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Gefährliche, friedliche Prager Straße

Teile der Dresdner Einkaufsmeile gelten wegen der hohen Kriminalitätsrate als bedrohlich. Trifft das wirklich zu? Eine Momentaufnahme:

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© René Meinig

Von Christoph Springer und Andreas Weller

Er sitzt mit seiner Gitarre auf einer Bank in Höhe des Pullmann Hotels auf der Prager Straße. Mohammed Almhde spielt arabische Musik. Drumherum tollen Kinder, kühlen sich am Pusteblumenbrunnen ab, Familien flanieren über Dresdens größte Einkaufsstraße, die den Hauptbahnhof und den Altmarkt verbindet. Es ist voll, Menschen mit Tüten spazieren die Straße entlang, manche sitzen entspannt auf Bänken und Treppen – alle genießen den lauen Sommerabend. Werber der Umweltorganisation WWF und der Menschenrechtsorganisation Amnesty International buhlen um Unterstützer. Es ist etwa 18.30 Uhr, die Geschäfte haben Hochbetrieb. Nur die permanente Präsenz von Polizeiwagen, die über die Einkaufsmeile fahren oder am Wiener Platz stehen und die Patrouillen der städtischen Polizeibehörde erinnern daran, dass Teile des Umfeldes der Prager Straße als gefährliche Orte eingestuft sind.

Verdachtsunabhängige Kontrolle: Vier Jugendliche werden von der Polizei gefilzt.
Verdachtsunabhängige Kontrolle: Vier Jugendliche werden von der Polizei gefilzt. © René Meinig
Mohammed Almhde (vorn) und seine Freunde musizieren bis spät in die Nacht.
Mohammed Almhde (vorn) und seine Freunde musizieren bis spät in die Nacht. © René Meinig
Junge Menschen vertreiben sich die Zeit vor der Bahnstation am Wiener Platz.
Junge Menschen vertreiben sich die Zeit vor der Bahnstation am Wiener Platz. © René Meinig

Konkret handelt es sich bei den gefährlichen Orten um die Freifläche an der Ferdinandstraße, die Reitbahnstraße 35, den Wiener Platz und die Trompeterstraße an der Centrum-Galerie. In den vergangenen Jahren musste die Polizei häufig anrücken. Allein am Wiener Platz gab es seit 2014 genau 84 Razzien. Die Einsätze scheinen bei Kriminellen Wirkung zu zeigen. Die Trompeter- und Ferdinandstraße sollen von der Liste gestrichen werden. Als gefährliche Orte gelten Bereiche, an denen sich Straftäter verbergen, sich Personen ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen, Straftaten vorbereitet oder begangen werden. Allerdings muss es sich um „signifikante Straftaten“ wie Drogendelikte handeln.

Seit einigen Jahren steigt das Unsicherheitsgefühl der Dresdner. Viele wollen sich nicht mehr an einzelnen Bereichen der Prager Straße aufhalten. Das belegen Umfragen der Stadtverwaltung. Deshalb hat sich die SZ die Prager Straße und die Orte, die als gefährlich gelten, genauer angesehen. Ein Abend bis weit nach Mitternacht: eine Momentaufnahme.

Es habe immer mal wieder Vorfälle gegeben, berichtet der Marketingchef des Hotels Pullmann Newa, Adrian Anger. Drogenhändler haben ihre illegalen Waren in den Beeten und Kübeln auf dem Gelände versteckt. Konkret geht es um den Bereich, wo der Personaleingang ist und es zur Station Hauptbahnhof Nord geht. „Wir wurden von Tagungsgästen darauf hingewiesen, weil das genau vor den Fenstern des Bankettbereiches ist und haben die Polizei verständigt“, so Anger. Eine Treppe zum Keller neben dem Eingang nutzen hin und wieder Betrunkene oder Obdachlose als Schlafplatz. Am Personaleingang wurde eine Videokamera installiert, mit dem Hinweis, dass dort überwacht wird.

Anger wurden auf dem Heimweg am Wiener Platz vor etwa einem Jahr mal Drogen angeboten, die er selbstverständlich ablehnte. Unsicher fühle er sich nicht. „Aber es gibt Mitarbeiterinnen, die sich abholen lassen oder zu einer anderen Haltestelle gehen.“ Für die Hotelgäste sehe er allerdings keine Gefahr, ausgeraubt oder überfallen wurde nach Angers Kenntnis noch kein Gast. „Allerdings schicken wir niemanden Richtung Hauptbahnhof, das kommt vom Stadtbild nicht so gut an.“ Dass die Polizei regelmäßig unterwegs ist, befürwortet er. Seitdem seien weniger „auffällige Personen“ unterwegs.

Auffällig ist auf der Straße das friedliche Nebeneinander von Dresdnern, Touristen und Flüchtlingen. Niemand scheint sich an den anderen zu stören. Immer wieder rollen Polizeiwagen durch die Fußgängerzone. Als die Geschäfte um 20 Uhr schließen, bricht der Fußgängerstrom nicht ab, auch die Plätze bleiben besetzt. Straßenmusiker Almhde, ein 27-Jähriger aus Libyen, ist in die Mitte der Prager Straße weitergezogen.

Der Wiener Platz wird größtenteils nur zum Vorüberlaufen genutzt. Einige Jugendliche sitzen auf den Treppenstufen vor der Bahnstation, unterhalten sich, einige trinken Bier. Die Zeiten, als dort Drogendealer Passanten angesprochen haben, scheinen vorbei zu sein. Auch die Reitbahnstraße wird offenbar nicht mehr als Depot für Drogen genutzt. Dort ist es nahezu menschenleer. Ähnlich wie auf der Freifläche an der Ferdinandstraße, die mal als Drogenhandelsplatz neben dem Wiener Platz galt. In der Trompeterstraße, wo die Polizei es häufig mit aggressiven Jugendlichen zu tun hatte, ist ebenfalls wenig los.

Gegen 21.30 Uhr führt die Polizei eine sogenannte verdachtsunabhängige Personenkontrolle durch. Vier ausländische junge Männer müssen im Bereich der Ferdinandstraße ihre Papiere zeigen, die Taschen leeren und können danach weiter. Solche Kontrollen sind nur an als gefährlich eingestuften Orten ohne Anlass erlaubt. Auf der anderen Seite der Einkaufsmeile sitzt eine ältere Frau auf einer Bank gegenüber vom Hauptbahnhof. „Angst habe ich hier keine“, so die Heidenauerin, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Aber vor zwei Monaten wurde mir beim Einkaufen im Bahnhof die Geldbörse gestohlen.“

Je später der Abend wird, desto mehr leert sich die Prager Straße. Einsätze verzeichnete die Polizei nicht, aber sie war bis gegen 22 Uhr präsent. Um 23 Uhr stellen sich die Brunnen automatisch ab. In den Restaurants herrscht noch reges Treiben. Irgendwann sind nur noch wenige Passanten unterwegs. Mohammed Almhde und einige Freunde spielen noch auf Gitarren und singen dazu. Er ist vor zwei Jahren als Flüchtling nach Dresden gekommen, lebt nun in einer Wohnung in Prohlis. „Ich hatte hier noch nie Probleme mit der Polizei und habe auch nichts von Problemen bemerkt“, erzählt er. Sie spielen bis tief in die Nacht. Die wenigen Passanten, die vorbeilaufen, schauen freundlich zu den Musikern, einige bleiben stehen und alles bleibt friedlich in dieser Nacht. Kommentar