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Europas Resterampe

Irgendwo in Deutschland wird ein alter Fernseher ausrangiert. Auf oft illegalen Wegen landet er Monate später auf einer riesigen Müllkippe in Ghana.

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Von Gioia Forster und Bernhard Sprengel

Tony Obour ist ein Meister mit dem Schraubenzieher. Konzentriert brütet er über einem Fernseher. In seinem Laden in Accra repariert der Ghanaer Altgeräte aus Europa. Andernorts in der westafrikanischen Millionenstadt beugt sich Lubman Idris in Badeschlappen und kurzer Hose über Metallreste. Er verdient sein Geld mit dem Rohstoffverkauf aus kaputter Elektronik. Über 5 000 Kilometer entfernt, in Hamburg, soll Polizeioberkommissar Wolfgang Heidorn Elektromüll finden, der das Land eigentlich nicht verlassen dürfte.

Tony Obour repariert einen Fernseher in seiner Werkstatt in Accra, sein Lehrling schaut ihm dabei über die Schulter
Tony Obour repariert einen Fernseher in seiner Werkstatt in Accra, sein Lehrling schaut ihm dabei über die Schulter © dpa
Eine Tüte voller Kupferspulen und anderer Metalle, die Recycler Lubman Idris gesammelt hat.
Eine Tüte voller Kupferspulen und anderer Metalle, die Recycler Lubman Idris gesammelt hat. © dpa

Alle drei Männer haben Rollen in einem Wirtschaftskreislauf, der in Teilen illegal ist. Und der manche Menschen in armen Ländern krank macht: dem Geschäft mit ausrangierten Elektrogeräten.

Computer, Drucker, Staubsauger, LED-Leuchten: International wächst der Berg an Elektromüll. Eine UN-Studie schätzt, dass die Menge weltweit auf über 52 Millionen Tonnen im Jahr 2021 ansteigen wird. Auch weil Menschen in reichen Ländern wie Deutschland schnell die neueste Technik nutzen wollen. Das Handy ist nicht mehr angesagt. Der Laptop lädt zu langsam, die Auflösung des Fernsehers ginge besser – also wird ausgemistet. Andere Teile haben den Geist wirklich aufgegeben.

Häufig aber bleibt im Verborgenen, was mit dem Abfall geschieht. Wobei längst klar ist, dass Altelektronik nicht wertlos ist. In ihr stecken kostbare Stoffe wie Gold. Doch wer kann das Ausrangierte am sinnvollsten wiederverwerten, aus Müll Rohstoffe gewinnen? Wo ist der beste Ort fürs Recycling?

Tafsir Rahimi hat sich auf alte Elektrogeräte spezialisiert. Der Afghane ist Händler in der Billstraße in Hamburg-Rothenburgsort. Über mehrere Hundert Meter reihen sich in dem Gewerbegebiet Im- und Exportläden auf. In Schuppen, Läden und Hallen sind Polstermöbel, Hausrat, Fernseher, Elektrogeräte und Fahrräder zu finden. Die Qualität reicht augenscheinlich von ganz ordentlich bis eher Schrott.

Rahimi kauft Elektronik von Firmen, die von Verbrauchern zurückgegebene Altgeräte sammeln, wie er erläutert. Die regelmäßigen Kontrollen durch Polizei und Behörden in der Billstraße empfindet er als Stress. Kaputte Elektronik – also Schrott – darf nicht einfach in Länder mit niedrigen Standards exportiert werden. Seit einer Neufassung des Elektrogesetzes 2015 müssen Exporteure nachweisen, dass Altware noch funktioniert. Er lasse seine Geräte auf Funktionsfähigkeit prüfen, betont Rahimi. Der Afghane hat vor allem Kühlschränke. 70 bis 80 Prozent seiner Kunden seien Afrikaner, andere kämen aus Russland und der Ukraine. „Manche kaufen einen Lkw und machen ihn voll“, berichtet er.

In einem anderen Laden sitzt Nala, der nur seinen Vornamen nennen möchte. Er ist etwa Mitte vierzig und kommt ebenfalls aus Afghanistan. Nala hat ein paar Flachbildfernseher und Musikboxen vor seinem Geschäft stehen. Fernseher kaufe er meist auf Flohmärkten, erzählt er. Mehrere Afrikaner laden sie in einen Transporter. Niemand will sich fotografieren lassen. „Die Fernseher halten noch 20 bis 30 Jahre“, sagt ein Kollege Nalas.

