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„Es bringt nichts, an alten Zöpfen zu hängen“

Rolf Kuhn leitete von 2000 bis 2010 die Lausitzer Bauausstellung. Sein Rat: Die Region kann aus dieser Zeit viel für den Strukturwandel lernen.

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© dpa

Von Tilo Berger

Vor zwanzig Jahren kam Rolf Kuhn in die Lausitz. Er gab damals seine sichere Stelle als Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau auf, um sich in ein Abenteuer zu stürzen: die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land (IBA). Er kannte weder die Lausitz noch die Leute, mit denen er zusammenarbeiten würde. Aber gerade das reizte den Professor für Städtebau und Gebietsplanung. Sein erstes Büro waren zwei Zimmer im Großräschener Ärztehaus an der Straße, die an der Kante des ehemaligen Braunkohletagebaus Meuro endete. Nach dem Ärztehaus kam an dieser Straße nicht viel: ein, zwei Wohnhäuser und ehemalige Wohnheime, eine verfallene Apotheke, ein paar Wiesen und den Blick auf die Mondlandschaft des Ex-Tagebaus.

Als Rolf Kuhn vor 20 Jahren nach Großräschen kam, gab es hier nichts außer Gras und Tagebau-Halden.
Als Rolf Kuhn vor 20 Jahren nach Großräschen kam, gab es hier nichts außer Gras und Tagebau-Halden. © SZ/Tilo Berger

Zehn Jahre lang, von 2000 bis 2010, veränderte die IBA das Braunkohlerevier. Es entstanden in Großräschen die IBA-Terrassen, eine ausgediente Abraumförderbrücke F 60 wurde zum Besucherbergwerk, auf gefluteten Tagebauen hielten schwimmende Häuser Einzug, das ehemalige Kraftwerk Plessa geriet zum Ort für Veranstaltungen. Und, und, und. Landschaftsgestalter und Architekturstudenten aus aller Welt kamen in die Lausitz. Sie brachten frische Ideen mit und steckten viele Einheimische mit ihrem Enthusiasmus an.

Rolf Kuhn findet: So eine Aufbruchstimmung wie zur IBA-Zeit braucht die Lausitz auch im Strukturwandel, den die Region in den nächsten Jahrzehnten durchlebt. Die SZ traf den mittlerweile 71-Jährigen im IBA-Studierhaus, dem ehemaligen Sitz der Bauausstellung. Hier lagern alle Fotos, Videos und Dokumente der IBA, was Landschaftsgestalter, Studenten und Schüler aus dem In- und Ausland anlockt. Es ist eines der beiden ehemaligen Wohnheime an dieser Straße. Die einst verfallene Apotheke nebenan ist heute ein Schmuckstück – und das Zuhause von Familie Kuhn.

Herr Professor, schön, Sie wiederzusehen! Wie häufig kommen Sie denn noch ins IBA-Studierhaus?

Das ist ganz unterschiedlich. In mancher Woche täglich, in mancher gar nicht. Ich habe ja zu Hause auch einen Schreibtisch. Aber als Vorsitzender des Studierhaus-Fördervereins zieht es mich hierher. Und es ist ja nicht so, dass ich das Studierhaus aufschließen müsste und niemanden anträfe. Da ist jede Menge Leben drin. Zwei Projektgruppen treffen sich hier, um neue Ideen für den Landschaftswandel in der Lausitz zu entwickeln. Und es sind fast ständig junge Leute da, die auch im Studierhaus übernachten können. Sie bringen Frischluft in die Lausitz. Ich bin heilfroh, dass wir hier das gesamte Schrift- und Bildgut der IBA gesammelt haben und zur Verfügung stellen können.

Was wäre denn sonst damit passiert?

Ich fürchte, es würde heute im Fundus irgendeines Archivs in Kartons liegen. So etwas wie hier gab es in der hundertjährigen Geschichte Internationaler Bauausstellungen noch nie. Ein Journalist sagte mir 2010, zum Ende der IBA, das Studierhaus sei die wichtigste Hinterlassenschaft überhaupt. Das sah ich damals noch nicht so, aber heute bin ich auch davon überzeugt. Ich glaube, dieser Journalist waren Sie!

