange und halb Niederhäslich hatte sich rund um die Maschine postiert. Einheimische Handwerker waren glücklicherweise in der Lage, die notwendigen Reparaturen auszuführen. Über Nacht ruhte der prominente Mann bei einem Großbauern in Schweinsdorf. Am nächsten Morgen war die Maschine wieder startklar. Der Freitaler Maler Hermann Lange, ein Augenzeuge des Geschehens, kommentierte: „Die erstaunliche Sicherheit, mit der Hans Grade seine Maschine in den Lüften manövrierte, finde ich bewundernswert.“

Ein Deubener hat Visionen

Fantastische Pläne hegt der Deubener Ingenieur Carl Kropp. Er will das erste Vertikalflugzeug der Welt konstruieren und bauen. Am 13. Oktober 1913 erwirbt er in der Augustusstraße (heute Leßkestraße), 700 Quadratmeter Land – Gelände für die nach seinen Vorstellungen zu bauende 30 Meter lange, 16 Meter breite und zwölf Meter Höhe Versuchshalle. Kropp ist felsenfest davon überzeugt: Der erste Senkrechtstarter, ein Traum vieler Militärs, wird das Deubener Modell sein. Auf dem Reißbrett scheint alles klar.

Mit einem Dutzend handverlesener Mitstreiter macht sich Kropp an die Montage. Die oberste Heeresleitung misst dem Projekt große Bedeutung zu. Um vor ungebetenen Gästen sicher zu sein, wird ein Spionageabwehr-Offizier nach Deuben delegiert. Mitten in den Arbeiten bricht der Erste Weltkrieg aus. Kropp wird eingezogen und einer Flugabteilung zugeteilt. Fern von den Fronten wird der Mann aus Deuben 1915 das Opfer eines tödlichen Unfalls. Die Heeresleitung lässt die gebaute Halle am Fuße des Windbergs beschlagnahmen. Vier Motoren zu je 44 PS, Drehbänke, Bohrmaschinen sowie diverse Gerätschaften werden der Rüstungsindustrie übergeben. Kropps Erben veräußern den Bau im Februar 1919 an das Elektrizitätswerk. Der neue Hausherr richtet in der Halle Lager und Wirtschaftsräume ein. In der Folgezeit halten Verwaltungsabteilungen der Weißeritztalsperrengenossenschaft Einzug. Wegen Baufälligkeit wird das Gebäude 1931 abgerissen. Heute erinnert nichts mehr an Carl Kropps Projekt. Vielleicht war der Ingenieur ein genialer Kopf, der Deuben weltweit berühmt gemacht hätte. Vielleicht war er bloß ein Mensch, der mit einem Luftschloss lebte.