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Geisterfahrer und Ampel-Ignoranten

Ein Drittel der Fahrradunfälle in Dresden verursachen die Radfahrer selbst. Auch weil sie die Straßenverkehrsordnung häufig zu „kreativ“ auslegen. Was den Polizisten so alles unterkommt:

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© Sven Ellger

Von Sandro Rahrisch

Die Ampel an der St. Petersburger Straße springt auf Rot. Die Autos halten. Auch Annemarie steigt vom Rad und lässt die Fußgänger den Überweg in Höhe Lingnerallee passieren. Warten, bis es grün wird, will die Dresdnerin, die auf dem Weg in den Feierabend ist, allerdings nicht. Sie steigt aufs Rad, tritt in die Pedalen und zieht an den Fahrzeugen neben ihr vorbei. Was sie nicht ahnt: Sie wird beobachtet.

Am Pirnaischen Platz empfängt die Polizei die junge Frau und winkt sie von der Straße. Was sie falsch gemacht habe wisse sie, erklärt sie den Beamten. Dass sie auf die Fußgänger gewartet hatte, bis sie weiterfuhr, mache es aber nicht besser, entgegnen ihr die Polizisten. Verstoß bleibe Verstoß. 60 Euro soll Annemarie jetzt zahlen. Eine teure Fahrt von der Arbeit nach Hause.

Und sie ist nicht die Einzige, die an diesem Nachmittag gestoppt wird. Ein Mann ignoriert ebenfalls die rote Ampel, ein weiterer fährt mit seinem Bike über den Gehweg und wieder ein anderer nutzt zwar den Radweg, allerdings den falschen. Er ist als Geisterfahrer auf der verkehrten Straßenseite unterwegs.

Tatsächlich gehören Ampel- und Richtungsverstöße zu den häufigsten Ursachen für Unfälle, die von Radfahrern verursacht werden, schätzt Kommissar Thomas Kiraly ein. Er gehört zur Fahrradstaffel der Dresdner Polizei, die jetzt im Frühjahr wieder verstärkt kontrolliert. Geisterfahrer sehe er sehr häufig auf der Marienbrücke. „Riesige Pulks fahren dort auf der falschen Seite vom Neustädter in Richtung Hauptbahnhof“, sagt er. „Da hat es schon einige umgehauen.“ Meistens sind zwei Verletzte zu beklagen, wenn sich die Lenker ineinander verhakt haben. Das ist aber nicht das einzige Problem auf der Brücke: Inzwischen biegen nicht nur Autofahrer verbotenerweise links in die Devrientstraße ab, sondern auch Radfahrer. Damit riskieren sie, von einem Auto oder einer Straßenbahn angefahren zu werden.

Im letzten Jahr ist die Zahl der Unfälle mit Radfahrern um sechs Prozent gestiegen, teilt die Polizei mit. Insgesamt waren 1 386 Radfahrer in Unfälle verwickelt, 80 Prozent trugen Verletzungen davon. Zwar ging die Mehrzahl auf die Kappe von Auto-, Laster- und Motorradfahrern. „Dennoch ist die Ursache für gut ein Drittel beim Radfahrer zu finden“, sagt Polizeirat Gerald Baier.

Dabei sind die Strafen durchaus empfindlich. Ohne Licht zu fahren, kostet beispielsweise 20 Euro. Wer beim Fahren sein Handy am Ohr hat, wird 55 Euro an die Staatskasse los. Und wer sich an einer geschlossenen Bahnschranke vorbeischlängelt, riskiert ein Bußgeld in Höhe von 350 Euro.

Ob Radfahrer die schlechteren Verkehrsteilnehmer sind? „Das ist schwer zu sagen“, sagt Kiraly. Schwarze Schafe gebe es im Auto wie auf dem Rad. „Es ist zumindest so, dass Autofahrer eine Fahrschulprüfung absolvieren mussten. Radfahren darf jeder, ob er körperlich und geistig dazu in der Lage ist oder nicht.“

Was der Polizist aber feststellt: Die Hemmschwelle, Verkehrsverstöße zu begehen, sei auf dem Rad niedriger. Eine rote Ampel sei für Autofahrer ein Gesetz zum Halten. Radfahrer würden sich dagegen eher umschauen, ob der Weg frei ist, und weiterfahren. „Da wird die Straßenverkehrsordnung oft sehr kreativ ausgelegt.“

Was sich gebessert habe: Mehr Radfahrer sind im Dunkeln mit Licht unterwegs. „Da ist eine deutliche Verbesserung zu erkennen“, so Kiraly. Eine Entwicklung, welche die Polizei ebenfalls freut: Mehr Dresdner steigen vom Auto aufs Rad um. Laut Schätzung der Stadtverwaltung nutzen etwa 20 Prozent der Einwohner das Bike für Strecken zwischen einem und drei Kilometern.

Um die hohe Verletzungsrate bei Radunfällen zu senken, appelliert die Polizei, die Räder ordentlich mit Licht und Reflektoren auszurüsten und einen Helm aufzusetzen. „Auch wenn der Radfahrer keiner Helm- und Warnwestenpflicht unterliegt“, so Gerald Baier.