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„Gute Kunst ist frei von Ideologie“

Die Bautzener Museen würden gern mehr DDR-Kunst zeigen. Doch aus Platzgründen bleibt vieles im Depot.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Christina Bogusz steht in der Gemäldegalerie des Sorbischen Museums. An der Wand hängt das Ölgemälde „Blick von der neuen Brücke auf das Kombinat Schwarze Pumpe“ von Horst Schlossar. In der Ferne ragen Schornsteine, Kühltürme und Kräne in den Himmel. Im Vordergrund drängeln sich Kanalisationsrohre über den Sand. Der Bagger macht gerade Pause. Schließlich müssen die drei Bauarbeiter mit zwei jungen Mädchen in sorbischer Tracht scherzen und sie winken ihnen zu. Zwei ältere Sorbinnen mit Haube und in Arbeitstracht beäugen die Szenerie.

Der „Blick von der neuen Brücke auf das Kombinat Schwarze Pumpe“ von Horst Schlossar (l.) hat für Leiterin Christina Bogusz im Sorbischen Museum einen berechtigten Platz.
Der „Blick von der neuen Brücke auf das Kombinat Schwarze Pumpe“ von Horst Schlossar (l.) hat für Leiterin Christina Bogusz im Sorbischen Museum einen berechtigten Platz. © Uwe Soeder

Die fast idyllische Darstellung des sozialistischen Industriekomplexes Schwarze Pumpe, wo die alte Stadt nur noch am Rand einen Platz finden, aus dem Jahr 1956 hat für Christina Bogusz einen berechtigten Platz im Haus. „Ein Künstler arbeitet aus sich heraus. Diese Zeit hat es erfordert, dass er sich hineinzwängt“, sagt die Kunsthistorikerin. Anders als in anderen Museen finden sich in der ständigen Ausstellung auf der Ortenburg vergleichsweise viele Werke ostdeutscher Maler vor 1990.

Neue Debatte über DDR-Kunst

Erst jüngst hat der Kulturwissenschaftler und Experte für DDR-Kunst Paul Kaiser die Verbannung der „ostdeutschen Klassiker“ in der Galerie Neue Meister in Dresden ins Depot kritisiert. Seine Analyse 27 Jahre nach Wende hat eine neue Debatte über DDR-Kunst entfacht. Christina Bogusz verfolgt diese Diskussion nur am Rand. Schließlich beruht ein Großteil ihrer Kunstsammlung erst auf Arbeiten aus der DDR. Denn drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird in der Lausitz der Arbeitskreis sorbisch-bildender Künstler gegründet, der der Abteilung Kunst/Kultur im sorbischen Volksbildungsamt unterstellt ist. „Mit diesen Grundstrukturen wurden den Künstlern das Arbeiten doch erst möglich gemacht“, sagt die Musemschefin. Es sei ein System durch Auftragsarbeiten und Ankäufe aufgebaut worden, in dem Künstler von ihrer Kunst leben konnten.

In der Ausstellung finden sich neben Horst Schlossar unter anderen auch Arbeiten von Otto Garten, Fritz Lattke, Wilhelm Schieber, Martin Nowak-Neumann, Jan Buck, Steffen Lange oder dem Vater des DDR-Puppentrickfilms Jan Hempel. „Natürlich haben diese Künstler in der DDR nicht unter einer Käseglocke gelebt. Sie waren Teil der Gesellschaft, der Kulturpolitik“, sagt Christina Bogusz. Die Spange hätte für sie das Bewusstsein ihrer ethischen Herkunft gebildet. „Aber“, sagt sie, „gute Kunst ist unabhängig von der Ideologie“.

Ein unabhängiger Geist

Bei einigen Malern lassen sich die kulturpolitischen Maßgaben eher ablesen als bei anderen. Ein solcher unabhängiger Geist ist zum Beispiel der Niederlausitzer Maler Fritz Lattke. Mit der Annäherung sorbischer Kulturfunktionäre an das DDR-System nach 1949 konnte er sich nicht anfreunden. Wegen mangelnder sozialistischer Haltung wurde er 1954 aus dem Arbeitskreis sorbischer bildender Künstler ausgeschlossen. „Lattke ist sich als Landschaftsmaler stur treu geblieben, von Schlossar weiß man, dass er sich gequält hat, in Schwarze Pumpe zu zeichnen“, sagt Christina Bogusz.

