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Große Wohnung dringend gesucht!

Die Neustadt ist bei Familien besonders beliebt. Mit ihrer Wohnsituation sind viele aber unzufrieden.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Der Hecht soll es bleiben – das steht fest. In dem Neustädter Stadtteil ist Familie Beutler seit fünf Jahren zu Hause. Einziges Problem: Die 65-Quadratmeter-Wohnung in einem Hinterhaus an der Gutschmidstraße ist zu klein für Mama Norma, Papa Ron und die Kinder Selma, Wilhelm und Gerda. Baby Gerda teilt sich das Bett mit den Eltern, die sechsjährige Selma mit ihrem Bruder Wilhelm (4). „Wir fühlen uns hier eigentlich sehr wohl“, sagt Norma Beutler. Mit Familien im Vorderhaus sind Freundschaften entstanden, man fährt gemeinsam in den Urlaub, sitzt abends gemütlich im Hof beisammen. „Das wollen wir nicht aufgeben“, sagt die Mutter.

Doch die Entscheidung, ein drittes Kind zu bekommen, war zugleich die Entscheidung, in eine größere Wohnung umzuziehen. „Hier können wir nicht bleiben“, sagt Papa Ron Geier. Auch, wenn die große Terrasse letzte Zweifel am Wohnungswechsel aufkommen lässt. So wie die Tatsache, dass es schlichtweg keine freien Wohnungen im Viertel gibt. „Die gehen unter der Hand weg, tauchen gar nicht erst auf den Wohnungsportalen im Internet auf“, sagt Norma Beutler. Diejenigen, die letztlich doch im Netz landen, haben oft einen Haken: zu dunkel, zu teuer, zu laut. Also druckte die 34-Jährige kurzerhand 100 Flyer aus und pinnte sie an Hauseingänge und Laternenmasten der umliegenden Straßen. „Fünfköpfige Familie sucht Vierzimmerquartier mit 85 Quadratmetern und bis zu 850 Euro kalt“ – ist auf den Aushängen zu lesen.

Die Hoffnung war groß, und noch am selben Tag meldeten sich gleich zwei Anbieter. Die erste Wohnung sei ganz toll gewesen, den Zuschlag habe allerdings eine andere Familie bekommen. Nach etlichen Wohnungsbesichtigungen macht sich eine Sorge breit. Denn mittlerweile ist das Elternpaar skeptisch, ob sie bei der Auswahl der Mieter ohnehin nicht den Kürzeren ziehen – Ron Geier arbeitet nämlich nicht in einer Festanstellung, sondern selbstständig. Norma macht derzeit eine Ausbildung zur Erzieherin. Den Arbeitsvertrag mit ihrer künftigen Kita hat sie zwar schon vor der bestandenen Prüfung in der Tasche – geholfen hat das bei der Wohnungssuche bislang allerdings nicht. Wie seine Frau ist der 37-jährige Vater studierter Designer, beide haben sich beim Studium in Dessau kennengelernt. Seit 2008 lebt das Paar in Dresden – nun sind sie eine fünfköpfige Familie, die das entspannte Leben im Hechtviertel genießt. Allein die passende Wohnung fehlt zum perfekten Familienglück.

Ein Problem, das auch andere Großfamilien kennen. Vor allem in der Neustadt, denn der Stadtteil ist bei ihnen besonders beliebt. Schnell entstehen hier Kontakte zu anderen Familien in der Nachbarschaft, die Infrastruktur passt, alle wichtigen Anlaufpunkte sind zu Fuß gut erreichbar. In der aktuellen Bürgerumfrage geben viele Bewohner der Neustadt dennoch an, dass sie mit der Größe ihrer Wohnung unzufrieden sind. Jeder vierte Neustädter möchte innerhalb der nächsten zwei Jahre umziehen. Vor allem Paare mit Kindern wollen dabei in ihrem Stadtteil bleiben. Mit fast 80 Prozent ist die Zufriedenheit mit dem Angebot an Kita-Plätzen sehr hoch – Vier- oder Fünfraumwohnungen für die dort lebenden Familien sind indes rar. Zwar wird an einigen Stellen neu gebaut, meistens handelt es sich dabei aber um Eigentumswohnungen, die dann für einen Kaltmietpreis von bis zu zwölf Euro zu haben sind. Für viele Familien nicht bezahlbar. Also greifen immer mehr Eltern zum Trick mit den Flyern, um eine der begehrten Altbauwohnungen zu ergattern. Und das längst nicht mehr nur in der Neustadt: Die Zettel landen mittlerweile auch in Laubegaster Briefkästen oder an Laternenmasten in Leubnitz. Dabei könnte sich das Wohnungsproblem in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen: 70 Prozent der Dresdner Familien, die schon ein Kind haben, geben in der Bürgerumfrage an, dass sie ein zweites Kind wollen. Immerhin 30 Prozent wünschen sich sogar ein drittes Kind.