Ja. Blicken wir noch mal 20 Jahre zurück, als wir uns in dem trostlosen Zimmer in der ehemaligen Poliklinik zum ersten Mal trafen. Würden Sie, mit den Erfahrungen von heute, wieder in die Lausitz ziehen?

Sofort. Hier etwas zu gestalten, etwas zukunftsfit zu machen, das war eine unglaublich schöne Herausforderung. Ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen, um als Planer zu arbeiten. Dazu kamen interessante Menschen, mit denen ich in der IBA-Gesellschaft arbeiten konnte. Es ist doch wunderbar, jeden Tag gern zur Arbeit zu kommen und sich auf seine Mitarbeiter zu freuen. Da waren junge Leute dabei, Architekten, Spitzenabsolventen von Universitäten, die hätten sich um Jobs in Berlin, München oder anderen Zentren bewerben können. Aber sie wollten in die Lausitz. Sicher nicht wegen der schönen Stadt Großräschen, sondern weil sich hier so viel gestalten ließ. Es herrschte so eine Aufbruchstimmung!

... wie sie die Lausitz jetzt auch wieder braucht. Was kann die Region für den Strukturwandel von der Internationalen Bauausstellung lernen?

Da sehe ich einiges. Zuerst: Alle müssen an einem Strang ziehen. Die IBA-Gesellschafter waren damals die südbrandenburgischen Landkreise und die Stadt Cottbus. Die Landräte und der Cottbuser Oberbürgermeister gehörten verschiedenen Parteien an und waren bestimmt nicht immer einer Ansicht, aber für die IBA legten sie alle Meinungsverschiedenheiten beiseite. Auch für den Strukturwandel müssen alle verantwortlichen Kommunalpolitiker in Brandenburg und Sachsen an einem Strang ziehen, zum Beispiel gegenüber der Bundesregierung und den Landesregierungen. Und ich sehe noch eine Lehre.

Welche?

Die Gesellschafter haben uns weitgehend freie Hand gelassen. Sie haben uns den Rahmen abgesteckt, auch finanziell, aber sie haben nicht versucht, uns jeden Tag in die Arbeit reinzureden. So war es uns auch möglich, unverbrauchte Leute mit frischen Ideen von außerhalb in die Lausitz zu holen. Stellen Sie sich mal vor, für ein neues Wirtschaftskonzept setzt sich ein Landrat mit seinen beiden Dezernenten zusammen. Da kommt genau das Konzept raus, was sie ohnehin schon immer hatten. Ich finde, sie sollten den Machern vertrauen und nicht gleich umfallen, wenn die mit ungewohnten Vorschlägen kommen.

Wie meinen Sie das?

Da komme ich wieder auf eine Erfahrung aus der IBA-Zeit zurück. Wir wollten damals gemeinsam mit dem Senftenberger Rathaus, dass die Stadt einen Hafen bekommt. Der Senftenberger See ohne Hafen in der namensgebenden Stadt, das ging ja gar nicht. Wir haben dann über einen Architekturwettbewerb gesprochen und ernteten Verwunderung. Ein Hafen, wurde uns gesagt, das ist eine Kaimauer mit Elementen, um die Boote festzumachen, also eine ingenieurtechnische Anlage. Nein, haben wir argumentiert, dieser Hafen wird die Visitenkarte Ihrer Stadt, und er muss ins Auge fallen. Zum Glück hat uns das Land Brandenburg den Wettbewerb finanziert.

Oh ja, er fällt ins Auge!

Ja, wir haben uns damals durchgesetzt. Den Auftrag dafür bekamen dann Architekten aus Berlin und Köln sowie Wasserbauer aus Dresden. Das Ergebnis spricht für sich. Ich würde diese IBA-Erfahrung mal so zusammenfassen: Wenn jemand etwas Neues, Ungewohntes versuchen will, sollte ihm der Rücken gestärkt werden.

