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Halb Deutschland schaut auf Rathmannsdorf

Die Bundestagswahl zu erklären, ist kompliziert. Nur mal kurz durchs Dorf zu schlendern, reicht jedenfalls nicht.

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© Norbert Millauer

Von Gunnar Klehm und Martin Fischer

Rathmannsdorf. Was Tagesgespräch ist, erfährt man in Rathmannsdorf in der Bäckerei. „Natürlich war die Wahl am Montagmorgen Thema bei den Kunden“, sagt die Verkäuferin hinterm Tresen. „Aber vor allem, weil die Zeitungen nicht rechtzeitig da waren.“ An einem kleinen Tisch im Laden ärgert sich ein Kunde über das schlechte Abschneiden seiner CDU bei der Bundestagswahl. „Aber das war abzusehen. Hier hat es schon die ganze Zeit gebrodelt.“

Die NPD hat diesmal umsonst plakatiert. Nicht mal die bundesweite 0,5-Prozent-Hürde hat die Partei geknackt, um Wahlkampfkosten erstattet zu bekommen.
Die NPD hat diesmal umsonst plakatiert. Nicht mal die bundesweite 0,5-Prozent-Hürde hat die Partei geknackt, um Wahlkampfkosten erstattet zu bekommen. © dpa

Rathmannsdorf, das sind etwa vier Quadratkilometer im Elbsandsteingebirge. Etwa 1 000 Einwohner leben zwischen zwei Bereichen des Nationalparks Sächsische Schweiz. Die Arbeitslosenquote im Kreis liegt mit 5,3 Prozent noch unter dem für Ostdeutschland ohnehin guten sächsischen Schnitt. „Bei uns geht es den Leuten gut. Die meisten haben ein Häuschen“, sagt Bürgermeister Uwe Thiele (CDU).

Dennoch geistert Rathmannsdorf jetzt durch die deutschen Medien, weil das Statistische Landesamt Sachsen für die Gemeinde einen Stimmenanteil von 43,9 Prozent für die AfD ausweist, der höchste Wert im ganzen Wahlkreis. Handelsblatt, Zeit-Online, Tagesspiegel oder Berliner Zeitung haben das aufgegriffen. Dass dieser Spitzenplatz wegen der herausgerechneten Briefwähler nicht real ist, wurde inzwischen festgestellt (SZ berichtete). Stärkste Partei wurde die AfD trotzdem. Um das zu erklären, reicht es nicht, mal kurz durchs Dorf zu schlendern.

Dass es viele Stimmen für die Protestpartei geben würde, hatte Frank Henke schon vermutet. „Aber in der Größenordnung war das doch überraschend“, sagt der selbstständige Dachdeckermeister. Sein Wort hat im Ort Gewicht. Er selbst war mit der Politik der Kanzlerin zwar auch unzufrieden, wählte aber die FDP als Alternative. „Die sind auch konservativ und haben Wirtschaftskompetenz“, sagt Henke. Für ihn als Unternehmer sei das wichtig.

„Das war ganz klar ein Denkzettel“, konstatiert die Bäckereiverkäuferin. Grund sei neben der Flüchtlingspolitik auch die ungerechte Verteilung gewesen. „Wir haben hier auch Armut, auch bei uns gibt es Kinder, die nichts haben“, sagt die 52-Jährige. Auf die Frage, warum dann die AfD habe punkten können und nicht etwa die SPD, die sich das Thema soziale Gerechtigkeit doch auf die Fahnen geschrieben habe, zuckt die 52-Jährige mit den Schultern. Die etablierten Parteien hätten das „für die Bürger nicht so rüberbringen“ können. Außerdem sei Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat ja auch erst relativ spät auf der Wahlkampfbühne erschienen.

Konstruktive Arbeit wird gelobt

Das starke Ergebnis der AfD lässt sich im Straßenbild von Rathmannsdorf nicht sofort erkennen. Vor allem NPD, aber auch Linke und CDU haben plakatiert. Erst nach langer Suche findet sich ein AfD-Plakat. Vor dem sichtbar seit Jahren nicht mehr genutzten Bahnhofsgebäude an der Hohnsteiner Straße nahe dem Wahllokal im Gemeindeamt hängt Frauke Petrys Porträt mit ihrem jüngsten Sohn an einer Laterne.