Der nächste Halt der Ware aus der Billstraße ist der Hamburger Hafen. Als größter deutscher Container-Umschlagplatz wird er von Reedereien im Liniendienst zwischen Europa und Afrika genutzt. Den Ermittlern für Umweltdelikte ist auf dem Terminal in Altenwerder ein Container aufgefallen. Er ist doppelt so schwer, wie er nach den Frachtpapieren sein dürfte und muss zurück zur Spedition. Es könnten darin Elektrogeräte versteckt sein, die nicht mehr funktionieren. Kommissar Wolfgang Heidorn kommt zur Kontrolle.

Ans Licht kommen Plastikstühle, Kühlschränke, Fahrräder, Polstermöbel, TV-Geräte. Speditionsmitarbeiter Adigun Lawal betont, das sei kein Müll. Es gehe um den Handel mit Gebrauchtwaren. Afrikaner kauften lieber Secondhand-Dinge in Deutschland als Neues aus China, sagt der gebürtige Nigerianer. Er lebt seit 18 Jahren in Deutschland. „Robust ist wichtig“, ergänzt er. Die Ghanaer, so seine Erfahrung, könnten fast alles reparieren.

Ghana ist einer der wichtigsten Importeure alter Elektronik. Etwa 7 800 Kilometer legen die Schiffe von Hamburg zum Hafen Tema zurück. Von dort ist es eine halbe Fahrstunde zur Hauptstadt Accra. Ein Kran hievt die Container von Schiffen auf Lastwagen. In Terminals wird der Inhalt inspiziert. 50 bis 100 Stück am Tag, rund 30 Minuten pro Container, erläutert Peter Bopam. Der Ghanaer in blauer Uniform hat im Terminal das Sagen. Auf einem Hof stehen einige Container, die Türen offen. Sie werden ausgeladen: Autos, Fahrräder, Fernseher, Matratzen und Mikrowellen kommen zum Vorschein. Die schwüle Tropenhitze ist erdrückend. „Wir versuchen, so viele Container wie möglich zu prüfen“, sagt Fred Yankey von der Steuerbehörde. Doch es gebe zu wenig Kapazitäten.

Und was passiert, wenn kaputte Elektrogeräte ankommen? Schulterzucken am Terminal. Man prüfe nicht, ob etwas funktioniere. Man verlange auch keine Beweise, sagt Fred Yankey. „Dafür gibt es kein Gesetz in Ghana“, meint er. Vom deutschen Funktionsnachweis habe er noch nie gehört. „Die meisten Gegenstände, die reinkommen, funktionieren nicht“, sagt er leichthin.

Mit den alten Geräten aus Europa verdient Tony Obour seit fast 30 Jahren sein Geld. Seine Werkstatt liegt im Stadtviertel Abeka, etwa 50 Kilometer vom Hafen entfernt. Der 51-Jährige repariert gebrauchte Fernseher. Der einzige Raum ist vollgestellt mit Regalen, in denen eingestaubte Ersatzteile liegen. Platz zum Arbeiten hat er nur vor dem Haus. Behutsam schraubt er die Plastikabdeckung eines Flachbildfernsehers ab und begutachtet das Innenleben.

Die Geräte kaufe er von Importeuren, die ihre Ware neben dem Hafen anböten, erzählt Obour. Ob sie laufen oder nicht, findet er erst in seiner Werkstatt heraus. „Wir testen sie vorher nicht. So sind sie billiger“, sagt er. Von 20 Fernsehern seien etwa acht kaputt, schätzt Tony Obour. Er versuche, so viele wie möglich zu reparieren. Dann verkauft er sie über einen Händler. Der Markt für Repariertes floriert. Aus den völlig kaputten TV-Geräten baut Tony Obour alles aus, was er als Ersatzteile nutzen kann. Was nach dem Ausschlachten übrig ist, hat für ihn keinen Wert mehr.

Für andere schon. Die Überreste gibt Obour an Schrottsammler. In ganz Accra sind sie zu sehen. Junge Männer, meist zu zweit, schieben Holzkarren vor sich her. Die Sammler gehen von Laden zu Laden, von Haus zu Haus, und holen kaputte Elektrogeräte ab. Fast alles, was Metall enthält, können sie gebrauchen. Damit ziehen die Sammler weiter, entlang einer Schnellstraße, über eine Brücke, in ein Gebiet westlich der Innenstadt von Accra. Rund 17 Kilometer sind es von Obours Werkstatt dorthin.

Agbogbloshie – so heißt dieses Stadtviertel. Es erstreckt sich entlang eines Flusses, dessen verdrecktes Wasser in eine Lagune und dann in den Golf von Guinea fließt. Es sieht aus wie der Friedhof unserer elektronischen Welt.