Dazu gehört aber sicher auch eine innere Aufgeschlossenheit der Verantwortungsträger und Geldgeber gegenüber Neuem.

Absolut! Diese Aufgeschlossenheit entsteht nur, wenn sich alle der Dimension bewusst sind: Was hier abläuft, ist ganz groß, noch nie da gewesen. Mit so einer Einstellung im Kopf kann der Strukturwandel etwas ganz Tolles werden. Aber an alten Zöpfen zu hängen und zu sagen, das haben wir schon immer so gemacht – das bringt nichts. Zugleich muss etwas Neues natürlich auch in die Region passen.

Worauf spielen Sie da an, mit Blick auf die IBA-Lehren?

Wir wollten hier kein Disney-Land, das kann überall hin. Aber nehmen wir die schwimmenden Häuser: Für diese Idee wurden wir anfangs auch belächelt. Aber dann kamen die schwimmende Tauchschule auf dem Gräbendorfer See und Häuser zum Urlauben auf dem Partwitzer und Geierswalder See. Die werden heute gut gebucht. Auf dem Bergheider See, neben der F 60, schwimmt bald das erste autarke Haus, das sich vollständig selbst mit Strom und Wasser versorgt. Und an der Cottbuser Uni gibt es heute ein Institut für schwimmende Bauten. So kommt eins zum anderen. Sie werfen einen Stein ins Wasser, und er zieht Kreise, immer weiter. Das kann dauern, auch mal Jahre. Aber mit der Zeit sehen Sie das Resultat. Den Standort für das autarke Haus auf dem Bergheider See hatten wir als IBA noch mit angeschoben. Der rostige Nagel wiederum wurde noch während der IBA realisiert.

Sie meinen den Aussichtsturm zwischen dem Sedlitzer und dem Geierswalder See.

Genau. Da hätten wir auch einen ganz normalen Turm aus Beton und Glas hinsetzen können, wie es viele gibt. Aber wir wollten etwas, was in die Lausitz passt und doch ungewohnt ist. Also haben wir einen Turm aus rostigem Stahl ausgewählt, in Anlehnung an das Material, aus dem die Bergbaubagger sind. Zuerst stand nur der Turm. Dann kamen ein Imbiss und Toiletten hinzu. Und schon gibt es Rufe nach einer Gaststätte – der Stein im Wasser zieht Kreise.

Welche Industrien mit Zukunft passen denn in die Lausitz?

Es gibt hier riesige Kompetenzen in der Energiewirtschaft und der Landschaftsgestaltung. Es gibt die Uni in Cottbus und Senftenberg, die Hochschule in Zittau und Görlitz, das Forschungsinstitut für Bergbaufolgelandschaften in Finsterwalde. Da ist so viel Potenzial da, auf dem sich aufbauen lässt! Wenn sich das mit frischen Ideen von außen paart, können sich hier Institute und Unternehmen ansiedeln, die sich beispielsweise mit der Energieversorgung der Zukunft beschäftigen, oder eben mit der Umgestaltung von Industrielandschaften. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Unser Studierhaus steht dafür als Wissensspeicher und Ausgangspunkt für Exkursionen offen.

Sie sind in der Region nach wie vor ein gefragter Gesprächspartner, engagieren sich für das IBA-Studierhaus, bringen Ihre Ideen in neue Projekte ein. Gönnen Sie sich auch mal etwas Freizeit?

Keine Angst, die nehme ich mir schon. Aber ich bin eben nicht der Typ, der seinen Ruhestand vorm Fernseher verbringen möchte. Ich verbinde in der Freizeit gern das Angenehme mit dem Nützlichen. Vor Kurzem hatte ich Besuch vom Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer. Da haben wir uns auf die Fahrräder gesetzt und einen halben Tag lang Seen, Kanäle und anderes abgeklappert. Es war herrlich.