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Haben Reiche mehr Einfluss?

Die große Kluft zwischen Arm und Reich droht nach Einschätzung der Bundesregierung, das Vertrauen vieler Menschen in die Demokratie in Deutschland zu untergraben.

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© Symbolfoto: dpa

Von Peter Heimann, Berlin

Die große Kluft zwischen Arm und Reich droht nach Einschätzung der Bundesregierung, das Vertrauen vieler Menschen in die Demokratie in Deutschland zu untergraben. Es gebe eine „verfestigte Ungleichheit bei den Vermögen“, sagte Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) unter Berufung auf den Entwurf ihres neuen Armuts- und Reichtumsbericht.

„Sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu groß und wird erworbener Reichtum als überwiegend leistungslos empfunden, so kann dies die Akzeptanz der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verringern“, heißt es in dem Bericht, der sich jetzt in der Ressortabstimmung befindet. „Die politische Beteiligung bis hin zur Teilnahme an Wahlen ist bei Menschen mit geringem Einkommen deutlich geringer und hat in den vergangenen Jahrzehnten stärker abgenommen als bei Personen mit höherem Einkommen und der Mittelschicht.“ So lag die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2014 bei Beziehern von hohen Einkommen bei rund 85 Prozent – bei Geringverdienern waren es nur 71 Prozent. Zehn Jahre zuvor war diese Kluft mit einem Unterschied von 3 Prozentpunkten weit geringer. Nahles: „Dieser Befund ist echt krass.“

In einer früheren Fassung waren nach der Abstimmung mit dem Kanzleramt Passagen gestrichen worden, wonach Menschen mit mehr Geld mehr Einfluss auf politische Entscheidungen haben als Einkommensschwache. Darin war zum Beispiel noch der „Einfluss von Interessenvertretungen und Lobbyarbeit“ auf die Gesellschaft beleuchtet worden. In der aktuellen Version ist das Kapitel gestrichen. So fehlt inzwischen der Befund: „Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikänderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikänderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird“. Ebenfalls gestrichen: Personen mit geringerem Einkommen verzichteten auf politische Partizipation, „weil sie die Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert“. Getilgt wurde zudem der Passus, es bestehe „eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen“.

Neu ist in der Analyse vor allem die vorangestellte und mit dem Kanzleramt abgestimmte „Kurzfassung“: 37 Seiten lang. Die SZ erläutert wesentliche Punkte:

Lohnungleichheit

Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre war gut, aber nicht sozial gerecht: Die obersten 60 Prozent der Beschäftigten hatten seit Mitte der 90er-Jahre bis 2015 einen realen Anstieg ihres Bruttostundenlohns. Die Löhne der unteren 40 Prozent der Beschäftigten dagegen sind heute real geringer. In ganzen Branchen (Transport, Einzelhandel, Dienstleistungen) stagnieren die Löhne auf niedrigem Niveau.

Vermögensungleichheit

Die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte besitzen mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens. Die unteren 50 Prozent verfügen dagegen nur über ein Prozent des Vermögens. Eine nicht repräsentative Befragung hat erstmalig das Thema Hochvermögende näher beleuchtet. Ein diskussionswürdiger Befund ist, dass zwei Drittel der Befragten angeben, dass eine Erbschaft oder Schenkung relevant für den Aufbau ihres Vermögens war. Abhängige Erwerbstätigkeit wird nur von 29 Prozent als relevant angegeben.

Kinderarmut

Das Armutsrisiko von Kindern liegt bei 64 Prozent, wenn beide Eltern nicht arbeiten. Wenn ein Elternteil in Vollzeit beschäftigt ist, sinkt das Risiko schon auf 15 Prozent. Und wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten, liegt das Risiko der Kinder nur noch bei drei Prozent. Etwa zwei Millionen Kinder sind armutsgefährdet, weil kein Elternteil erwerbstätig ist oder ein Alleinverdiener nur in Teilzeit arbeitet.

Langzeitarbeitslosigkeit

Der Anteil der Langzeiterwerbslosen an der Erwerbsbevölkerung ist gesunken: von fast fünf Prozent im Jahr 2007 auf zwei Prozent im Jahr 2015. Dennoch gibt es eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit. Die Betroffenen sind besonders armutsgefährdet.

Altersarmut

Derzeit ist das Armutsrisiko im Alter nicht größer als bei anderen Altersgruppen: Die Armutsrisikoquote liegt im Schnitt der Gesamtbevölkerung. Auch der Bezug von Mindestsicherungsleistungen zeigt, dass die meisten Rentnerinnen und Rentner von eigenem Einkommen leben können: 2015 bezogen nur etwa drei Prozent aller über 65-Jährigen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung. Dieser Anteil ist deutlich niedriger als in der Gesamtbevölkerung.