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„Früher war mehr Zucht drin“

Margarete Föhlisch wird am Sonntag 101 Jahre alt. Ihr Geheimrezept für ein hohes Alter: viel arbeiten.

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© Nikolai Schmidt

Von Ingo Kramer

Görlitz. Margarete Föhlisch sitzt im kleinen Saal des Ständehauses, als der Fotograf und der Redakteur der Zeitung zu Besuch kommen. Sie ist nicht allein: Die Inhaberin des Seniorenzentrums Am Stadtpark, das im Ständehaus untergebracht ist, ist dabei, außerdem Berufsbetreuerin Christiane Kraus und noch zwei Mitarbeiterinnen. Dass ihretwegen so viele Leute da sind, kann sie nicht verstehen: „Sie können doch nicht alle hier herumsitzen, gehen Sie mal wieder arbeiten“, sagt sie bestimmt.

Arbeiten: Das ist das bestimmende Thema im Leben der Frau, die an diesem Sonntag 101 Jahre alt wird. Ihr eigenes Berufsleben hat sie im Görlitzer Maschinenbau verbracht, dem heutigen Siemens-Werk. „Ich war in der Fräserei“, sagt sie. Dann zeigt sie ihre Hand. Eine Fingerkuppe sieht lädiert aus: „Die habe ich in der Fräserei eingebüßt.“ Zur Behandlung sei sie vom Maschinenbau bis zum Krankenhaus gelaufen. Der damalige Werkleiter Günter Lohse taucht in ihren Berichten immer wieder auf. Auf ihn lässt sie nichts kommen. „Der Werkleiter war anständig“, sagt sie oft.

Geboren wurde die Jubilarin am 9. September 1917 als Margarete Burkert in Görlitz. Sie ist auch ihr ganzes Leben lang hiergeblieben. Ihr Vater war Schuhmacher, die Mutter Weberin. Die Familie lebte am Obersteinweg, später in der Hospitalstraße. „Da, wo der Zigarettenladen war“, erinnert sie sich. Sie besuchte die Nikolaischule. Bei der Berufswahl orientierte sie sich nicht an den Eltern. Die Familie habe nicht viel gehabt, sei aber zufrieden gewesen. Sie hatte eine Schwester und zwei Brüder. Die seien nicht so alt geworden. „Aber meine Eltern waren beide an die 100“, berichtet sie. Von ihrem Mann spricht sie nicht viel, die Ehe war kurz und blieb kinderlos. Für Kinder hätte sie keine Zeit gehabt, sagt sie: „Ich habe ja viel gearbeitet.“ Im Übrigen sei die Arbeit ihr Geheimrezept für das hohe Alter.

Sie blieb auch nach der Rente lange fit, reiste zu ihren Neffen und Nichten in die alten Bundesländer, etwa in den Odenwald. Überhaupt stand die Familie für sie als Rentnerin im Mittelpunkt, die Neffen und Nichten, Großneffen und Großnichten. Ilka Kaluza, eine der Großnichten, erinnert sich an Apfelkuchen, Käsekuchen und Quarkkäulchen, die „Tante Grete“ gern und gut gebacken habe. Neben Backen gehörten Kochen und Handarbeiten wie Nähen zu ihren Beschäftigungen. Ihre Neffen und Nichten seien für sie wie Ersatzkinder gewesen, um die sie sich gekümmert hat. „Die heiße und innige Liebe hat immer auf Gegenseitigkeit beruht“, sagt Ilka Kaluza.

Bald nach dem Zweiten Weltkrieg ist Margarete Föhlisch in eine Wohnung in der Straße Im Bogen in der Südstadt gezogen – und dort bis Mitte Dezember 2016 geblieben, also bis sie 99 Jahre alt war. Christiane Kraus schwärmt von der Wohnung: „Alles war original aus den 1950er Jahren, die Haushaltsgegenstände, sogar die Tapeten.“ Ein Bad gab es nicht, nur ein Waschbecken im Flur. Geheizt wurde mit Kohlen, im Schlafzimmer gab es keinen Ofen, aber ein richtig dickes Federbett. Margarete Föhlisch trug unter der Woche bunte Kittelschürzen, sonntags schöne Blusen und Röcke, zum Ausgehen auch Perlenketten. „Sie hat sehr sparsam gelebt und war gut organisiert“, sagt Christiane Kraus. Alles, was sie noch brauchen konnte, habe sie aufgehoben und weiterverwendet. Der Rest kam in den Ofen und wurde verbrannt.

Als sie ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen konnte, sei sie nicht nur vom ASB versorgt worden, sondern vor allem von den Nachbarn, dem Ehepaar Winkler, das für sie einkaufen gegangen ist. „Herr Winkler hat ihr auch die Kohlen hochgeholt und den Ofen angefeuert“, sagt die Berufsbetreuerin. Mit 99 Jahren sei es ihr dann aber körperlich sehr schlecht gegangen, sodass sie ins Ständehaus gezogen ist. Dort hat sie sich gut erholt, zum 100. Geburtstag gab es eine Feier, zu der die Großnichte extra angereist ist. Auch zum 101. Geburtstag am Sonntag soll es eine kleine Feier geben.

Margarete Föhlisch hört zwar nicht mehr allzu gut und ist in ihren Gedanken und Geschichten oft beim Werkleiter. Essen kann sie aber noch alles – solange es weich ist. Und sie verteilt gern Ratschläge für die Jüngeren. „Jeden Tag so leben wie den anderen“, sagt sie. Vor allem aber: „Viel arbeiten!“ Sie bedauert, dass sich nicht jeder daran hält: „Früher war mehr Zucht drin.“ Da habe es nicht so viele Leute gegeben, die „so faul waren, dass sie nicht gearbeitet haben“. Wenn sie könnte, sagt Margarete Föhlisch, würde sie gern noch mal ein paar Jahre fräsen.