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Glamourgirl im Zwielicht

Vor 20 Jahren stirbt die schnellste Sprinterin der Welt - Florence Griffith-Joyner wird nur 38. Ihre Weltrekorde sind seit 1988 wie in Stein gemeißelt. In Amerika wird sie bis heute wie eine Ikone verehrt.

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© dpa

Von Ralf Jarkowski

Berlin. Ihr grell-buntes Outfit, die wehenden dunklen Haare und die zentimeterlangen Fingernägel waren ein Blickfang, ihre Fabelweltrekorde scheinen für die Ewigkeit - doch ihr trauriges Schicksal ist bis heute bedrückend: Sprintkönigin Florence Griffith-Joyner war gerade einmal 38 Jahre alt, als sie am 21. September 1998 starb. Um 6.30 Uhr fand Al Joyner seine Frau im gemeinsamen Haus im kalifornischen Mission Viejo tot in ihrem Bett.

Die Sportwelt war geschockt, Gerüchte und Spekulation machten schnell die Runde. Starb die Olympiasiegerin an den Spätfolgen von Doping in der Anabolika-Hochzeit der 80er Jahre? Die Obduktion ergab dafür keine Anhaltspunkte. Griffith-Joyner sei im Schlaf durch eine angeborene Anomalie des Gehirns gestorben. Zweifel blieben.

„Die große Sphinx des Frauensports und ihr früher Tod sind Drama pur. In meinem Kopf ist sie für immer der weibliche Michael Jackson“, sagte Ines Geipel, Vorsitzende des Dopingopfer-Hilfe-Vereins, der Deutschen Presse-Agentur. „Aus einfachen Verhältnissen stammend rennt eine farbige Sprinterin wie im Sturm in die schillernde Welt aus Superlativen und Glamour. Das ist in meinen Augen die eigentliche Tragik: Dass man bei jedem ihrer Schritte sehen kann, wie jemand durchs Laufen unbedingt frei sein will - und sich dabei völlig verliert“, meinte Geipel, die in der DDR selbst Sprinterin war und rund sieben Monate später als Griffith-Joyner geboren wurde.

Zehn Jahre vor ihrem schockierenden Tod hatte Flo Jo den Höhepunkt ihrer Karriere erreicht: Innerhalb von 75 Tagen pulverisierte die Amerikanerin 1988 die Weltrekorde über 100 und 200 Meter, dreimal eroberte sie in Seoul Olympia-Gold, einmal Silber. Im gleichen Jahr wurde sie zur ersten „Welt-Leichtathletin“ der IAAF gekürt - zusammen mit ihrem Landsmann Carl Lewis.

Bei den Olympia-Trials in Indianapolis erlebten die Zuschauer am 16. Juli 1988 eine Sternstunde der Leichtathletik: Wie eine Windsbraut raste Griffith-Joyner über die Tartanbahn, nach 100 Metern stoppten die elektronischen Uhren bei 10,49 Sekunden. Ein unglaublicher Weltrekord. Die Amerikanerin Carmelita Jeter, 20 Jahre jünger, kam 2009 bis auf 15 Hundertstelsekunden an Flo Jos überirdische Zeit heran - mit 10,64 ist sie bis heute die Nummer 2 der Welt, Marion Jones (USA) mit 10,65 Sekunden folgt als Nummer 3.

Am 29. September legte Griffith-Joyner im olympischen 200-Meter- Finale spektakulär nach: Gold und wieder Weltrekord, wie im Halbfinale. Über die irren 21,34 Sekunden staunte auch Finalistin Heike Drechsler wohl mehr als über ihre Bronzemedaille.

Schnell, schön, beliebt und erfolgreich - das Covergirl des Weltsports faszinierte. Karriere machte Griffith-Joyner auch als Designerin, Kinderbuchautorin und Schauspielerin. „Die Leute beachten dich nicht, wenn du Zweite wirst. Deshalb wollte ich sehen, wie es sich anfühlt, die Nummer eins zu sein“, nannte sie ihre Motivation. 1989 trat Flo Jo, begleitet von Dopinggerüchten, zurück und brachte Tochter Mary Ruth zu Welt. Comebackversuche scheiterten. Bis heute wird sie auf einer unter ihrem Namen gepflegten Website wie eine Ikone verehrt.

„Zwanzig Jahre nach ihrem bitteren Tod wissen wir deutlich mehr über die Schadenskarrieren unserer großen Idole“, meinte Ines Geipel, die 11,21-Sekunden-Sprinterin ist selbst ein Dopingopfer. „Herztode, Epilepsien, Hirninfarkte, Krebse, kaputte Kinder gehören mittlerweile fast selbstverständlich zur Berichterstattung dieser Art Businesssports“, sagte die 58 Jahre alte Literatur-Professorin. „Zu Flo Jos Tod gab es keine einzige harte Frage“, beklagte sie. „Der Gordische Knoten um die chemisierten Körper bleibt ungelöst.“ (dpa)