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Fischers Freibad

Jürgen Fischer verbringt seit 1994 jeden Sommer als Schwimmmeister in Dorfhain – und hat noch keinen Tag gefehlt.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Thomas Morgenroth

Dorfhain. Hallo?“, ruft ein Junge vom Fuß der Treppe zu Jürgen Fischer herauf. Der Schwimmmeister im Erlebnisbad Dorfhain schiebt die Sonnenbrille auf die Nase, schaut freundlich zu dem Burschen und fragt: „Ja?“ Ein Wespennest sei in einem der Bänke, sagt das Kind. Fischer nickt wissend. „Da war ich schon ein paarmal dran.“ Er sagt der Rettungsschwimmerin Anne Zeidler Bescheid, dass er kurz seinen schattigen Beobachtungsposten an der Balustrade des Technikgebäudes verlässt.

Fischer schnappt sich eine Plasteflasche und sprüht ein Kontaktgift in die Löcher des Stahlgestells. Einige hatte er bereits mit Gewebeband zugeklebt, aber die stechlustigen Insekten kamen trotzdem wieder. Nun macht er ihnen den Garaus, jedenfalls vorläufig. Wer fliehen will, findet sich unter Fischers Badelatschen wieder. Gnade kennt der 55-Jährige nicht: Wespenstiche gehören zu den häufigsten und oft auch gefährlichsten Verletzungen in Freibädern, da macht Dorfhain keine Ausnahme. Jürgen Fischer muss es wissen: Der Dresdner ist seit der Eröffnung des Erlebnisbades im Jahre 1994 hier der Schwimmmeister. Es ist seine fünfundzwanzigste Saison, ein Jubiläum, von dem er bis zum SZ-Termin noch gar nichts wusste. „Darüber habe ich nicht nachgedacht“, sagt Fischer, der in diesem Rekordsommer, der ihm bis zu eintausend Badegäste täglich beschert, auch ganz andere Dinge im Kopf hat.

Der großgewachsene Mann, der stets ein freundliches Lächeln auf den Lippen hat, aber auch mal gehörig poltern kann, wenn es nötig ist, verbringt Jahr um Jahr den Sommer am Tharandter Wald. Von Mai bis September ist Jürgen Fischer, angestellt von der Gemeinde Dorfhain, jeden Tag im Bad, wochentags genauso wie sonnabends und sonntags oder an Feiertagen, auch wenn das Wetter schlecht ist. „In einem Bad gibt immer etwas zu tun“, sagt Fischer, der seine Überstunden im Winter abfeiert und dann gern ein paar Wochen als Rucksacktourist in Asien unterwegs ist.

Fischer ist wahrscheinlich der verlässlichste Mitarbeiter, den Dorfhain je hatte: Seit 1994 hat er nie auch nur einen Tag wegen Krankheit gefehlt, und er hatte auch noch nie ein einziges Wochenende frei. „Das Privatleben kommt in dieser Zeit natürlich zu kurz“, räumt Fischer ein. Nicht jede Familie macht das auf Dauer mit, diese schmerzliche Erfahrung musste Fischer, der Vater von zwei Töchtern ist, nicht erst einmal machen. Aber seinen Traumberuf, zu dem er über Umwege kam, will er trotzdem nicht aufgeben.

Schon mit dreizehn hat Fischer im Lößnitzbad in Radebeul als Rettungsschwimmer angefangen, machte eine Ausbildung zum Schwimmmeister und trainierte als Sporttaucher, aber es blieb zunächst ein Freizeitjob. Beruflich befasste er sich als gelernter Elektromechaniker mit Batterien, nach der Wende freilich verdüsterten sich seine Zukunftsaussichten. „Da machte mein Hobby zum Beruf“, erinnert er sich.

Fischer kam schon ein halbes Jahr vor der Eröffnung nach Dorfhain und erlebte das Finale des Baugeschehens mit. Er konnte so noch einige Wünsche äußern und vor allem alles dokumentieren: „Ich weiß genau, wo welche Leitung liegt.“ Das, sagt er, habe ihm inzwischen schon oft geholfen – und Kosten gespart. Wie auch sein handwerkliches Geschick: Wo andere den teuren Fachmann rufen müssen, packt Fischer sein eigenes Werkzeug aus. Vielleicht hat er damit sogar der finanziell ewig klammen Gemeinde das Bad gerettet. Der Haushalt, bestätigt Bürgermeister Olaf Schwalbe, lässt keinen großen Spielraum zu.

Er zollt dem Schwimmmeister seine Anerkennung: „Trotz des großen Andrangs wirkt das Bad gehegt und gepflegt.“ Da lässt Fischer auch keine Luft ran. Zu seinen Aufgaben und denen der vier Saisonkräfte gehört die Sauberkeit auf den Wiesen genauso wie die in den drei Becken und die reibungslose Funktion der Technik.

Und dann schaut der durchtrainierte Mann, der morgens ein paar Runden im Sportbecken dreht und im Winter in Radebeul zum Eisbaden geht, stundenlang den Badenden zu. Die Schwierigkeit dabei sei, sagt er, immer hellwach und auf den Punkt einsatzbereit zu sein. Unfälle freilich kann er dennoch nicht verhindern, einmal bisher kam für einen Badegast jede Hilfe zu spät. „Das ist das Schlimmste, was einem Schwimmmeister passieren kann“, sagt Fischer, den allerdings keine Schuld traf.

Auch wenn die Gäste nach einem Pflaster fragen, einer Liege, einem Ball oder sich von Wespen bedroht fühlen – Fischer lässt sich nicht ablenken. Und regelt manches auf seine Art: Als er sieht, dass einige Jugendliche die Rutsche hinauflaufen wollen, steckt er zwei Finger in den Mund, pfeift gellend und droht mit dem Zeigefinger. Das verschafft ihm Respekt – und sorgt sofort für Ordnung in Fischers Freibad.