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Görlitzer Fernduell im OB-Rennen

AfD und CDU nominieren mit Sebastian Wippel und Octavian Ursu ihre Kandidaten für die Wahl am 26. Mai. Zuversicht herrscht bei beiden.

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© nikolaischmidt.de

Von Matthias Klaus und Sebastian Beutler

Görlitz. Vertraut man dem Hamburger Nachrichtenmagazin „Spiegel“, dann wird an diesem Sonnabendvormittag im Görlitzer Gewerbecenter am Klinikum gerade der künftige OB nominiert. Viele erwarten einen Sieg des AfD-Bewerbers bei der Oberbürgermeisterwahl im nächsten Jahr, schrieb der Literaturchef des Magazins Anfang September, als die rechtspopulistische Partei noch gar keinen Kandidaten benannt hatte. Was in Hamburg also schon ausgemachte Sache ist, ist an der Neiße ein offenes Rennen. Einen harten und schweren Wahlkampf erwartet daher AfD-Kreisvorsitzender und Bundestagsabgeordneter Tino Chrupalla, die Kontrahenten werden „uns nicht noch einmal unterschätzen“. Aber die AfD, ermuntert von dem Bundestagswahlergebnis, als sie im Görlitzer Wahlkreis, nicht aber bei den Erststimmen in der Stadt Görlitz stärkste Kraft wurden, sehen in „Görlitz die größte Wahrscheinlichkeit für einen Sieg“. Landtagsabgeordneter Sebastian Wippel, auf den in den vergangenen Wochen die Kandidatur immer stärker hinauslief, sieht das genauso. Er wolle eine „Speerspitze“ sein: „Wenn wir die Rathäuser nicht erobern, dann werden wir nie das Kanzleramt erobern“, sagt er am Ende seiner 15-minütigen Vorstellungsrede. Da klingt das Problem der AfD an: Obwohl sie bei der Bundestagswahl in Sachsen stärkste Kraft wurde und in sachsenweiten Umfragen stark auf die CDU aufgeholt hat, verliert sie bei Bürgermeisterwahlen stets. In Oybin beispielsweise war das der Fall, zuletzt auch in Meißen. Wählen die Menschen, wie Untersuchungen jetzt auch aus Bayern nahelegen, die Partei eben doch nur, um den Etablierten einen Denkzettel zu verpassen, wenn es aber im nächsten Umfeld ernst wird dann doch nicht?

Sebastian Wippel bei seiner Kandidatenrede im Gewerbecenter am Klinikum. Die AfD schickt ihn ins OB-Rennen.
Sebastian Wippel bei seiner Kandidatenrede im Gewerbecenter am Klinikum. Die AfD schickt ihn ins OB-Rennen. © nikolaischmidt.de

Für die stärkste Kraft sind mit 18 Mitgliedern an diesem Sonnabend wenige Mitstreiter gekommen. 65 Mitglieder hat die AfD nach eigenen Angaben in der Stadt. Und dann kandidiert auch noch der Mitbegründer der Partei an der Neiße, Frank Großmann, gegen Wippel. Es ist eine Notkandidatur, denn eigentlich hätte Großmann eine Bewerbung des Görlitzer Rechtsanwaltes Michael Mochner unterstützt. Da der aber nicht kandidiert, auch gar nicht anwesend ist, wirft Großmann seinen Hut in den Ring und erhält sogar drei Stimmen am Ende für solche Vorschläge wie die Schiffbarmachung der Neiße, um Görlitz an das Projekt der chinesischen Seidenstraße anschließen zu können.

Der 35-jährige Sebastian Wippel, Diplom-Verwaltungswirt, Polizeioberkommissar und Landtagsabgeordneter, wirkt vorbereiteter, will unter dem Slogan „Ein Görlitzer für Görlitz“ das Rennen ums Rathaus am 26. Mai gewinnen.

