Merken

Falscher Rauch zum scharfen Start

Im August 1958 ging in Hagenwerder das Kraftwerk „Berzdorf I“ mit dem ersten Block ans Netz.

Teilen
Folgen
© Rainer Kitte

Von Heinrich Haufe

Hagenwerder. Der wirtschaftliche Aufschwung im Deutschland der 1930er Jahre hatte einen Anstieg des Bedarfs an Elektroenergie zur Folge. Das von der Reichsregierung aufgelegte Wärmekraft-Sofortprogramm sah die Errichtung mehrerer Einheitskraftwerke mit einer installierten elektrischen Leistung von 300 MW (Megawatt) vor.

Fast wäre der Termin nicht gehalten worden: Kurz vor der feierlichen Inbetriebnahme am 15. August 1958 gab es einen Rohrreißer (links).
Fast wäre der Termin nicht gehalten worden: Kurz vor der feierlichen Inbetriebnahme am 15. August 1958 gab es einen Rohrreißer (links). © Sammlung Haufe
Mit einer kühnen Improvisation konnte aber der Festakt dennoch stattfinden – mit Blaskapelle, Ehrengästen, Grenzpolizei, Kampfgruppe und allen Mitarbeitern. 30 von ihnen wurden für Aufbauleistungen ausgezeichnet.
Mit einer kühnen Improvisation konnte aber der Festakt dennoch stattfinden – mit Blaskapelle, Ehrengästen, Grenzpolizei, Kampfgruppe und allen Mitarbeitern. 30 von ihnen wurden für Aufbauleistungen ausgezeichnet. © Sammlung Haufe
Es war aus und vorbei: Sprengung der Kessel des Werkes III am 10. Oktober vor 15 Jahren.
Es war aus und vorbei: Sprengung der Kessel des Werkes III am 10. Oktober vor 15 Jahren. © privat
Heinrich Haufe
Heinrich Haufe © privat

In dieses Programm war Berzdorf eingebunden. Unter einer hohen Dringlichkeitsstufe wurde 1943 der Baubeginn mit zunächst zwei Blöcken zu je 75 MW angewiesen. Etwa zeitgleich wurde mit der Erweiterung des Kraftwerkes Hirschfelde begonnen. Beide Bauvorhaben standen unter der Leitung der Kraftwerksdirektion Hirschfelde und wurden mit Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern aus den von Deutschland okkupierten Ländern verwirklicht. Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zur Einstellung der Arbeiten.

Die nach der Gründung der DDR beschlossenen Maßnahmen zum Aufbau einer leistungsfähigen Volkswirtschaft im Osten Deutschlands erforderten auch den Aufbau neuer Kraftwerke. 1952 wurde mit der Sicherung der Investruine Kraftwerk Berzdorf begonnen, Projektierungsarbeiten aufgenommen und 1955 der erste größere Auftrag für Erdarbeiten vergeben. Der VEB Energiebau Radebeul koordinierte mit der Oberbauleitung alle Bau- und Montageleistungen. 1956 wurde das Projekt zum „Bau der Jugend“ erklärt. Parallel zum Aufbau des Kraftwerkes erfolgten der Ausbau und die Erweiterung des Tagebaus Berzdorf als künftiger Kohlelieferant. Am 28. Juni 1958 fuhr der erste Kohlezug aus dem Tagebau in das Kraftwerk. In Teilbereichen begann der Probebetrieb. Etwa vier Wochen vor dem Staatsplantermin stellten sich bei der Inbetriebnahme der Hauptanlagen erhebliche Probleme ein. Die Maschine 2 wurde am 12. Juli 1958 erstmalig angestoßen. Beim Hochfahren auf die Betriebsdrehzahl traten Lagerschwingungen auf, die zur sofortigen Stillsetzung führten. Am 14. Juli kam es durch Unachtsamkeiten bei Schweißarbeiten zu einem Brand und zum Totalschaden des Block-Regeltrafos. Nach der Reparatur der Maschine 2 und dem Austausch des Transformators wurde am 4. August die erste Netzschaltung der Maschine 2 vollzogen. Die Maschine 1 folgte am 12. August 1958. Der Staatsplantermin 15. August schien damit gesichert. Doch wenige Stunden vor der Festveranstaltung trat am Kessel 1 ein Rohrreißer auf, der zur Außerbetriebnahme des Kessels und zur Trennung beider Maschinen vom Landesnetz führte. Der zweite Kessel war noch nicht verfügbar. Der damals für ein in Betrieb befindliches Kraftwerk typische dunkle Rauch aus dem Schornstein verblasste immer mehr. Da halfen nur noch brennende Dachpappenrollen, die in den Rauchgaskanal geworfen wurden, um die Ehrengäste nicht stutzen zu lassen.

