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Geheimnisse im Hauptbahnhof

Ankommen, abfahren, warten – dort wo die Züge halten, gibt es weit mehr zu entdecken. Vieles davon unterirdisch.

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© René Meinig

Von Annechristin Bonß

Der Zug nach Tharandt fährt in fünf Minuten. Eine Frau hastet herbei. Sie will noch einsteigen. Zwei Polizisten patrouillieren. Ein Mann sitzt auf der Bank, er wartet. Vom Backshop weht der Duft nach frischen Brötchen durch die Ankunftshalle. Zwei Tauben picken die Krümel vom Boden. Alltag auf dem Hauptbahnhof. Ankommen, abfahren, warten, hektisches Gewusel, Durchgangsverkehr, zu Fuß und auf der Schiene. Joachim Täubert kennt noch eine andere Seite vom Bahnhof. Der 63-Jährige hat bis Oktober 2016 als Vertreter des Bahnhofsmanagements gearbeitet. Zudem engagiert er sich im Förderverein für den Hauptbahnhof. Er kennt die Geheimnisse des markanten Gebäudes am Wiener Platz.

Die Bahnsteige sollen bald umgebaut werden. Dann entsteht auch ein neuer Rettungsweg.
Die Bahnsteige sollen bald umgebaut werden. Dann entsteht auch ein neuer Rettungsweg. © René Meinig
Durch den alten Posttunnel wurden Briefe und Pakete zu den Bahnsteigen transportiert.
Durch den alten Posttunnel wurden Briefe und Pakete zu den Bahnsteigen transportiert. © René Meinig

Ankunftshalle: Wie die Linse in der Kuppel für frische Luft sorgt

Der Treff unterm Strick ist für viele Dresdner noch immer geflügeltes Wort und bekanntes Codewort bei Verabredungen. Hing doch in der Mitte der Kuppel in der Eingangshalle tatsächlich ein Strick von der Decke. Damit wurde eine Gaslampe ausgeschaltet. Heute ist unterhalb der Kuppel eine Kunststoff-Membran mit 15 Metern Durchmesser an einem Stahlring montiert. Dieser kann sich heben und senken. Für Joachim Täubert ist die Linse ein Raumabschluss, die noch dazu für frische Luft sorgt. Ist sie geöffnet, strömt kühle Luft in die Halle. Bei Windstärken über 3 senkt sich die Linse ab. Der Luftstrom in der Halle wäre sonst zu stark. Bei den derzeit frostigen Temperaturen bleibt die Konstruktion ebenfalls geschlossen.

Leitzentrum: Die Zugansage kommt noch von vor Ort

Ein Zug fährt langsam in die Ankunftshalle. Dort warten Passagiere. Eine Stimme ertönt. Sie erklärt die Anschlusszüge. Noch sitzt diese Zugansage körperlich vor Ort am Hauptbahnhof. Mitarbeiter schauen rund um die Uhr in einem abgedunkelten, unscheinbaren Büro auf die Monitore. Sie sagen An- und Abfahrten, Verspätungen und Anschlüsse an. So kommen 550 Reise- und Güterzüge pro Tag im Bahnhof an. Täglich bis zu 60 000 Reisende steigen hier ein, aus und um. Fotos sind in der Leitzentrale verboten. Die Monitore zeigen, welcher Zug gerade wo steht oder abfährt.

Was am Hauptbahnhof zur Normalität gehört, ist an anderen Bahnhöfen längst abgeschafft. Die Stimme am Bahnhof Neustadt sowie auf den Bahnhöfen entlang der Strecken nach Tharandt, Meißen und Bad Schandau kommt aus einem regionalen Ansagezentrum. Schon bald kommen von dort auch die Ansagen für den Hauptbahnhof. Nach den Bauarbeiten an den Gleisen und dem neuen Rettungstunnel wird die Ansage vor Ort abgeschafft. Die Mitarbeiter bekommen andere Aufgaben.

Kellergewölbe: Aus der Zuflucht für Verletzte ist großes Lager geworden

Wer schon die Empfangshalle als gewaltig empfindet, der wird unter der Erde noch einmal staunen. Hier erstrecken sich riesige Räume. Die alten Keller des Bahnhofes sind saniert. Sie dienen nicht nur als Lager. Hier sind sämtliche technische Anlagen verstaut: Heizung, Kühlung, Lüftung sowie die Sprenkleranlage für einen Feueralarm. Im Zweiten Weltkrieg dienten die unterirdischen Räume auch zum Schutz der Verletzten bei Bombenalarm. Ein Lazarett war damals in den heutigen Sälen Moritzburg und Meißen eingerichtet. Beim Alarm kamen die Verletzten in den Keller. Bis zu 4 000 Menschen sollen hier in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 ausgeharrt haben. Nicht für alle war das die Rettung. Weil der Sauerstoff in den Kellern knapp wurde, starben bis zu 750 Menschen. Sie lagen vor allem in der Mitte der großflächigen Räume, also dort, wo besonders wenige frische Luft ankam.

Posttunnel: Die alte Verbindung wird zum neuen Rettungsweg

Von den großen Kellerräumen geht es zum alten Posttunnel. Der verbindet die Post an der Bayrischen Straße mit den einzelnen Bahnsteigen. Mit Elektrokarren wurden Pakete und Briefe unterirdisch transportiert. Zu den Bahnsteigen führten große Lastenfahrstühle sowie Treppenaufgänge. Die sind heute noch erhalten. Große Eisentüren versperren den Weg in den Keller. Die Lastenaufzüge sind dagegen nicht mehr in Betrieb, viele sind kaputt, das Metall rostet vor sich hin. Der Posttunnel ist noch unsaniert. Es riecht muffig. Kleine grüne Farne wachsen aus den Ritzen empor. „Wo Licht und Wasser sind, wächst vieles“, sagt Joachim Täubert. In den kommenden Jahren soll dieser Tunnel eine neue Aufgabe bekommen. Er soll neuer Rettungsweg werden. Bricht zum Beispiel in der Ankunftshalle Feuer aus, können die Passagiere von den Bahnsteigen unterirdisch nach draußen zum Wiener Platz fliehen, ohne über die gefährlichen Gleise zu hasten.