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Flagge gezeigt

Deutschland raus, Wohnmobil kaputt. Die vier WM-Reisenden aus der Oberlausitz sind trotzdem glücklich.

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Von Susanne Sodan

In zwei Jahren wollen sie wieder dabei sein, dann zur Jubiläums-Fußball-EM. Jetzt aber sind Mario Thomas, Eric Pursche, Sandro Stricker und Marcus Lobedann erst mal von der WM in Russland zurück. Zehn Tage haben sie in Kaliningrad verbracht und drei WM-Spiele live verfolgt. Sie selber sind wohlbehalten wieder in der Oberlausitz angekommen, ihr Wohnmobil, der „Kanzler“, hat die Strecke nicht ohne Blessuren überstanden. „Uns war schon bei der Hinfahrt aufgefallen, dass er sich schwer schalten ließ“, erzählt Mario Thomas.

Bei den Spielen davor war die Truppe zu dritt unterwegs, Marcus Lobedann war für die letzten vier Tage per Flugzeug nachgereist nach Kaliningrad.
Bei den Spielen davor war die Truppe zu dritt unterwegs, Marcus Lobedann war für die letzten vier Tage per Flugzeug nachgereist nach Kaliningrad. © privat
Dort wohnten die Freunde mit ihrem „Kanzler“ in einträchtiger Nachbarschaft mit marokkanischen Fans.
Dort wohnten die Freunde mit ihrem „Kanzler“ in einträchtiger Nachbarschaft mit marokkanischen Fans. © privat

Er und die drei anderen stammen alle aus Kodersdorf und Schöpstal, kennen sich seit ihrer Jugendzeit. Und schon vor zwei Jahren waren alle vier bei der EM in Frankreich dabei. Den „Kanzler“, einen Fiat Ducato Baujahr 1988, hatten sie sich damals dafür gekauft, fuhren mit ihm von Stadion zu Stadion. Für die WM in Russland hatten sie sich als Reiseziel den Stadionort ausgesucht, der der Oberlausitz am nächsten liegt – Kaliningrad. Auch da kann man nicht gerade von „nah“ sprechen. Rund zwölf Stunden dauerte die Hinreise.

In Kaliningrad schlugen sie ihr Urlaubscamp auf einer Wiese hinter einem Hotel auf, gemeinsam mit anderen WM-Campern. Eine Zeitlang lebten sie Tür an Tür mit marokkanischen Fans, mit Belgiern, dann mit Schweizern. Was sie wieder und wieder erklären mussten: Warum kommen vier Deutsche nach Kaliningrad, obwohl im dortigen Stadion kein einziges Deutschland-Spiel stattfindet? So genau konnten die vier das vorher aber nicht wissen, als sie im Februar ihre Karten für die drei Spiele in Kaliningrad kauften, noch vor der Gruppenauslosung. Und außerdem ging es der Truppe eher um den Spaß: Sie lernten jede Menge andere Fußballverrückte aus aller Welt und Einheimische kennen, sie feierten mit Belgiern in einer Bar deren Sieg gegen Tunesien, sie gingen im See nahe ihres Campingplatzes angeln. Nur einen Tag mussten sie im angrenzenden Hotel verbringen, bei Dauernieselregen und 12 Grad Celsius.

„Es waren alle, die uns begegnet sind, sehr freundlich, sehr aufgeschlossen“, erzählt Eric Pursche. Marcus Lobedann hat in der Schule Russisch gelernt. Mit ein paar Brocken konnte man durchaus das Eis brechen, erzählt er. Nur bei den Kontrolleuren am Stadioneingang klappte das nicht. Die waren äußerst genau, erzählen die vier. Insgesamt, die Sicherheitsvorkehrungen seien enorm hoch gewesen. Nicht erdrückend, sagen die Fußballfreunde, aber eben doch auffällig. Im Stadion gab es auch eine Kontrollstation für Flaggen, die Fans mit ins Stadion nehmen wollten. Und genau das wollten die Oberlausitzer.

Wie in Frankreich auch hatten sie in Russland eine große Görlitz-Fahne mit dabei. Bei der EM vor zwei Jahren wehte die in mehreren Stadien in der Luft. Diesmal war es schwieriger. Es durften nur Fahnen mit ins Stadion, die kürzer als zwei Meter waren. Die Görlitz-Flagge ist drei Meter lang. Beim ersten Spiel, Serbien geben die Schweiz, hatten sie keine Chance. Beim zweiten Versuch, die Partie Spanien gegen Marokko, klappte es. Die Fahne ging als Sitzkissen durch. Beim dritten Spiel, England gegen Belgien, schauten die Kontrolleure genauer hin. Wie sie die Flagge trotzdem ins Stadion bekommen haben? Zusammengefasst: mit ein bisschen Frechheit, plötzlicher Taubheit und flinken Füße. An einem der oberen Ränge brachten sie die Fahne an. Marcus Lobedann blieb die ganze Zeit daneben stehen – damit sie dort oben auch hängen blieb. Für ihn ein Spiel ohne Freunde und ohne Bier. „Wir sind leidensfähig“, sagt Marcus Lobedann.

Leidensfähigkeit brauchten sie auch, als Deutschland bei der Vorrunde aus dem Turnier ausschied. Es war enttäuschend, sagen die vier. Aber irgendwie sei es auch absehbar gewesen. „Man hat schon in den Spielen vorher gemerkt, dass der richtige Geist nicht drin war.“ Vielleicht der Fluch des Weltmeisters, vermuten sie. Sie fiebern jetzt mit Frankreich mit, eine junge, gute Truppe, finden sie. „Also ich bin für Schweden“, sagt Mario Thomas. „Dann hätten wir in der Vorrunde immerhin gegen den künftigen Weltmeister gewonnen.“

Zum Schluss war es der „Kanzler“, der litt. Nachdem die Schaltung schon auf der Hinfahrt nicht so locker war wie üblich, setzte sie bei der Rückfahrt völlig aus, in Polen, rund 150 Kilometer vor dem Ziel. „Wir haben zum Glück einen Mechaniker dabei“, sagt Sandro Stricker und deutet auf Mario Thomas. Ein verbogenes Fahrzeugteil, der Grund allen Übels, ließ sich zumindest soweit wieder richten, dass die vier es nach Hause schafften. Jetzt ist der „Kanzler“ in der Werkstatt. Schon bald muss das Wohnmobil wieder fit sein. Die vier Freunde wollen zum Billy-Idol-Konzert. Und in zwei Jahren wieder zur EM.