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Chemie-Alarm im Pflegeheim

In einem Seniorenheim in Sebnitz ist eine atemwegsreizende Chemikalie ausgetreten. Die Ursache ist noch unklar.

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© Marko Förster

Von Dirk Schulze

Sebnitz. Kurz nach halb eins am Dienstagmittag geht der Anruf bei der Feuerwehr ein. Eine Mitarbeiterin des Pflegeheims der Volkssolidarität in Sebnitz hat einen beißenden Geruch in einem Wirtschaftsraum des Hauses festgestellt – so schlimm, dass man das Zimmer nicht betreten kann. Der Sebnitzer Stadtwehrleiter Björn Hoyer rast mit Blaulicht und Sondersignal durch die Stadt, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Als er die Tür des Raumes nur kurz öffnet, ist klar: Hier liegt was im Argen.

Am Mittag rückte die Feuerwehr am Altenpflegeheim auf der Steudnerstraße an.
Am Mittag rückte die Feuerwehr am Altenpflegeheim auf der Steudnerstraße an. © Marko Förster
Vor dem Pflegeheim wurde eine Dekontaminationsstelle aufgebaut.
Vor dem Pflegeheim wurde eine Dekontaminationsstelle aufgebaut. © Marko Förster
Spezialisten des Umweltschutzzuges der Feuerwehr Pirna sind seit dem Nachmittag im Einsatz.
Spezialisten des Umweltschutzzuges der Feuerwehr Pirna sind seit dem Nachmittag im Einsatz. © Marko Förster

Es handelt sich um eine zwei bis drei Quadratmeter große Kammer im dritten Obergeschoss des Heims an der an der Dr.-Steudner-Straße. Dort steht der Steckbeckenspüler – ein kühlschrankgroßer Automat, in dem die Bettpfannen gereinigt und desinfiziert werden. Eine solche Spezialspülmaschine steht auf jeder Etage des Pflegeheims. Hoyer lässt sich das Exemplar eine Etage tiefer zeigen und hält Rücksprache mit seinem Kollegen Kay-Uwe Rehn in Neustadt, dem stellvertretenden Kreisbrandmeister und Fachmann für Chemikalieneinsätze. Sie entscheiden: Wir müssen ABC-Alarm auslösen. Dann setzt sich die Maschinerie in Gang.

Neben der Sebnitzer Feuerwehr wird der ABC-Zug des Landkreises alarmiert. Diese spezielle Ausrüstung mit Dekontaminations- und Gefahrgutmitteln ist bei den Feuerwehren in Pirna und Neustadt stationiert. Immer mehr Feuerwehr-Fahrzeuge biegen vor dem Pflegeheim ein, dazu ein Rettungswagen, Notarzt, der organisatorische Leiter des Rettungsdienstes und die Polizei. Die 16 Bewohner des betroffenen Wohnbereichs werden in die darunterliegenden Etagen evakuiert.

Die Chemikalienschutz-Spezialisten aus Pirna bauen Zelte auf und legen grüne Ganzkörper-Schutzanzüge an. Luftdicht verpackt, die Gesichter hinter dicken Scheiben und Atemschutzmasken versteckt, öffnen sie die Tür im dritten Obergeschoss. Der Spülautomat ist mittlerweile vom Stromnetz getrennt. Die Einsatzkräfte bergen zwei Fünf-Liter-Kanister mit Flüssigkeit. Ein Leck ist nicht zu entdecken. Die Kanister wandern getrennt von einander in zwei blauen Plastiktonnen, die fest verschlossen werden.

Für die Feuerwehrleute ist der Einsatz damit längst nicht vorbei. Jeder, der am Gefahrenherd war, ist potenziell kontaminiert. In einem Bassin stehend werden die Männer in den grünen Anzügen von oben bis unten mit Wasserschlauch und Bürste abgespült. Das Wasser wird in ein Fass abgepumpt, die Schutzanzüge in dicke Plastiksäcke verpackt.

Welche Chemikalie ausgetreten ist und den ätzenden Geruch verursacht hat, ist bislang unklar. „Wir wissen noch nicht, was es war“, sagt Einsatzleiter Björn Hoyer. Bei den sichergestellten Flüssigkeiten handele es sich um zwei handelsübliche Desinfektionsmittel. Die Feuerwehr vermutet, dass die Stoffe miteinander in Kontakt gekommen sind, was eine Reaktion ausgelöst haben könnte, vermutlich durch einen technischen Defekt.

Kurz vor 16 Uhr stößt der Lkw einer Entsorgungsfirma rückwärts bis an die abgesperrte Einsatzstelle vor. Der Fahrer lädt die Fässer mit den geborgenen Flüssigkeiten und dem potenziell kontaminierten Wasser auf die Ladefläche und zurrt sie fest. Zwei Mitarbeiterinnen einer nahegelegenen Bäckerei verteilen unterdessen Pfannkuchen und heißen Kaffee an die Einsatzkräfte.

Bis in den Wohnbereich der Bewohner ist das beißende Gas dank der dichten Türen nicht durchgedrungen, sagt Pflegeheimleiterin Antje Armbruszt. Zwei ihrer Mitarbeiterinnen, die mit dem Stoff in Kontakt kamen, stehen den Nachmittag über unter Beobachtung des Notarztes, über Verletzungen wird allerdings nichts bekannt. Große Aufregung hat die Aktion unter den teils an Demenz erkrankten Bewohnern ausgelöst. Erst am Abend steht fest, dass alle die Nacht im Pflegeheim verbringen können, dafür werden zusätzliche Betten vom Boden geholt.

Denn der betroffene Wohnbereich in der dritten Etage bleibt vorerst gesperrt. Hier müssen jetzt Spezialisten nach der Ursache des Vorfalls suchen.