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Flucht aus der libyschen Hölle

Deutschland beteiligt sich am EU-Umsiedlungsprojekt und sagt die Aufnahme von 10 000 Flüchtlingen aus Nordafrika zu.

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© Emilio Morenatti/AP/dpa

Von Martin Gehlen, SZ-Korrespondent in Tunis

Es waren entsetzliche Bilder, die Ende letzten Jahres um die Welt gingen. Für einen Moment hoben sie den täglichen Horror in Libyen ins globale Bewusstsein. Kopfüber wie Schlachtvieh hingen die drei jungen Afrikaner auf offener Straße mit gefesselten Füßen an einem Fenstergitter. Einem anderen, auf dessen Gesicht Todesangst und Panik standen, hielt der libysche Peiniger einen Revolver an die Schläfe. Viele Opfer auf den Internetfotos hatten offene Wunden am ganzen Körper oder lagen gefesselt am Boden, während Milizionäre in Tarnuniformen sie mit Stiefeln traktierten. Ein grobkörniges Handyvideo, das damals dem Sender CNN zugespielt wurde, zeigte, wie Migranten aus Afrika für 400 Dollar (rund 320 Euro) als Sklaven für Feldarbeit verkauft wurden.

Seitdem tut sich wenigstens etwas. Mit neuen Initiativen versucht die Europäische Union, solche Verbrechen vor ihrer Haustür einzudämmen und den Schmugglern das Handwerk zu legen. 137 Menschenhändler seien bisher festgenommen und der italienischen Justiz übergeben worden, erklärte kürzlich Admiral Enrico Credendino, Oberbefehlshaber der EU-Marineoperation „Sophia“ im Mittelmeer. Nach seinen Angaben wurden 188 Mitglieder der libyschen Küstenwache ausgebildet, bis Ende 2018 sollen es 300 sein. Vier neue Boote lieferte Italien, weitere sechs sollen folgen.

Gleichzeitig wurden in den letzten Monaten 20 000 Migranten mit EU-Geldern in ihre Heimatländer südlich der Sahara zurückgebracht, berichtete die EU-Botschafterin für Libyen, Bettina Muscheidt, vor Journalisten in Tunis. Versprechen und Finanzhilfen sollen die Staaten der Sahelzone bewegen, Migranten von der Flucht abzuhalten und weitere zurückzunehmen. 20 der 53 berüchtigten Internierungslager haben die libyschen Behörden inzwischen geschlossen, teilte ein Sprecher in Tripolis mit. Und so geht die Zahl der Überfahrten von Libyen nach Italien seit einiger Zeit rapide zurück. Waren es im gesamten Jahr 2017 bereits 40 Prozent weniger als im Vorjahr, sank die Zahl der Bootsflüchtling im zweiten Halbjahr sogar um zwei Drittel – ein Trend, der in den ersten drei Monaten 2018 anhielt.

Im Gegenzug legte die EU-Kommission ein zweijähriges Umsiedlungsprogramm für Flüchtlinge auf, die sich in Libyen, Ägypten, Tschad, Sudan und Niger aufhalten. Alle 50 000 Plätze sind inzwischen vonseiten der EU-Staaten zugesagt, als letzte kam die Bundesregierung an Bord, wie EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos mitteilte. Frankreich will 10 200 Menschen aufnehmen, gefolgt von Deutschland mit 10 000 und Schweden mit 8 750. Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn haben abgelehnt.

EU-Türkei-Pakt als Vorbild

500 Millionen Euro stellt Brüssel dafür bereit. Das sind 10 000 Euro pro Migrant. Man wolle das illegale Modell der Schleuser durch ein legales Modell ersetzen, hieß es zur Begründung. Sicher und auf direktem Wege nach Europa kommen können künftig „besonders gefährdete Menschen, die internationalen Schutz brauchen“. Die Auswahl trifft das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Die Entscheidung über die ersten 25 000 soll bis Oktober 2018 fallen.

Vorbild ist das bereits seit Juli 2015 bestehende Umsiedlungsprogramm für syrische Flüchtlinge aus der Türkei, Jordanien und Libanon, das auch Bestandteil des EU-Türkei-Abkommens ist. Doch dessen fünfstufiger Mechanismus ist so gespickt mit bürokratischen Hürden und politischen Widerständen, dass es in den letzten drei Jahren nur 18 500 Menschen über diesen Weg nach Europa schafften. Wer künftig in Libyen und anderen Staaten der Region zu den wenigen Glücklichen zählt, ist schwer zu prognostizieren. Schon jetzt quellen die Prioritätslisten des UNHCR über, auf denen junge Waisen und alleinstehende Mütter mit Kleinkindern ganz oben stehen.

Allein in Libyen sind 43 000 Menschen beim Uno-Flüchtlingshilfswerk registriert, die meisten stammen aus Äthiopien, Eritrea und Somalia. 10 000 extrem Gefährdete möchte Vincent Cochetel, Beauftragter des Uno-Flüchtlingskommissars für die zentrale Mittelmeerroute, bis Ende 2018 nach Europa umsiedeln. Im Niger stehen 10 500 Personen auf der UNHCR-Dringlichkeitsliste, im Tschad sind es sogar 83.500. Von ihnen kamen in den letzten beiden Jahren lediglich 756 zum Zuge – niemand in Richtung Europa, alle nach Kanada und in die USA.