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Forscher öffnen Schatzkiste

15 Millionen Euro geben Freistaat und Bund an fünf Hochschulen. In Zittaus Mitte soll ein Wissenszentrum entstehen.

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© Matthias Weber

Von Anja Beutler

Zittau. Das Ende der Kohleära, Krisen bei Siemens und Bombardier, zähe Wirtschaftsentwicklung, steter Bevölkerungsschwund. Es ist nicht leicht, das Dreiländereck solide aufzustellen. Klappen kann das nur – so sagt auch Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) seit Jahren – wenn pfiffige Ideen, Wissenschaft und Forschung den Unternehmern Vorteil und Vorsprung verschaffen. Und genau das will die Hochschule Zittau/Görlitz jetzt stärker als bislang tun. In den Ohren mancher Landkreisbewohner mag das verwunderlich klingen, denn die Hochschulwelt ist vom Alltag vieler doch weit entfernt. Das soll nun anders werden, sagen Kristin Sprechert und Martin Kunack. Sie gehören zum Team um Prorektor Tobias Zschunke, das an der Hochschule neu eingerichtet wird. „Wir wollen unser Wissen nicht in einer Schatzkiste im Elfenbeinturm verstecken, wir wollen, dass die Menschen, die Unternehmer, die Städte und Gemeinden es nutzen“, sagt Frau Sprechert.

Und weil auch Freistaat und Bund sich sehnlich wünschen, dass Wissenschaft auf Wirtschaft und Wirklichkeit trifft, gibt es 15 Millionen Euro für diese exzellente Idee. Fünf sächsische Fachhochschulen teilen sich dieses Geld in den kommenden fünf Jahren. Teilen sollen die Hochschulen in Dresden, Leipzig, Mittweida, Zwickau und eben im Dreiländereck vor allem ihr Wissen: Dazu haben sie einen Transferverbund geschlossen, der „Saxony high five“ – also Sachsen hoch fünf – heißt. „Alle fünf sind keine Unis, sondern Hochschulen für angewandte Wissenschaften – wir lieben es, an praxisrelevanten Dingen zu tüfteln“, erklärt Martin Kunack, der Standortmanager des Transferverbundes.

Die größte Herausforderung für ihn und seine Kollegin Kristin Sprechert ist es momentan, auf beiden Seiten Interesse zu wecken. Sie sollen Bürgern und Unternehmern verdeutlichen, dass und wie die Hochschule ihnen konkret helfen kann. „Wenn ein Unternehmer ein Problem hat, ruft er nicht eben mal bei einem Professor an und bittet um Hilfe“, skizziert Martin Kunack die Lage. Auch innerhalb der Hochschule selbst müssen noch so manche Bretter gebohrt werden, damit sich die Wissenschaft mehr öffnet. Aber die Zukunft liege eben genau da: Der Unternehmer oder Bürgermeister sagt, wo ihn der Schuh drückt und die fünf Hochschulen arbeiten je nach Thema an einer ganz konkreten Lösung.

Dazu soll in den kommenden Jahren allerdings nicht nur Papier beschrieben werden, sondern konkret in Zittau Neues entstehen: Über das 15-Millionen-Euro-Projekt soll in der Stadt auf rund 300 Quadratmetern eine Art Anlaufstelle eingerichtet werden. Dem Treffpunkt einen griffigen Namen zu geben, ist die erste große Hürde bei diesem Prestigeobjekt. Bislang wird es offiziell „Cocreation Lab“ genannt. Unter einem solchen Laboratorium zum kreativen Arbeiten kann sich wohl kaum jemand außerhalb der Hochschulwelt etwas vorstellen. Tatsächlich soll es ein Anlaufpunkt für alle werden, die sich mit Wärme- und Stromversorgung der hiesigen Haushalte in Zukunft befassen, für Fragen zu Elektro-, Gas-, Trink- und Abwassernetzen – kurz, für Infrastruktur. „Es geht darum, wie wir die Versorgung aufrechterhalten und schützen können“, erklärt Kunack. Im Zittauer Zentrum soll es möglich sein, Hacker-Angriffe oder Notfälle für Firmen- oder Verwaltungsnetzwerke zu simulieren und Lösungen zu suchen. Immerhin gab es bereits solche Attacken in den Rathäusern in Löbau und Zittau. Möglich soll es zudem sein, Forschungsergebnisse zu präsentieren, die Firmen oder Gemeinden ungeahnte Chancen und Möglichkeiten bieten.

Auch an die Menschen im Kreis will die Hochschule heranrücken: „Wir wollen zum einen unser Wissen verständlich weitergeben, zum anderen aber auch von Ideen, Anregungen und Sorgen der Bürger erfahren“, skizziert Frau Sprechert ein zweites Vorhaben, den „Marktplatz der Ideen“. Wie eine klassische Schulstunde soll und muss das nicht unbedingt aussehen – vielmehr will das Projektteam neue Wege über digitale Möglichkeiten gehen und ausprobieren, was am besten funktioniert.

Wenn die Experten an der Hochschule Zittau/Görlitz fachlich nicht weiterhelfen können, kommt das Wissen aus dem Netzwerk: Umwelt- und Landwirtschaftsthemen sind beispielsweise das Steckenpferd der Dresdener, Elektromobilität liegt den Leipzigern am Herzen und in Zwickau geht es um Materialkunde. „In Zwickau entwickeln die Kollegen übrigens eine Rollmopswickelmaschine“, sagt Kristin Sprechert, die gern auch das Kernthema der Hochschule Zittau/Görlitz so schön griffig benennen würde: „Wir wollen hier eine Rollmopswickelmaschine für die Energietechnik und die Versorgungsinfrastruktur entwickeln“, sagt sie und schmunzelt: Da sind sie wieder, die komplizierten Begriffe.