Agbogbloshie ist weltweit nicht als Stadtteil bekannt, sondern als Müllkippe. Hier landet Elektroschrott aus Ghana, Westafrika und der Welt. Hier trotzen Menschen dem Abfall verwertbare Reste ab und verdienen so ein wenig Geld. In Ghana existiert fast keine reguläre Recyclingindustrie. Ein Großteil der Verwertung findet hier statt. „Wir kaufen die Sachen von den Leuten mit den Karren“, sagt Lubman Idris. Der 30-Jährige hat eine Mini-Werkstatt am Ufer des Flusses. Er und seine Freunde sitzen vor der Hütte und zerlegen Geräte. „Bildschirme, Fernseher, Kühlschränke, selbst alte Autos, wir nehmen alles.“ Idris öffnet ein Plastikgehäuse. Zum Vorschein kommt eine Kupferspule. Die braucht er.

Seit zwölf Jahren arbeitet Lubman Idris als Recycler. Er kommt aus dem Norden Ghanas. „Dort gibt es keine Arbeit.“ Seinem Nachbarn ein paar Hütten weiter, Olu Yahaya, geht es ähnlich. Er ist vor Kämpfen im Norden geflohen, in den 1990ern. In Accra habe er als Recycler angefangen, weil es kaum andere Jobs gegeben habe.

Agbogbloshie wirkt auf den ersten Blick chaotisch. Bald aber wird klar: Dies ist eine gut geölte Maschine, ein Markt mit System. Zehntausende arbeiten hier. Eine genaue Zahl gibt es nicht. Jeder hat seine Rolle: Sammler, Recycler, Agent, Händler. Auf dem Gelände existiert eine Vereinigung für Schrotthändler, sogar ein Büro der Steuerbehörde und Niederlassungen von Banken.

Doch über Agbogbloshie hängt stinkender Rauch. Er treibt von einer Freifläche herüber, hinter dem Schrottplatz. Dort wurde wohl jahrelang Hausmüll abgekippt. Der Boden unter den Füßen ist weich.

Die Recycler von Agbogbloshie kommen hierher, um Kabel aus alten Elektrogeräten zu verbrennen. Schmilzt das Plastik, bleibt etwa Kupfer übrig. So lässt sich das Metall schnell entnehmen.

Die Schrottarbeiter und Anwohner des Slums atmen die Giftschwaden ein. Hinzu kommt, dass viele Recycler mit gefährlichen Materialien hantieren, ungeschützt. Oft seien im Elektroschrott Stoffe wie Quecksilber, Blei und Kadmium oder Chemikalien zu finden, so ein UN-Bericht. Für viele gefährliche Inhaltsstoffe gibt es in Ghana derzeit keine entsprechenden Entsorgungsmöglichkeiten und auch kein Know-how in Agbogbloshie.

Viele, wie Lubman Idris, nehmen die Risiken des Recycelns hin. „Davor kann man nicht weglaufen“, sagt der 30-Jährige. Das Material, das er aus Altgeräten gewinnt – Kupfer, Aluminium, Eisen – gebe er an Händler. „Die Händler kommen vorbei, kaufen es und verkaufen es dann an andere.“ Der Einkäufer kommt auf einem klapprigen Fahrrad zu den Recyclern. „Ich verkaufe es an Firmen, die die Metalle einschmelzen und exportieren“, sagt er.

Hier beginnt das Geschäft wieder lukrativer zu werden. Der UN-Bericht schätzt den Wert des Rohmaterials aus Elektroschrott weltweit auf 55 Milliarden Euro. Und wohin werden die in Accra gewonnenen Metalle exportiert? Nach China, Frankreich, Indien, Deutschland, diese Länder nennt er als Beispiele.

So schließt sich der Kreis. Es gibt Märkte für Secondhand-Elektronik in Ländern wie Ghana und einen internationalen Markt für Rohstoffe aus Altgeräten. Ausrangierte Elektronik und Abfall als wertvoll zu erkennen, so betonen Fachleute, hat durchaus Pluspunkte.

„Unter Ressourcengesichtspunkten ist das erst mal total sinnvoll“, sagt Till Zimmermann vom Hamburger Institut Ökopol mit Blick auf den Export der Geräte. Viele würden weiter genutzt, bevor sie im Müll landeten. Abertausende Menschen wie Obour und Idris finden in dem Geschäft in armen Ländern zudem eine Beschäftigung.

Doch der echte Schrott landet zügig im Feuer auf dem Müllberg in Agbogbloshie. Und die Gesundheitsrisiken, die verdreckte Umwelt und die geringen Verdienste der Untersten im Abfallgeschäft stehen auf der Gegenseite der Bilanz. Die Idee ist nun, aus den informellen Recyclern offizielle Verwerter zu machen. Die Regierung in Ghana will, dass die Menschen ihre Einkommen behalten. Das Verarbeiten von giftigen Inhaltsstoffen und das Verbrennen von Plastik soll aber gestoppt werden. Aus heutiger Sicht eine gewaltige Aufgabe. (dpa)