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Einst eine der schnellsten Frauen der Welt

Kerstin Finke stand bei Olympia  auf dem Siegertreppchen. Am Freitag hat sie sich von ihrem Entdecker verabschiedet.

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© Dietmar Thomas

Von Heike Heisig

Leisnig. Das Laufen hat Kerstin Behrendt, wie sie mit Mädchennamen hieß, anfangs wenig Spaß gemacht. „Ich hatte gar keine Lust dazu“, sagt die heute 49-Jährige. Sie ist am Freitag nach Leisnig gekommen, um sich von ihrem ehemaligen Trainer und Entdecker Bernd Lorenz zu verabschieden. Auch sie hat ein paar Euro dazugegeben, dass der Leisniger in seiner Heimatstadt beerdigt werden kann. Das war ihr – genau wie weiteren Sportlern und Schülern – eine Herzensangelegenheit.

Sportlehrer und -förderer Lorenz ist auf Kerstin aufmerksam geworden, weil sie beim Schülergedenklauf für Hans Beimler, so hieß eine der Leisniger Schulen früher, über mehrere Jahre als Erste durchs Ziel lief. Doch zum Training zur BSG Motor Leisnig zu gehen, dazu war sie damals nur zu bewegen, weil auch ihr Bruder mit am Start war. Mit der Zeit bereitete ihr der Sport doch Freude. Das schreibt sie vor allem Bernd Lorenz zu. „Er hat uns spielerisch an den Sport herangeführt, uns nicht nur mit höher, schneller, weiter getrimmt“, findet Kerstin Finke. Rückblickend ist sie sich sicher: „Ich habe Herrn Lorenz alle meine Rekorde im Kinder- und Jugendbereich zu verdanken.“

Glückwünsche per Telegramm

Kerstin Finkes größter sportlicher Erfolg war sicher auch der von Bernd Lorenz als Trainer. Bei Olympia 1988 stand die Leisnigerin mit Silke Möller, Ingrid Lange und Marlies Göhr auf dem Treppchen. Die Frauen wurden Vize-Olympaisieger in der viermal 100 Meter Staffel. Damit gehörten sie zu den schnellsten Sprinterinnen der Welt. Die Gratulation gab es damals nicht per SMS oder Whatsapp-Nachricht. „Wir haben Glückwunschtelegramme erhalten“, erinnert sich die ehemalige Spitzensportlerin. Absender waren aber nicht nur ihre Eltern, sondern auch der damalige Bürgermeister Leisnigs. Der war sichtlich stolz auf das Sportsternchen aus seiner Stadt, wie dessen Tochter Kerstin Gitt am Freitag verriet. Ein bisschen stolz ist auch Kerstin Finke, und zwar darauf, Ehrenbürgerin der Stadt Leisnig zu sein.

Inzwischen ist Kerstin Finke nur noch selten in der Bergstadt unterwegs. Ihre Besuche beschränken sich auf die bei ihrem Vater, der nach wie vor an der Jahnstraße wohnt. Von dort hatte sie es nie weit zum Sportplatz an der Linde und damit zum Training: dreimal in der Woche. Das ist der Schülerin damals zur Gewohnheit geworden. Routinemäßig zog sie sich die Laufschuhe an. Manchmal auch zähneknirschend. „Bernd Lorenz hatte uns verboten, vorm Training ins Freibad zu gehen, damit wir nicht schon dort unsere Kräfte verausgabten“, erzählt Kerstin Finke. Das sei im Sommer ziemlich schwer gewesen und immer habe auch sie sich nicht daran gehalten. Bemerkt hat Bernd Lorenz die unerlaubten Schwimmbadbesuche aber trotzdem – „an unseren nassen Haaren“, schmunzelt die 49-Jährige.

1980 hat sie im Alter von 13 Jahren ihre Eltern und Leisnig verlassen, um an die Kinder- und Jugendsportschule nach Leipzig zu gehen. Dort startete sie später für den SC DHfK Leipzig, trainierte bei Rudi Damm. Bis 1993 gehörte Sport zu ihrem Leben. „Dann habe ich von heute auf morgen mit allem aufgehört“, sagt Kerstin Finke. Die Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin habe ihr kaum mehr Zeit zum Training gelassen. „So konnte ich aber mein sportliches Niveau nicht halten.“ Daher habe sie ihre sportliche Laufbahn beendet – und auch beruflich auf Neustart gedrückt. „Ich habe in Leisnig im Krankenhaus Krankenschwester gelernt“, erzählt die ehemalige Spitzensportlerin. Der Beruf macht ihr noch immer Freude. Seit dem Ende ihrer Ausbildung arbeitet sie im St. Georg in Leipzig, fährt jeden Tag anderthalb Stunden zur Arbeit und zurück nach Zeitz, wo sie lebt.

Zu ihren ehemaligen Sportkolleginnen hat Kerstin Finke heute keinen Kontakt mehr. Ingrid Auerswald (1988 in Seoul als Ingrid Lange gestartet) hat sie vor vielen Jahren einmal gesehen, als sie mit ihrem Sohn einen Leichtathletik-Wettkampf besuchte. Kerstin Finke selbst hat mit dem Sport sozusagen abgeschlossen. „Ich arbeite im Drei-Schicht-System. Da bleibt keine Zeit, sich zum Beispiel als Trainerin zu engagieren“, erklärt sie. Große Leichtathletik-Veranstaltungen fesseln sie dann doch ab und an vorm Fernseher. „Wenn ich dazu komme, sie mir anzuschauen.“