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Endstation Abschiebehaft

Die Pflicht zur Ausreise kann mit Haft erzwungen werden, wenn ein Richter dies für geboten hält. Hinter den wuchtigen Gefängnismauern zeigen sich Mitgefühl, aber auch Tristesse und Ratlosigkeit.

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© dpa

Von Peter Zschunke

Ingelheim. Seine Zeit in Deutschland ist abgelaufen. Aber der Abschiebehäftling hat auf Russisch eine Botschaft im Andachtsraum zurückgelassen: „Ich will in jedem Teil der Welt ohne Visum leben können.“ Weil die Gesetze anders sind, gibt es Orte wie die Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige (GfA) in Ingelheim bei Mainz. Die Anwohner sprechen kurz vom Abschiebeknast. Das klingt so wuchtig wie die fünf Meter hohen Betonmauern der seit 15 Jahren bestehenden Anstalt direkt an der Autobahn.

Mauern und Stahltüren, Fenstergitter und Zäune schließen Menschen ein wie den bosnischen Staatsbürger Fikret M. Der schmächtige Mann kann nur mit Schmerzen gehen. „Ich bin zum ersten Mal im Leben im Gefängnis“, sagt der 53-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Warum? „Ich habe keine Ahnung. Ich wollte auf der Ausländerbehörde meine Duldung verlängern. Dann sind zwei Polizisten gekommen und haben mich in Handschellen mitgenommen.“

Abschiebehaft muss von einem Richter angeordnet werden. Etwa wenn der Verdacht besteht, dass sich ein ausreisepflichtiger Ausländer einer Abschiebung entziehen will. Das Aufenthaltsgesetz ist bundesweit eindeutig. Aber die Bundesländer gehen unterschiedlich damit um.

Die Inhaftierung dürfe nur als letztes Mittel eingesetzt werden, betont die Integrationsministerin von Rheinland-Pfalz, Irene Alt (Grüne). Die GfA in Ingelheim nimmt auch Abschiebehäftlinge aus dem Saarland, Hessen und Baden-Württemberg auf. Fikret M. kam aus Hessen nach Ingelheim.

„Morgen soll ich mit dem Flugzeug nach Sarajevo gebracht werden. Aber seit dem Tod meiner Mutter habe ich nichts mehr in Bosnien.“ Vor seiner Ankunft in Deutschland im Herbst 2014, so erzählt der Häftling, habe er bei Ford in den USA gearbeitet, mit der Arbeitserlaubnis einer „Green Card“. Nach einem Urlaub in Bosnien seien ihm bei einer Zwischenlandung in Frankfurt die Papiere gestohlen worden. Weder die US-Botschaft noch die bosnische Vertretung hätten ihm helfen können. Dann sei er zur Erstaufnahme für Asylbewerber nach Gießen gebracht worden.

Fikret M. ist einer von zurzeit elf Häftlingen in Ingelheim. Anfang des Jahres waren noch 35 der 40 Haftplätze belegt gewesen. Aber jetzt ist es wieder ruhiger geworden - vielleicht spielt eine Rolle, dass Anfang April ein neues Abschiebegefängnis in Pforzheim in Betrieb gegangen ist, sodass weniger Häftlinge aus Baden-Württemberg kommen. Die Haftdauer in Ingelheim beträgt meist zwei bis drei Wochen, kann aber auch bis zu drei Monate erreichen. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Ingelheimer Häftlinge um 41 Prozent auf 232, davon 125 aus Hessen und 52 aus Baden-Württemberg.

Nach ihrer Ankunft werden zunächst die Personalien aufgenommen und Dokumente überprüft, erklärt GfA-Leiter, Stefan Mollner. Jeder Fall sei anders: „Es kommen Menschen hierher, die sind erst seit wenigen Stunden oder Tagen in Deutschland. Andere sind in Deutschland geboren und müssen die Bundesrepublik mit 18 verlassen.“

Anschließend werden die Häftlinge zum Sozialdienst geschickt. Ein Mitarbeiter versucht, sich ein Bild von ihrer Persönlichkeit zu machen. Wenn jemand einen Anwalt will, kümmert sich die Beratungsstelle von Caritas und Diakonischem Werk darum.