Sicherheit ist für den Polizeibeamten wichtig. „Schluss mit Grenzkriminalität, Schluss mit Plätzen ohne Aufsicht, Schluss mit Halligalli auf den Grünplätzen“ ruft er den Mitgliedern zu, verzichtet aber darauf, detailliert auszuführen, wie er das als Görlitzer Oberbürgermeister erreichen will. Die Nutzung des Wilhelmsplatzes als „Fußballplatz mit Blumen-Einrahmung“, die Wippel kritisiert, versucht das Rathaus ja gerade, mit der Einrichtung eines Bolzplatzes auf dem Schulsportplatz an der Augustastraße zu entschärfen. Bei der Unterstützung von Familien wird Wippel konkreter. Statt Millionen für das soziokulturelle Zentrum will er Jugendclubs und Mehrgenerationenhäuser in den Stadtteilen unterstützen, schlägt vernetzte Angebote von Stadt und Kreis im Familienbüro auf dem Demianiplatz vor und eine Rückkehrerkampagne gemeinsam mit dem Landkreis, um Rückkehrwilligen bei der Jobsuche zu helfen, bei der Suche nach einem Kita-Platz oder bei Behördengängen, die aus einer großen Entfernung nicht so einfach zu erledigen sind. Und bei der Wirtschaft will er durch eine Absenkung der Gewerbesteuer bestehende Unternehmen unterstützen. Genau das ist auch die Absicht des amtierenden Stadtrates, der eine Absenkung um 30 Punkte bis 2021 mit dem Haushalt Anfang 2019 beschließen will. Zugleich empfiehlt Wippel Kleinstunternehmen zu fusionieren, um sich Ausgaben für Forschung und Entwicklung leisten zu können und setzt sich für eine stärkere Verknüpfung von Unternehmen und Schulen ein, so könnten in den Schulen Ferienjobs angeboten werden. Existenzgründer will er durch eine vernünftige Beratung, durch eine Datenbank für Gewerbeflächen unterstützen. Und für Ansiedlungen neuer Unternehmen plädiert er auch für neue Industrieflächen, die er gemeinsam mit den Nachbargemeinden erschließen will. Das versucht die Deinege-Verwaltung seit Monaten mit dem Schöpstal wie auch mit Kodersdorf. Schließlich schlägt Wippel vor, aus der Hochschule eine Technische Universität Dreiländereck zu machen und den ICE nicht von Hamburg über Berlin nach Breslau und Kiew fahren zu lassen, wie es Ministerpräsident Kretschmer vorschlägt, sondern von Paris über Frankfurt/Main, Görlitz nach Krakau.

Am Ende überzeugt er 14 der 17 Mitglieder, die ihre Stimme dann tatsächlich abgegeben haben. Amüsiert haben sie auch vernommen, was Wippel als sein Ziel in Anspielung auf den bürgerlichen Beruf seines CDU-Konkurrenten angibt: „Ich möchte, dass das Theater nach der Wahl einen fähigen Trompeter mehr hat.“

Davon ist 2 600 Meter entfernt an der Lutherstraße nichts zu spüren. Zwar erzählt Octavian Ursu vor den 42 stimmberechtigten CDU-Mitgliedern und rund 20 Gästen der Nominierungsveranstaltung im „Schlesischen Tor“ auch gern davon, dass er nach einem Probevorspielen als Solo-Trompeter am Theater eingestellt wurde. Aber der gebürtige Rumäne schaut in seiner Rede lieber nach vorn. Octavian Ursu, Jahrgang 1967, aufgewachsen in einer Plattenbausiedlung in Bukarest, wird am Sonnabend mit großer Zustimmung zum Oberbürgermeisterkandidat der Görlitzer Christdemokraten gewählt. 39 Mitglieder stimmen dafür, zwei dagegen, es gab eine Enthaltung. Überraschend kommt dieses Ergebnis nicht. Ursu gilt als einer derjenigen, der dem Ortsverein der CDU, dem Stadtrat wieder eine Richtung gegeben hat. Ursu ist einer, der unterschiedliche Meinungen, Interessen unter einen Hut bringen kann – so ist es immer wieder bei der Nominierungsveranstaltung zu hören.