Der Wutbürger in Rathmannsdorf hat aber eine Geschichte. Die beginnt nicht erst mit der Ankunft der ersten Flüchtlinge 2015. Der CDU-Altbürgermeister hatte polarisiert. Vieles kam voran, wofür ein Teil der Rathmannsdorfer sehr dankbar ist. Andere fühlten sich von seiner Art bevormundet oder gar abgehängt. Die größte Protestbewegung – eine völlig neu gegründete Wählervereinigung – gegen diese selbstgerechte Art des Bürgermeisters hatte bei der letzten Kommunalwahl die Hälfte der zehn Sitze im Gemeinderat errungen. Vier gehören einer weiteren Wählervereinigung an. Nur ein einziger Sitz ging an die CDU.

Die anderen Parteien aus dem Bundestag kennen die Rathmannsdorfer nur aus dem Fernsehen. Auch im Wahlkampf war niemand da. Zu klein, zu unwichtig ist der Ort, eine politische Bewegung nicht wahrnehmbar. Das galt allerdings auch für die AfD. Vor zwei Jahren fuhren noch einige Rathmannsdorfer regelmäßig nach Dresden zu den Spaziergängen von Pegida. Das sei allerdings eingeschlafen, glaubt Henke. „Davon habe ich schon lange nichts mehr mitbekommen“, wie er sagt.

Mit dem neuen Bürgermeister, Uwe Thiele (CDU), zog auch eine andere Streitkultur in der Gemeinde ein. „Die konstruktive Arbeit wird von vielen gelobt, auch im Gemeinderat“, sagt Henke und fügt an, dass es auf keinen Fall an der Arbeit des Bürgermeisters gelegen haben kann, dass die CDU so eingebrochen ist.

Einen Brennpunkt – jedenfalls für dörfliche Verhältnisse – gibt es trotzdem, den auch der neue Bürgermeister nicht befrieden konnte: ein Nachbarschaftsstreit unten im Tal. Die einen lärmen auch noch abends, die anderen fühlen sich gestört. Was soll daran politisch sein? Der Lärm kam aus dem Haus, das der Landkreis zur Flüchtlingsunterkunft erklärt hatte. Noch heute leben dort Familien und in einer WG ein paar Männer. Als auch noch die Polizei wegen Drogendelikten ermittelte, war die Dorfidylle restlos gestört. Bürgermeister Thiele organisierte ein Treffen der aufgebrachtesten Bürger mit Vertretern des CDU-geführten Landratsamts. Da konnte jeder mal schimpfen. „Mehr Einfluss habe ich nicht, weder auf polizeiliche Maßnahmen noch auf die Flüchtlingsverteilung“, sagt Thiele.

Wutbürger erwarten etwas anderes

Das mag stimmen. Die Erwartungshaltung der Wutbürger ist aber eine andere. Sie wollen nicht, dass die Verantwortungsträger, zumal selbst in der CDU, mit ihnen auf die verkorkste Flüchtlingspolitik schimpfen. Sie erwarten Lösungen, eine Dienstleistung, die kein Ehrenamtlicher bieten kann. „Da schwindet doch das Vertrauen in den Staat“, sagt einer aus der Nachbarschaft der Flüchtlingsunterkunft. Natürlich habe er deshalb die AfD gewählt. Seine Freunde wüssten das auch. Der Zeitung wolle er seinen Namen aber nicht nennen.

Der Wahlerfolg von Frauke Petry, die im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge das Direktmandat gewonnen hat, sei „ein kleiner Erfolg“, erklärt Hans Vorländer, Politik-Professor an der TU Dresden. Große Probleme sieht Vorländer für die in Sachsen seit der Wiedervereinigung regierende CDU, deren Verluste auch für ihn „in diesem Ausmaß schon überraschend“ seien. Nun werde offenkundig, „dass die Menschen sich nicht mehr mit der CDU Sachsen identifizieren“. Die Wähler hätten der Partei „eine schallende Ohrfeige verpasst, indem sie der AfD als Partei des Protests, der Empörung und der Wut ihre Stimme gegeben haben“. Vorländer glaube zwar nicht, dass es bei der Landtagswahl 2019 erneut so desaströs sein werde. „Aber die Situation für die CDU ist hier schon ziemlich eng und bedrohlich geworden.“ Mal sehen, ob halb Deutschland danach wieder auf Rathmannsdorf schaut. (mit dpa)