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Flucht nach vorn

Wie Winzer Jan Ulrich eine doppelte Krise wegen Rückständen in seinem Wein überstand und was er aus der schweren Zeit gelernt hat.

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© Thomas Kretschel/ kairospress

Gespräch: Olaf Kittel

Wir treffen uns im Weinkeller zum Gespräch. Hier unten ist es zur Mittagszeit ruhig, während oben in den Gasträumen das Mittagsgeschäft tobt: Die Bundeswehr ist in Bussen angerückt. Während seine Mitarbeiter wirbeln, ist Winzer Jan Ulrich sichtlich zufrieden mit dem Ansturm. Überhaupt wirkt er jetzt, ein Jahr, nachdem bei ihm zum zweiten Mal mit Pflanzenschutzmitteln verunreinigter Wein gefunden wurde, wieder deutlich entspannter. Dennoch hatte er lange gezögert, noch einmal über das Thema zu sprechen, das seine Firma schwer belastete.

Herr Ulrich, seit über einem Jahr gibt es keine Beanstandungen mehr von Weinen, obwohl sie in Sachsen nun so streng getestet werden wie sonst nirgendwo in Deutschland. Ende gut, alles gut?

Ich denke schon. Die Winzer haben aus der Sache gelernt, Reste von Pflanzenschutzmitteln wird man in unseren Weinen nicht mehr finden. Jetzt könnte man ruhig die strengen Kontrollen auch wieder einstellen. Denn die Analysen dauern ewig, wir verlieren zu viel Zeit, wir müssen doch verkaufen.

Mit inzwischen 16 Hektar Rebfläche und umfangreichem Gastronomiebetrieb gehören Sie zu den größeren Weinbaubetrieben. Wie schwer hat Sie der Weinskandal wirtschaftlich getroffen?

Wir haben 2016, als zum ersten Mal verunreinigter Wein entdeckt wurde, etwa 100 000 Euro eingebüßt bei einem Weinkellerumsatz von einer dreiviertel Million. Wir haben ja 12 000 Liter Wein weggekippt.

Und wie war es nach dem zweiten Fund, den Ihnen wieder ein Winzer eingebrockt hatte, von dem Sie Wein zugekauft hatten?

Da ging es erst richtig los. Die Kunden haben sich gefragt: Passt der nicht richtig auf? Oder hat er nichts aus dem ersten Fall gelernt? Jedenfalls spüren wir seither den Umsatzrückgang erst richtig. Einige Gastronomen haben uns aus dem Angebot genommen. Der Umsatzverlust beim Wein wird wohl noch mal so hoch ausgefallen sein wie nach dem ersten Fall. Schon ziemlich viel für uns.

Wie haben die Kunden reagiert?

Verhältnismäßig positiv. Einige kamen direkt zu mir und sagten: Jetzt kaufen wir erst recht euren Wein! Aber andere warteten auch erst einmal ein halbes oder Dreivierteljahr ab, um zu sehen, ob vielleicht noch was kommt. Schlecht für uns. Zum Glück ging in unserer Gastronomie der Umsatz kaum zurück.

Merken Sie jetzt, Mitte 2018, noch verändertes Kundenverhalten?

Eher nicht. Wir verkaufen jetzt allerdings, wie andere Winzer auch, mehr Wein in den Supermärkten. Aber nur dort, wo es auch gute Weinabteilungen gibt.

Manche Winzer meinen, dass der Weinskandal insgesamt zum Absatzrückgang geführt hat.

Wir spüren in den letzten Jahren einen leichten Rückgang, es hat sicher mit dem Skandal zu tun. Allerdings spielen die guten Ernten der letzten Jahre auch eine Rolle. Es ist mehr im Angebot, auch bei uns. Bis 2016 hätte ich durchaus noch mehr Wein gebrauchen können, denn manche Weißweine waren schon im August ausgetrunken. Dann ging es schon wieder mehr ums Verteilen als ums Verkaufen, ich musste Vorräte für die Weinfeste zurückhalten. Aber diese Zeiten sind vorbei. Jetzt muss ich Kunden, die schon im Februar den neuen Wein kaufen wollen, erklären, dass es den erst gibt, wenn der alte ausgetrunken ist.

Sind Sie mit den Preisen runtergegangen?