Drei Hauptthemen nennt der Landtagsabgeordnete, die er als Oberbürgermeister vor allem auf dem Schirm hat: wirtschaftliches Wachstum, Sicherheit und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Gute, zukunftsgerichtete Jobs gehören für Octavian Ursu dazu, die junge Familien anlocken und hier in der Stadt auch gutes Geld verdienen sollen. „Die Situation bei Bombardier und Siemens hat uns vor Augen geführt, dass nicht nur im Norden unseres Landkreises ein Strukturwandel stattfindet, sondern auch hier bei uns in Görlitz“, so Octavian Ursu. Er wisse, dass es nur begrenzt möglich sei, zusätzliche Industrie- und Gewerbeflächen zu erschließen. „Deswegen plane ich, eine Innovationsplattform für den IT-Bereich zu gründen“, sagte der OB-Kandidat. Er führe bereits Gespräche mit entsprechenden Unternehmen, habe sich in den vergangenen Jahren Einrichtungen dieser Art in den USA und Russland angeschaut. Überhaupt: Seine Verbindungen, die er als Landtagsabgeordneter geknüpft hat, will er für Görlitz nutzen.

Die Entwicklung des Tourismus gehört für ihn zu einer leistungsfähigen Wirtschaft dazu, die Gewerbesteuer möchte er senken. Letzteres könne zwar kein Allheilmittel sein, aber „ein Signal nach innen und außen und einer der Bausteine für eine gute und dynamische wirtschaftliche Entwicklung“. Worte, die bei Unternehmern gut ankommen. „Die Wirtschaft hat Vertrauen in Sie als OB-Kandidat“, sagt Helmut Goltz, Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung im Kreis und selbst Firmenchef.

Sicherheit in der Stadt, ein wichtiges Thema für Ursu. „Ich will Görlitz zu einer der sichersten Städte in Sachsen machen“, kündigt er an. Er spricht von „polizeilicher Nulltoleranzstrategie“, einem Sicherheitskonzept für die Stadt, an dem er arbeite. Viele kleine Maßnahmen sollen dazugehören, beispielsweise ausreichende Beleuchtung von Straßen und Brücken, gerade an den Grenzübergängen, mehr Personal für das Ordnungsamt, ein sauberes Stadtbild, schnelle Erreichbarkeit von Polizisten, Videoüberwachung öffentlicher Plätze und Haltestellen des Nahverkehrs, ein Alkoholverbot auf bestimmten Flächen.

Um den Zusammenhalt in der Stadt zu stärken, möchte er das Ehrenamt unterstützen, es stärker öffentlich Wert schätzen. „Ich kann mir vorstellen, eine Tauschbörse für Ehrenamtliche einzurichten“, sagt Octavian Ursu. Görlitz sei auf einem guten Weg, eine Stadt der Generationen zu werden. Der OB-Kandidat plädiert dafür, die Unterstützung für Familien auszubauen. „Der öffentliche Nahverkehr, vor allem die Straßenbahn, muss für Groß und Klein barrierefrei zugänglich sein. Die Anschaffung von Niederflurtechnik müssen wir daher fest im Blick haben“, so Ursu.

Eine erneute Kandidatur für den Landtag schließe er aus, ebenso für den Stadtrat. „Weil ich aus Überzeugung unserer Stadt und ihren Bürgern dienen möchte“, begründet Ursu.

Und auch für die politische Konkurrenz hat er noch eine Botschaft im Gepäck: Er kenne die AfD aus dem Landtag in Dresden. Weder personelle noch inhaltliche Aufstellung seien tragbar. Eine Zusammenarbeit oder Koalition komme für ihn nicht infrage. „Die AfD zu bekämpfen heißt aber nicht, deren Wähler zu bekämpfen, weil die meisten nicht in die rechte Ecke gehören“, sagt Octavian Ursu. Und weiter: „Fakten und gute Argumente sind für mich die richtigen Mittel gegen Links- und Rechtsextremisten.“