Die kirchlichen Hilfswerke äußerten sich kürzlich besorgt, dass sich bei der Überprüfung immer wieder zeige, dass die Anordnung zur Abschiebehaft juristisch nicht haltbar sei. Es sei bitter, dass der Bundesgerichtshof (BGH) in vielen Fällen nachträglich festgestellt habe, dass eine Abschiebehaft unrechtmäßig gewesen sei, sagt Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer bei Pro Asyl. „Da war es aber um das Freiheitsgrundrecht schon geschehen.“

Die auf zwei Etagen untergebrachten Zellen - unten für Frauen, oben für Männer - sind jeweils 15 Quadratmeter groß. Der Raum bietet Platz für ein Bett. Gegenüber steht ein halbhohes Regal mit einem Wasserkocher und einem Fernsehgerät, daneben ein Kleiderschrank, in freundlichem Grün gestrichen. „Es gibt 19 Programme, der Musiksender ist am beliebtesten“, sagt Mollner. Gleich neben dem Eingang zur Zelle ist ein kleiner Raum mit Waschbecken und Toilette.

„Das Bett ist gut, das Essen ist normal“, sagt Fikret M. Er hoffe, dass er vor seiner Abschiebung nochmal mit einem Arzt sprechen könne. Zweimal in der Woche gibt es im Gefängnis eine ärztliche Sprechstunde; in Notfällen kann die Wache rund um die Uhr nach einem Arzt rufen. Von einer Schwester der kleinen Krankenstation hat Fikret M. Tabletten gegen seine starken Rückenschmerzen bekommen.

Gegen Traurigkeit helfen die Tabletten nicht. „Natürlich kann Haft per se psychisch krank machen“, sagt Mollner zur Kritik der kirchlichen Hilfswerke. „Es wird viel getan, damit dieses psychische Loch nicht entsteht.“ Dazu gehört das Angebot von Tätigkeiten wie Rasenmähen oder das Gärtnern im kleinen Gefängnisgarten. Inhaftierte Asylbewerber bekommen ein Taschengeld von 23,30 Euro pro Woche. Damit können sie im kleinen Kiosk einkaufen, der jeden Donnerstag geöffnet hat und Hygieneartikel, Süßigkeiten oder Zigaretten anbietet.

Solche Abwechslung kann aber nur kurz helfen. Bei seinen Begegnungen mit den Häftlingen hat Andreas Kreiner-Wolf von der Beratungsstelle beobachtet, „dass die Menschen ihren Aufenthalt hier nicht leicht verkraften, denn sie fühlen sich nicht als Verbrecher“. Die Abschiebehaft ist oft Endstation der jahrelangen Suche nach einem besseren Leben, etwa für Menschen, die vor Krieg und Hunger aus Afrika geflohen sind. Statt Sicherheit fanden sie oft nur prekäre Räume zwischen Illegalität und Obdachlosigkeit. „Das geht an ihnen psychisch nicht spurlos vorüber, auch leidet ihre körperliche Gesundheit in dieser scheinbar ausweglosen Lage“, notiert Kreiner-Wolf.

Gleich neben dem Abschiebegefängnis ist eine Einrichtung zur Erstaufnahme von Flüchtlingen, zurzeit sind dort rund 600 Menschen untergebracht. Beide Bereiche bilden zusammen die von Mollner geleitete Landeseinrichtung für Asylbegehrende und Ausreisepflichtige (LEfAA). Seit 1985 kommen Flüchtlinge in Ingelheim an. Ein Afrikaner hat an einem der Gebäude auf dem heutigen Gefängnisgelände ein Wandbild gemalt. Es zeigt einen Menschen, der mit einem Seil an einem Baum hängt, unter ihm ein Gewässer mit einem Krokodil. Der Künstler hat auch einen Titel dazu geschrieben: „Mann ohne Ausweg“. (dpa)