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Er war Dresdens Bel Ami

Als Mephisto, Mackie Messer oder Prof. Higgins wurde Horst Schulze zum Publikumsliebling. Er starb nun 97-jährig.

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Von Rainer Kasselt

Wenn er auftrat, und er tat es bis ins hohe Alter vor allem mit Goethe, dann wirkte das immer würdevoll. Jetzt ist der bekannte Schauspieler und Opernsänger Horst Schulze im Alter von 97 Jahren verstorben. Das erfuhr die Tageszeitung Neues Deutschland aus Familienkreisen. Der gebürtige Dresdner verstarb bereits am 24. Oktober in Berlin.

1995 als „Gigi“ an der Staatsoperette Dresden.
1995 als „Gigi“ an der Staatsoperette Dresden. © Andreas Schwarze

Schulze, der Sohn eines Arbeiters war, machte nach seinem Schulabschluss zwischen 1937 und 1940 eine Autoschlosserlehre. Anschließend besuchte er die Petrenz-Opernschule in Dresden, wo er Gesangs- und Schauspielunterricht nahm. Seinen ersten Opernauftritt hatte er in Lortzings „Waffenschmied“ an der Dresdner Oper. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg sang Schulze in der Volksoper in Dresden-Gittersee. Danach spielte er am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau und am Nationaltheater Weimar. 1958 begann seine Karriere als Schauspieler in vielen Defa- und Fernsehfilmen.

Man ging wegen ihm ins Theater

Doch zurück nach Dresden. Vor fünfzig Jahren macht in der Stadt die Frage die Runde: Haben Sie schon Horst Schulze als Bel Ami gesehen? Dann nichts wie hin! Mit der Titelfigur des Musicals „Bel Ami“ steht und fällt das Stück. Horst Schulze ist als Frauenverführer, Gentlemangauner und Lebenskünstler Georges Duroy unbezahlbar gut. Mit Eleganz, Charme und Intrigen zeigt er den unaufhaltsamen Aufstieg des verstoßenen Fremdenlegionärs zum einflussreichen Minister. Die Frauen liegen dem Filou zu Füßen und ebnen ihm den Weg nach oben. Die Geschichte spielt 1900 in Paris, nach der Romanvorlage von Maupassant.

Das Musical von Peter Kreuder erlebte 1960 in Wien mit Johannes Heesters die Uraufführung. Bereits ein Jahr später holte es der legendäre Intendant Fritz Steiner als DDR-Erstaufführung an die Dresdner Staatsoperette. Hier lief es weit über dreihundertmal vor stets ausverkauftem Haus. Der Song „Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami“ wurde zum Publikumshit. Doch auch schon vorher wurde Horst Schulze von den Dresdner Zuschauern geliebt und gefeiert. Denn er gehörte zum Ensemble des Staatstheaters von 1956 bis 1965, spielte dort eine Hauptrolle nach der anderen: Hamlet, Mephisto, Mackie Messer. Man ging wegen ihm ins Theater, diesem vielseitigen, nachdenklichen, draufgängerischen, hintergründigen und charismatischen Darsteller mit dem angenehm dunklen Timbre. In Schillers „Die Räuber“ spielt er Franz Moor so tigerhaft-gefährlich, dass die Aufführung trotz des guten Ensembles etwa mit dem späteren Protagonisten des Deutschen Theaters, Dietrich Körner, als sein Abend in Erinnerung blieb.

Mit diesem Können avancierte er zu einem Medienstar im Fernsehen und bei der Defa. Der politisch wache Schauspieler mit bodenständigen Wurzeln überzeugte als Revolutionär Karl Liebknecht („Solange Leben in mir ist“) oder antifaschistischer Widerstandskämpfer („Hans Beimler, Kamerad“) ein Millionenpublikum. Er versucht sich in vielen Genres: dreht Indianerfilme, Krimis, Komödien, Schwänke und Biografien. In der anspruchsvollen Fontane-Adaption „Effi Briest“ spielt er eindrucksvoll den alternden Baron Instetten, seine junge unglückliche Frau ist Angelica Domröse.

Noch 90-jährig ins Hoppe-Hoftheater

Auch nach dem 65. Geburtstag dachte Schulze nicht an Ruhestand. Es zog ihn zurück auf die Bretter, seinen Urgrund. Die großen Häuser blieben ihm verschlossen, aber er ging mit der glänzenden Goethe-Satire „Kur in Marienbad“ auf Tournee, eröffnete als Dr. Prätorius in dem Curt-Goetz-Lustspiel die private Dresdner Komödie. Und besann sich auf seine geliebten Klassiker Goethe und Schiller, stellte Texte und Szenen von ihnen zusammen. „Das Theater braucht große Gedanken“, sagte er.

Jedes Jahr zu Ostern trat er mit Ausschnitten aus Goethes „Faust“ auf. Bei einer Veranstaltung in der Dresdner Dreikönigskirche sagte eine ältere Besucherin, die Schulze seit seiner Dresdner Ära die Treue hielt: „Ostern beginnt für mich erst, wenn er den Osterspaziergang spricht.“ Noch 90-jährig stand der große Mime bei seinem Freund Rolf Hoppe im Weißiger Hoftheater auf der Bühne – vor ausverkauftem und jubelndem Haus.