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Görlitzer Straßenbahnen sind das Schlusslicht

Außer in Brandenburg gibt es keinen älteren Wagenbestand als in Görlitz. Weil Investitionen versäumt wurden.

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© Rolf Ullmann

Von Ralph Schermann

Görlitz. Die Straßenbahn ist in Gefahr. Gut, dieser Aufschrei kommt aus dem Land Brandenburg. Nirgendwo sind die Bahnen so überaltert und zudem so wenig staatlich gefördert wie dort, hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in einer Studie soeben herausgefunden.

Und in Görlitz? Hier hat sich der Stadtrat ausdrücklich für den Erhalt der Straßenbahn positioniert, auch die Verwaltung kommt daran nicht vorbei, will sie nicht einstige Fördermittel zurückzahlen. Und doch dringt der Ruf der Gefahr bis an die Neiße, denn – das Land Brandenburg mal ausgenommen – die Verkehrsgesellschaft Görlitz (VGG) bildet das makabre Schlusslicht aller ostdeutschen Bundesländer, wenn nicht gar aller Bundesländer überhaupt. Selbst viel kleinere Nahverkehrsbetriebe wie Nordhausen, Dessau oder Halberstadt kommen auf ein durchschnittliches Fahrzeugalter von elf bis 15 Jahren, die Großstädte mit 13 bis 20 Durchschnittsjahren sowieso. Nur noch Zwickau schlägt mit 27 Jahren aus der Art. Und eben Görlitz: Der Fahrzeugpark auf der Schiene ist hier im Durchschnitt 30 Jahre alt. Und das, obwohl Sachsen und Thüringen als einzige Ost-Bundesländer Straßenbahnanschaffungen mitfinanzieren, sodass im Landesdurchschnitt keine Straßenbahn länger als 20 Jahre im Dienst der Fahrgäste steht.

Der Görlitzer Stadtrat hat im Oktober einem neuen Konzept für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zugestimmt. Der Stadtverkehr soll ab 2019 wieder in Verantwortung der Stadt liegen. Als Grund hieß es, dadurch könnten die Stadträte mehr Einfluss auf den Straßenbahn- und Busverkehr nehmen – außer freilich auf die vom Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (Zvon) zu entscheidenden Fahrpreise. Der Stadtrat beschloss die Gründung der Görlitzer Verkehrsbetriebe mit OB Siegfried Deinege so lange als Geschäftsführer, bis diese Funktion durch Ausschreibung besetzt wird. Dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt, zeigte das kürzlich veröffentlichte Interview mit Christian Schreyer, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Transdev GmbH, einem Tochterunternehmen der französischen Transdev-Gruppe (früher Veolia), das zehn Eisenbahn- und 33 Bus- und Straßenbahnbetriebe in Deutschland betreibt, darunter anteilmäßig auch die VGG. Wie auch immer es nach 2019 weitergehen wird – das Durchschnittsalter der Görlitzer Tram wird sich nicht so schnell ändern, selbst wenn der städtische Haushalt schon für 2017/2018 plötzlich Geld für Wageneinkäufe herbeizaubern würde. Denn in der Stadt sowie parallel dazu im Landkreis Görlitz wurde in den vergangenen Jahren zwar unendlich über den ÖPNV diskutiert – aber nicht investiert.

Von den Verantwortlichen bei der VGG, im Rathaus und beim Zvon wollte sich niemand auf das Interview äußern, seitens der Stadträte warf allein nur Rolf Weidle für die Fraktion Bürger für Görlitz/Die Grünen die entsprechende Anfrage nicht einfach unbeantwortet in den Papierkorb: „Unsere Fraktion vertraut der Rathausspitze, die Gesamtproblematik im Sinne der Stadt erfolgreich zu führen.“ Bisher wurde der Stadtrat lediglich nichtöffentlich über den Stand der Verhandlungen zum städtischen Rückerwerb des Stadtverkehrs informiert. Das ist durchaus verständlich, denn über Verträge wird erst nach Abschluss konkret informiert. Dennoch zeigt Rolf Weidles Antwort das Vertrauen in die Verwaltung. Oberbürgermeister Siegfried Deinege will zumindest die Forderung Schreyers, es sollten sich „alle Beteiligten ohne irgendwelche Vorbedingungen an einen Tisch setzen und über die geordnete Fortführung des ÖPNV reden“, so nicht stehen lassen. Denn das Gegenteil sei der Fall: „Ich habe persönlich schon vor dem Interview die Transdev gebeten, an den Verhandlungstisch mit der Stadt Görlitz und Veolia zurückzukehren – nachdem sie ihn nämlich ohne nähere Angabe verlassen hat.“

Noch eine weitere Unstimmigkeit fiel mehreren Lesern in den Transdev-Äußerungen auf: Das kommunale Görlitz habe „keinerlei Erfahrung, wie Nahverkehr organisiert wird.“ Das sei schon deshalb grob falsch, weil Görlitz bekanntlich nach 1945 den Nahverkehr als VEB (K) Verkehrsbetriebe der Stadt Görlitz kommunal geführt hat, bis er erst 1982 zu einem Betriebsteil des Kraftverkehrskombinates Dresden wurde. Auf Anfrage äußerte sich der frühere und langjährige Görlitzer Verkehrsplaner und heutige Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Bad Belzig, Hans-Jürgen Hennig, dazu: „Ich bin grundsätzlich sehr froh über das Bekenntnis meiner Heimatstadt zum ÖPNV und zu einem eigenen Verkehrsbetrieb. Es ist albern, der Stadt vorzuhalten, sie könne keinen ÖPNV – sie konnte es viele Jahre lang, und das war durchaus kein schlechterer Betrieb als heute. Es ist gut, dass OB Deinege hier Flagge zeigt und Verantwortung übernimmt.“