Ja, ein Stück. Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Wir hatten jetzt gute Ernten, da will ich meinen Kunden auch etwas zurückgeben.

Das ist recht neu für Sachsen und wird Ihre Kollegen nicht erfreuen.

Im Keller nützt mir der Wein nichts. Ich merke, wie rasch ich preisgesenkte Weine loswerde. Ich habe das gerade mit einem Rosé erlebt. Das ging ratzfatz.

Was sollte Elbtalwein kosten?

So um die zehn Euro ist okay. Wenn es mehr sein soll, muss der Wein aber auch die Qualität haben.

Als in Ihrem Wein nicht für den Weinbau zugelassene Pflanzenschutzmittel gefunden wurden, hätten Sie wie andere Winzer Informationen unterdrücken und die Lage schönreden können. Sie haben sich dafür entschieden, der Öffentlichkeit reinen Wein einzuschenken. Woher der Mut?

Zunächst war der öffentliche Druck so groß, dass ich kaum anders konnte. Aber es spielte auch die Überlegung eine Rolle, dass alles noch schlimmer würde, wenn es erst später herauskommt. Deshalb wollte ich von Anfang an ehrlich sein. Zumal ich ja selbst gar nichts dafür konnte.

Sie haben gehandelt wie gut beratene Großunternehmen, die sich teure Krisen-PR-Agenturen leisten können. Haben Sie in dem Ausnahmezustand, in dem Sie sich damals befanden, wirklich so kühl analysieren können?

Uns traf die Nachricht im Urlaub – es war ein Hammer, es brach über uns herein. Wir haben uns gefragt, ob alles umsonst war und jetzt alles den Bach runtergeht. Als sich meine Frau und ich vom ersten Schrecken erholt hatten, entschlossen wir uns zur Flucht nach vorn. Nach der Rückkehr riefen wir einen erfahrenen Pressesprecher an, der uns half, eine Pressekonferenz zu organisieren.

Wie sehen Sie es heute: War es richtig, offen damit umzugehen?

Nach dem ersten Fund war die Strategie genau richtig. Auch wenn wir bald ein Jahr lang dauernd in der Zeitung standen und bis heute kaum ein Weinartikel ohne Bezug auf unseren Fall auskommt.

Richtig war: Dies und das ist passiert, ich war es und dann den belasteten Wein vernichten?

Ja, genau. Beim zweiten Fall, so muss ich ehrlich sagen, hätte ich aber besser die Klappe gehalten.

Warum?

Da war ja nix. Es ging um Pflanzenschutzmittelreste im Grenzbereich – und der Kerner ist gar nicht in den Handel gekommen. Erst danach hatte ich einen Umsatzeinbruch. Ich frage mich heute, ob es wirklich in die Öffentlichkeit gehört, wenn ein Fehler in der Produktion festgestellt wird, der aber rechtzeitig entdeckt und korrigiert wurde. Das geschieht doch in jedem Unternehmen mal, ohne dass es die Öffentlichkeit erfährt.

Wein ist kein x-beliebiges Produkt. Und die Presse schaut dann genau hin, wenn schon einiges passiert ist.

Dennoch will ich mich darauf verlassen können, dass interne Analysen auch intern bleiben und nicht durchgestochen werden. Ich bin gespannt, ob die neue EU-Datenschutzgrundverordnung da weiterhilft.

Sollten sich Unternehmer in einer solchen Situation Hilfe suchen?

Ja, das ist besser. Ich hätte mir schon Beratung gewünscht. Vor allem, wie man mit der Presse umgeht.

Welche Konsequenzen haben Sie sonst gezogen?

Ich habe die Zahl der Weinzulieferer stark reduziert, von 80 auf 48. Darunter ist der Verursacher meiner Probleme, den ich nach wie vor nicht nennen darf. Die Verbliebenen müssen ihre Trauben vor der Lieferung auf eigene Rechnung untersuchen lassen. Zudem habe ich umstrukturiert und mache den Keller jetzt wieder selbst. Wir haben unsere Weine in Produktgruppen eingeordnet und ihnen neue Etiketten verpasst, die auch jüngere Kunden ansprechen sollen. Wir wollen nach dem ganzen Ärger jetzt mit Schwung in eine neue Ära starten.

Gespräch: Olaf Kittel