Nach der Wende sind zahlreiche Nachlässe dieser Künstler in den Besitz des Sorbischen Museums gekommen, einen weiteren großen Teil erhielt das Haus nach 1990 und der Auflösung des Ministeriums für Kultur, Abteilung Sorbenfragen. Diese Institution hatte immer wieder Arbeiten in Auftrag gegeben und angekauft. Aufgrund des überschaubaren Platzes in der Dauerausstellung bleibt deshalb auch vieles im Depot.

Werk repräsentativ dokumentieren

Auch im Magazin des Museums Bautzen finden sich zahlreiche Werke, die in der DDR entstanden. Kunsthistorikerin Ophelia Rehor klettert auf eine Leiter und angelt Bilder von Gerhard Benzig aus dem Regal. Sie tragen Titel wie „An der Kremlmauer“ oder „Kämpfendes Vietnam“. Diese Originale sind mit der Sanierung des Finanzamtes in das Haus am Kornmarkt gekommen. Bis zu seinem Tod befand sich Benzigs Atelier am Wendischen Graben. „Auch diese Arbeiten gehören zu seiner Künstlergeschichte. Wir sammeln nicht nur Einzelnes, sondern wollen das Werk repräsentativ dokumentieren“, sagt die Museumsmitarbeiterin.

Bei ihrer Auswahl für die Präsentation in der Dauerausstellung war für Ophelia Rehor jedoch „DDR-Kunst“ keine Kategorie. „Für mich zählt die Qualität einer Arbeit, gerade weil wir für eine sehr umfangreiche Sammlung verhältnismäßig wenig Platz haben“, sagt sie. Ihr Gebiet reicht von spätgotischen Arbeiten bis hin zu Malereien aus dem 21. Jahrhundert. Bei der Neukonzeption der Schau mit dem Umbau des Stadtmuseums sei es ihr wichtig gewesen, dass die Künstler, die in der DDR und zum Teil bis heute in Bautzen und der Oberlausitz gewirkt und wirken, einen angemessenen Platz zu geben.

Gießer und abstrakte Köpfe

In diesen Räumen fallen zuerst die abstrakten „Köpfe“ des Bautzener Künstlers Horst Weise auf. Auch Plastiken von Wieland Förster und Siegfried Schreiber sind hier ausgestellt. An den Wänden hängen unter anderem Arbeiten von Erhard Gassan, Hans Kutschke, Heike Dittrich oder Harald Metzkes „Stör“. Aufgebahrt wie auf einem Opfertisch liegt darauf der erstarrte große Knochenfisch auf einem weißen Tuch. Düster und kalt wirkt die Arbeit aus dem Jahr 1957. „Gerade dieses Bild steht so gar nicht für den geförderten sozialistischen Realismus“, sagt Ophelia Rehor.

Anzutreffen sind die optimistischen Arbeiterhelden in blühenden sozialistischen Landschaften im Stadtmuseum trotzdem. Im DDR-Raum in der Stadtgeschichte gibt es nicht nur Plakatkunst aus 40 Jahren DDR, auch das Bild „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ und der „Gießer aus dem VEB Emag Bautzen“ sind dort ausgestellt.

Auch ein Entwurf des Thälmann-Denkmals von Rudolf Enderlein ist dort zu sehen. Das Monument für den Platz vor dem Theater hat 1960 schließlich Wieland Förster geschaffen. „Das ist eine der wenigen Plastiken, die nach der Wende aus dem Stadtbild verschwunden sind“, sagt Ophelia Rehor. Der einstige Arbeiterführer liegt in Einzelteilen im Museumsdepot.

Für Ophelia Rehor und Christina Bogusz steckt aber im Thema „DDR-Kunst“ noch viel Potenzial. „Ich habe große Lust, eine komplette Ausstellung nur dieser Zeit zu widmen“, sagt die Leiterin des Sorbischen Museums. Gemeinsam mit dem Sorbischen Institut könnte man eine solche Schau vorbereiten, auch um das Thema aufzuarbeiten und einzuordnen – so wie jetzt zum Beispiel die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im kommenden Jahr planen.