Nach der Inbetriebnahme des ersten 75-MW-Blockes wurden drei weitere Blöcke fertiggestellt und in Betrieb genommen. Am 29. April 1960 wurde der Block 4 mit dem Verbundnetz der DDR parallel geschaltet. Das ursprünglich geplante Einheitskraftwerk mit der Bezeichnung Berzdorf I war fertiggestellt, 300 MW elektrische Leistung installiert und verfügbar. 1960 wurde vom Leiter der Energiewirtschaft der DDR dem Kraftwerk der Name „Völkerfreundschaft“ verliehen.

Zeitgleich zum Aufbau und der Inbetriebnahme der Blöcke 3 und 4 begannen die Bau- und Montagearbeiten in Werk II. Die 100-MW-Blockeinheiten 5 und 6 gingen 1963 in Betrieb. Nun verfügte das Kraftwerk Hagenwerder über eine installierte elektrische Leistung von 500 MW. Der Trend zu größeren Blockleistungen auf der Basis von Rohbraunkohle führte anfangs der 1970er Jahre dazu, im Kraftwerk Hagenwerder III zwei 500-MW-Blöcke in Form eines 1 000-MW-Bausteines als Prototyp zu errichten. 1970 erfolgte die Grundsteinlegung. 1974 war der erste 500-MW-Block am Netz, und 1977 erreichten beide Blöcke erstmalig zusammen eine elektrische Leistung von 1 000 MW. Der Brennstoffbedarf konnte mit der bisherigen Zufuhr mit Kohlezügen nicht mehr gedeckt werden. Deshalb wurde eine Bandbekohlungsanlage gebaut. Die Kohle wurde nun vom Bagger im Tagebau direkt bis in die Kesselbunker aller drei Kraftwerke gefördert.

Dem politischen Umbruch 1989/1990 mit neuen Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit und auch die Reduzierung der Umweltbelastungen konnte das Kraftwerk Hagenwerder nicht mehr gerecht werden. Vor allem beeinflusste der sinkende Strombedarf durch den Niedergang vieler ostdeutscher Industriebetriebe die kurzfristige Stillsetzung der Werke I und II. Mit dem Abschalten des letzten Blockes im Werk III am 28. Dezember 1997 ging nach fast 40-jährigem Bestehen im Energieschwerpunkt Hagenwerder „das Licht“ aus. Die Erinnerung an vier Jahrzehnte Kraftwerksbetrieb kann nicht ohne die Würdigung der Menschen abgeschlossen werden, die diesen komplizierten und oft auch gefahrvollen Produktionsprozess bewältigt haben. Bei körperlicher und geistiger Belastung waren für viele Frauen und Männer Hitze, Staub und Lärm ständiger Begleiter. Ihnen allen sei für ihren Einsatz gedankt.

Der Autor war 1957 in der Bauleitung, ab 1960 im Kraftwerk Hagenwerder Reparaturingenieur. Von 1966 bis 1990 leitete er den Reparaturbetrieb. Der gekürzte Text stammt aus seinen Erinnerungen.