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Hier gibt es ein Bett für Pilger

Das Ehepaar Hartig aus Coswig zieht es immer wieder auf den Jakobsweg. Darum berät es Pilger und beherbergt sie sogar.

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© Arvid Müller

Von Ulrike Keller

Coswig. Die Passion von Hanna und Matthias Hartig strahlt bereits am Gartenzaun. Gleich neben dem Namensschild eine große gelbe Muschel auf blauem Grund. Die Jakobsmuschel, Symbol des Pilgerns und Pilgerweges. Denn Hartigs Haus an der Weinböhlaer Straße 49 in Coswig liegt direkt am Sächsischen Jakobsweg von Königsbrück nach Grumbach, einer Querverbindung zwischen dem Ökumenischen Pilgerweg und dem Sächsischen Jakobsweg an der Frankenstraße. „Diese Strecke durch die Natur ist ruhiger als die durch Dresden“, sagt das Paar. Man umgeht die Großstadt und läuft durch Moritzburg.

Doch Hartigs Muschel weist nicht nur den Weg. Sie zeigt Vorbeikommenden sogar die Möglichkeit zum Übernachten an. „Ein Zimmer bei uns ist immer vorbereitet“, verrät Hanna Hartig, einst Gründerin und langjährige Leiterin der Coswiger Musikschule. Wenn gerade die Söhne zu Besuch sind, wird eben fix ein warmes, gemütliches Nachtlager mit Matratzen hergerichtet. Und größere Gruppen bringt das Paar eh zum CVJM-Haus.

Doch nur ein Teil der Pilger sucht ein Quartier. Viele schlafen in Moritzburg. In Coswig begnügen sie sich dann mit einem Stempel in den Pilgerausweis, den es natürlich auch bei Hartigs gibt. „Mit einem besonders schönen Jakobus aus der Alten Kirche in Coswig“, sagt Matthias Hartig stolz. Den individuellen Stempel ließ er extra anfertigen, weil er der Kirche sehr verbunden ist und das Motiv an der Decke so liebt.

In Coswig führt der Weg weiter zur Elbe, wo Pilger mit der Fähre übersetzen und durchs Saupachtal nach Wilsdruff und schließlich nach Grumbach laufen. Im vergangenen Sommer erlebten Hartigs erstmals in 30 Jahren, dass wegen Trockenheit und Niedrigpegel keine Fähre übersetzen konnte. Als in dieser Zeit eine Gruppe von zwölf Pilgern vor dem Haus stand, sprang Matthias Hartig auch logistisch ein. Weil in seinem Auto nur fünf Erwachsene Platz haben, fuhr er dreimal, bis alle über der Brücke waren.

Tausende Kilometer selbst zurückgelegt

Die Strecke kennen Hartigs aus dem Effeff. Erst vor wenigen Wochen sind sie sie wieder abgefahren, um die Beschilderung am Weg zu überprüfen. „Wachsende Bäume sprengen schon mal Muschelmarkierungen ab, und einige Schilder verschleißen mit der Zeit“, erklärt Matthias Hartig. Darum kontrollieren er und seine Frau zweimal im Jahr.

Sie wissen, worauf es ankommt. Seit zehn Jahren sind sie Mitglied in der Fränkischen St. Jakobus-Gesellschaft Würzburg. Dort, weil es zur Zeit ihres Eintritts die sächsische noch gar nicht gab. Tausende Kilometer Jakobsweg haben sie inzwischen zurückgelegt: Coswig bis Hof, Görlitz – Prag – Oberpfälzer Wald, Görlitz bis Erfurt, Erfurt bis Rothenburg ob der Tauber, Thüringen bis Südfrankreich, Pamplona bis Santiago de Compostela. Früher zu Fuß, inzwischen nur noch per Rad.

„Wir kennen alle Phasen des Pilgerns“, sagt Hanna Hartig lachend. „Vom euphorischen Losgehen über „Alles tut weh – warum tu ich mir das an?“ bis zum innerlichen Zur-Ruhe-Kommen, wo nur noch der nächste Schritt zählt.“ Beide haben erlebt, welche Kraft von diesem jahrhundertealten Weg ausgeht. „Es entwickelt sich eine andere Einstellung“, sagt Matthias Hartig. Beide haben sie auch die Erfahrung von körperlicher Wohltat und Heilung gemacht.

Gar nicht bestätigen können sie die von Hape Kerkeling beschriebenen unsauberen Herbergen und die aggressiven Hunde. Hingegen haben sich die vielen positiven Begegnungen  mit Menschen tief in ihrer Erinnerung verankert. Immer wieder waren in schwierigen Momenten urplötzlich wildfremde Menschen zur Stelle und halfen. Das Paar spricht von seinen „Wegengeln“.

Zu solchen wird es nun selbst für andere. Jene, die bereits unterwegs sind, und jene, die noch aufbrechen wollen. Denn Hanna und Matthias Hartig stellen seit Kurzem auch Pilgerausweise aus und sind zudem als Pilgerberater im Internet registriert, speziell fürs Pilgern per Fahrrad. Etwa zehn Anfragen aus ganz Deutschland erreichen sie im Jahr. Darin geht es zum Beispiel um die Notwendigkeit von Reservierungen in den Herbergen und Empfehlungen für Radstrecken.

Jüngst brachte eine Meißnerin gar ihren gepackten Rucksack vorbei und bat die Profis um Tipps zu überflüssigen und vergessenen Utensilien. Was sie auf Anhieb sagen konnten: Viel zu schwer. „Die Faustregel für Frauen besagt maximal zehn Kilo, für Männer zwölf“, weiß Matthias Hartig. „Man kann unterwegs alles andere nachkaufen.“

Übrigens tragen sich die Eheleute mit dem Gedanken, als Nächstes den Jakobsweg in Sachsen-Anhalt in Angriff zu nehmen. Wann, das steht noch nicht fest. Sie lachen. „Man sagt sich jedes Mal: So schnell machst du das nicht wieder“, erzählt Hanna Hartig. Doch mit der Zeit verfliegt dieser Entschluss: „Ob man will oder nicht: Es kommt über einen.“

Anfragen unter [email protected]